Irland Irland: Hier spukt es
Halle (Saale)/MZ. - Mit stoischer Miene klopft Sir John Norman Ide Leslie, besser bekannt als Onkel Jack, an die Tür zu einem der 20 Schlafzimmer im irischen Castle Leslie - einem Vier-Sterne-Hotel. Die Eichentür öffnet sich und ein junges Pärchen schaut überrascht auf die vierköpfige Gruppe, die draußen wartet. "Wir wollen nicht lange stören", klärt Sir Jack auf. "Ich will diesen Gästen kurz das Rote Zimmer zeigen." Ohne sich mit weiteren Höflichkeiten aufzuhalten, huscht er in den Raum und fordert seine Begleiter auf, es ihm gleich zu tun.
Was andernorts für einen Eklat sorgen würde, gehört auf Castle Leslie dazu. Bereits beim Einchecken werden die Gäste auf Sir Jack hingewiesen, der hier seit 1919 lebt. Seiner Familie gehört dieses vier Quadratkilometer große Anwesen seit 1665. Neben dem Schloss, das erst im 19. Jahrhundert neu errichtet wurde, zählen einige Gebäude im Bruchstein-Stil sowie ein Reitstall zum Privatbesitz. Platz genug für eine ganze Sippe. Der 95-jährige Hausherr ist jedoch der letzte seiner Verwandtschaft, der ein eigenes Zimmer bewohnt. Er sei so etwas wie der gute Geist des Hauses, heißt es an der Rezeption.
Und Geister sind genau sein Ding. Denn Sir Jack ist überzeugt, dass er nicht der einzige Familienangehörige im Schloss ist. "Das ist das Zimmer von Norman", stellt er vielsagend fest. Norman Leslie war ein Onkel von Jack, der 1914 starb und seither sein Unwesen in dem Gemäuer treiben soll. "Haben Sie ihn nachts schon die Glocken läuten hören", richtet er sich an die überrumpelten Gäste, die bislang keine Ahnung von ihrem heimlichen Mitbewohner hatten. Unsicher zucken sie mit den Achseln. Unbeirrt erzählt Sir Jack die Geschichte von Norman, der sich auf unterschiedlichste Weise bemerkbar macht: ein Schatten an der Wand, ein verrücktes Möbelstück…
Ein paar Meter weiter, im malvenfarbenen Schlafzimmer, haust Lady Constance. Sie starb 1925 und komplettiert die kleine Schar an verbliebenen Familienangehörigen. Ihre Aufgabe ist die Fürsorge um die Verwandtschaft. Zum ersten Mal trat sie 1945 in Erscheinung, als sie Lady Leonie an ihrem Sterbebett besuchte. "Bestätigt durch eine Krankenschwester", unterstreicht Jack während er ein Bild zurechtrückt. Zwar hat er sich damit abgefunden, dass neben seinen Geistern auch Hotelgäste die Zimmer bewohnen, aufs Inventar hat er dennoch ein wachsames Auge.
Wer in Irland heutzutage etwas auf sich hält, muss ein wenig in die Trick-Kiste greifen. Herrliche Landschaften alleine locken niemanden hinterm Ofen hervor. Da schadet es nicht, eine Spuk-Geschichte parat zu haben. Zwar zählt das 120 Kilometer nördlich von Dublin gelegene Castle Leslie nicht zu den bekanntesten Spuk-Orten, dennoch hat es sich einen Namen auf den einschlägigen Internet-Seiten gemacht, wo es regelmäßig als Reise-Tipp auftaucht. Erst im letzten Jahr präsentierte sich Jack in einer TV-Sendung, wo er über die Vorkommnisse in seinem Haus berichtete. Auf seine Geister ist er mindestens so stolz wie auf die ferne Verwandtschaft zum ehemaligen Premierminister Winston Churchill.
Sagen, Kobolde und Feen haben in Irland Tradition. Alleine in der Umgebung gibt es ein Dutzend Gemäuer mit einem besonderen Bewohner: in Tullynally Castle treibt der Geist eines Butlers sein Unwesen; in Carrickfergus Castle streift die Seele eines Soldaten rastlos umher. Nicht verwunderlich also, dass auch Halloween seinen Ursprung auf der Insel haben soll. In den Anfängen wurden allerdings keine Süßigkeiten an Kinder verteilt, sondern Gaben zur Besänftigung der bösen Geister abends vor die Tür gestellt. Dem keltischen Glauben nach öffnete sich nur in dieser einen Nacht die Tür zum Reich der Toten. Heute scheint das Tor mehrmals im Monat offen zu stehen. "In Castle Leslie wurde zuletzt im Keller eine graue Gestalt gesichtet", berichtet Jack von der jüngsten Begegnung.
Alleine auf die Anziehungskraft des Spuks will man sich aber nicht verlassen. Samantha Leslie, die 45-jährige Nichte von Sir Jack, die mittlerweile die Geschäfte leitet, setzt zudem auf Pferde und Hochzeiten. Zu den bekanntesten Gästen zählte Paul McCartney, der hier im Jahr 2002 Heather Mills das Jawort gab. Glück gebracht hat das Gemäuer nicht, die Scheidung folgte sechs Jahre später. Ob Norman da seine Finger im Spiel hatte? Vorsichtshalber wirbt die junge Chefin nicht zu offensiv mit den Geistergeschichten. Schließlich zeigt der gescheiterte Versuch der schottischen Nachbarn, mit dem Label "Spuk-Hotels" zu werben, dass dies nicht immer zum Erfolg führt. In Castle Leslie gibt es dennoch einige Gäste, die nur aufgrund des Spuks anreisen. Sie glauben fest an Norman, Lady Constance und Co.!