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Heilige Tiere Indien: Ratten-Tempel dürfen Besucher nur barfuß betreten

10.05.2019, 06:00
Werden als Heilige verehrt: Ratten im Karni-Mata-Tempel in Deshnok.
Werden als Heilige verehrt: Ratten im Karni-Mata-Tempel in Deshnok. imago stock&people

Neu-Delhi, Indien - Für die meisten ist es wohl eine gruselige Vorstellung: Tausende Ratten, die über nackte Füße krabbeln. Nur ein Albtraum? Nein, im indischen Deshnok spielt sich im Karni-Mata-Tempel genau dieses Szenario ab.

Die 20.000 Ratten, die dort durch die hochherrschaftlichen Hallen huschen, werden nämlich als Heilige verehrt. Deswegen darf man den hinduistischen Tempel im Bundesstaat Rajasthan nur barfuß betreten. Gläubige füttern die Ratten mit Wasser, Milch, Getreide und Kokosnüssen aus edlen Metallschalen. Wasser zu trinken, von dem die Ratten gekostet haben, soll Glück bringen. Genauso wie die Essensreste der Nager zu verzehren. Auch wenn einem Besucher ein Nager über den nackten Fuß huscht, soll ihm das glückliche Zeiten bescheren.

Der Rattentempel ist der heiligen Karni Mata gewidmet

Erbaut wurde die heilige Stätte, deren Eingang hunderte Rattenstatuen zieren, im 20. Jahrhundert von dem Maharaja Ganga Singh. Sie ist Karni Mata gewidmet, die als Erscheinungsform von Durga, der hinduistischen Kraftgöttin gilt, wie das indische Medium „The Free Press Journal“ schreibt.  Die noch zu Lebzeiten als Heilige verehrte Karni Mata soll im 14. und 15. Jahrhundert gelebt haben. Der Legende nach ertrank Karni Matas Sohn in einem Teich. Daraufhin bat sie Yama, den Gott des Todes, ihren Sohn wiederzubeleben. Yama willigte ein, unter der Bedingung, dass Karni Mata und ihre Kinder als Ratten wiedergeboren würden.

Dabei handelt es sich nur um eine von vielen Varianten der Legende. In einer weiteren Abwandlung heißt es, der Todesgott habe Karni Mata geantwortet, er müsse ihre Bitte ablehnen, da ihr Kind schon wiedergeboren sei. Die Heilige schwor daraufhin, dass kein Mitglied ihres Volkes je wieder sein Totenreich betreten werde. Stattdessen sollten ihre ganze Familie, ihre Verwandten und Nachfahren als Ratten wiedergeboren werden.

Die Ratten gelten als heilig

Wie auch immer es sich zugetragen haben mag, die Ratten im Karni-Mata-Tempel nahe der Grenze zu Pakistan gelten heute als heilig. Viele Gläubige sind besonders erpicht darauf, einen der raren weißen Nager zu sehen, schreibt das indische Medium. Die Albinos gelten als Manifestationen von Karni Mata und ihren Söhnen.

Der Tempel wird jedoch nicht nur von Pilgern besucht, sondern auch von Touristen aus aller Welt. Die heilige Stätte ist ein beliebtes Ziel unter Anhängern des Dark Tourism, des Schwarzen Tourismus, geworden. Dark Tourists zieht es an ehemalige Kriegs- und Katastrophenschauplätze sowie an Orte des Schreckens. Der Rattentempel erscheint Angehörigen der westlichen Kultur jedenfalls so gruselig zu sein, dass er auf dem einschlägigen Dark-Tourist-Portal „Atlas Obscura“ gelistet ist.

Gläubige füttern die Ratten mit Milch

„Um den Tempel in voller Pracht zu sehen, sollten Besucher spät in der Nacht oder vor Sonnenaufgang kommen, wenn alle Ratten unterwegs sind, um zu fressen“, heißt es dort. Für Touristen machen die Bewacher des Tempels verschiedenen Tripadvisor-Rezensionen zufolge aber auch Ausnahmen vom Barfuß-Gebot. Sie werden auch mit Socken in den Tempel eingelassen, dessen Boden teils von Rattenkot bedeckt ist.

In der Stadt und rund um den Tempel sind Ratten übrigens nicht heilig, nur im Innern der heiligen Stätte werden sie angebetet. Einige Familien leben dauerhaft im Tempel, um sich um die heiligen Ratten zu kümmern und ihre Exkremente zu beseitigen. Sollte ein Tourist aus Versehen auf eine Ratte treten und sie dabei gar töten, so muss er ein Exemplar spenden – allerdings aus Silber oder Gold. (rer)