Tirol in Österreich Bootstrip in der Eishöhle: Im Skigebiet von Hintertux
Hochgelegen und schneesicher: Nirgendwo in Österreich ist die Skisaison länger als am Hintertuxer Gletscher. Eine geologische Besonderheit erlaubt zudem Einblicke in sein eisiges Inneres.
Hintertux - Als ist es nicht schon verrückt genug, auf einem bis zu 90 Meter dicken Eispanzer eine Piste hinabzufahren. Noch verrückter wird es, wenn man sich klarmacht: 30 Meter unter einem sind wahrscheinlich in diesem Moment Menschen im Eis unterwegs – und fahren Boot.
Richtig gelesen: Boot. Am Hintertuxer Gletscher, in einem entlegenen Winkel Tirols gelegen, kann man nicht nur auf, sondern auch im Eis unterwegs sein – und dort sogar auf dem Wasser.
Nach Hintertux kommen die meisten Gäste aber aus purem Schneehunger, denn allein die Skisaison ist ungewöhnlich lang. Gute Schneebedingungen gibt es in der Regel ab Ende September. Und im Mai, wenn die Lifte in anderen Orten längst wieder stillstehen und bereits die Wanderer anrücken, sind manchmal noch Tiefschneeabfahrten möglich. Hintertux mit seinen Gletschern gilt als einziges Ganzjahres-Skigebiet Österreichs.
Georg Gottfried ist einer von denen, die hier fast das ganze Jahr auf Brettern stehen. Der 34-Jährige ist Ski- und Snowboardlehrer. Er hat die gelassene Ausstrahlung eines Menschen, der zufrieden ist. „Es ist sehr angenehm, weil ich das ganze Jahr als Skilehrer arbeiten kann“, sagt er. Wenn er die Ski mal beiseitelegt, ist er als Bergführer unterwegs – er führt ein Leben in und mit den Bergen.
Skifahren im Hochsommer
Skifahren im Hochsommer, das klingt nach einer abgefahrenen Sache. Doch die Bedingungen sind dann nicht optimal, wie auch Gottfried findet. Er zeigt ein Video, auf dem ein anderer Skifahrer vor ihm fährt, über blankes, gräulich wirkendes Gletschereis. Immerhin: Griffiger als normales Eis sei es.
Im vergangenen Sommer hat der Skibetrieb erstmals in der Geschichte des Gebiets einige Wochen lang geruht: keine Nachfrage, heißt es vom Tourismusverband. Für 20 Wintersportler brauche man die Pisten nicht in Betrieb zu nehmen.
Präpariert wird der Gletscher im Sommer aber dennoch. Um ihn vor der Sonne zu schützen, legen Mitarbeiter der Bergbahnen zwischen Mai und September große Fleece-Matten auf einer Fläche von knapp 60 Fußballfeldern an strategischen Stellen aus. Dadurch würden in der Dicke gemessen im Sommer drei Meter weniger Eis wegschmelzen, sagt Ines Eberl, Marketingleiterin der Gletscherbahnen. Vor den ersten größeren Schneefällen werden die Matten wieder eingerollt.
Während die Gletscher an den nach Norden gewandten Bereichen noch gut durchhalten und zum Teil in den vergangenen Jahren nicht kleiner geworden sind, ist der Schlegeis-Gletscher an der Südseite massiv geschrumpft.
Eintritt in eine eisige Wunderwelt
Auf dem kurzen Fußweg von der Gipfelstation zum Eingang des „Natureispalastes“ - ein Höhlensystem im Gletscher auf über 3.200 Metern Seehöhe, das man sommers wie winters erkunden kann - fällt der Blick hinunter zum Schlegeis-Stausee. Bei unserem Besuch vor Ort Mitte November überspannt die Sesselliftanlage am Hang darüber noch ein Geröllfeld.
Auf der anderen Seite des Bergkamms hingegen läuft der Skibetrieb auf Hochtouren. Hier zieht sich der dicke Eispanzer des Gefrorene-Wand-Kees den Berg hinab bis knapp übers Tuxer Fernerhaus (2.660 m). Mit dem Riepenkees bildet er das Eisfeld, das als Hintertuxer Gletscher bezeichnet wird.
Uns führt der Trampelpfad durch den Schnee schließlich zu einem schmalen Loch in einem Hang. Man zieht den Kopf ein und betritt eine Wunderwelt. Umgeben von dicken Eiswänden und bizarren Eisskulpturen geht es durch schmale Gänge ins Innere des Gletschers. Auf 640 Metern lässt sich der Natureispalast während geführter Touren erkunden. Und dabei lässt sich hier, man ist bis zu 35 Meter unter der Skipiste, auch der Gletschersee entdecken.
Seile an den Seiten und Gummimatten auf dem Boden verhindern, dass man ständig auf die Nase fällt. Auf kleinen Stahlleitern geht es hoch und hinunter. Und dann plötzlich öffnet sich der Gang und gibt den Blick frei auf das außergewöhnliche Gewässer, in dem ein ganz gewöhnliches Schlauchboot liegt. Wir steigen ein und schieben uns an den Eiswänden entlang 50 Meter ans andere Ufer - und wieder zurück.
Eisschwimmen unterm Eispanzer
Allein das ist eine eindrückliche Erfahrung. Wer will, kann sich aber auch direkt ins Wasser begeben. Eisschwimmen wird im Rahmen von Touren angeboten, aber nur unter Vorlage eines ärztlichen Attests.
Denn die Bedingungen sind harsch: Die Wassertemperatur im See liege bei minus 0,6 Grad, erklärt Thomas Kurz, unser Tourguide. Gefrieren würde es aufgrund der geologischen Besonderheiten und geringen Anteile an Sauerstoff und Mineralien erst bei ungefähr minus fünf Grad.
Nahe der Gipfelstation steht am Büro des Eispalasts ein Pappaufsteller vom österreichischen Eisschwimmer Josef Köberl in Badehose. Natürlich ist er auch schon hier schwimmen gewesen.
Im Natureispalast gehen Tourismus und Wissenschaft, vor allem Glaziologie, Hand in Hand. Die Touren dienen der Finanzierung der Forschung. Aus Heidelberg, Innsbruck und Davos kommen die Wissenschaftler, hier steht der tiefste Gletscherschacht der Welt – 52 Meter geht es in die Dunkelheit hinab, bis auf den Grund des Gletschers. Auf der Tour kann man auch in diese gähnende Leere hinabschauen.
Dass es dieses Höhlensystem im Eis überhaupt gibt, ist besonderen Umständen zu verdanken. Eigentlich bewegen sich Gletscher mehrere Meter im Jahr – auch in Hintertux, weshalb die Stützen der Lifte regelmäßig versetzt werden müssen. Wo sich der Natureispalast befindet, ist der Gletscher am Felsen aber wie festgewachsen. Deshalb konnte sich auch der einzigartige See in seinem Innern bilden.
Vergänglichkeit des „ewigen“ Eises
Die Frage der Vergänglichkeit stellt sich aber auch in Hintertux. Wie lange es den Gletscher noch geben wird, wird Tourguide Kurz gefragt. Er stellt eine Gegenfrage: „Wissen Sie, wie das Wetter 2034 werden wird?“
Der Experte erläutert, dass der Gletscher vor mehr als 10.000 Jahren noch bis Mayrhofen hinabging, weit unten im Tal. Der natürliche Klimawandel spiele für den Rückgang eine Rolle, aber natürlich gehe es durch den Menschen schneller.
Kurz sagt: „Wir können nicht verhindern, dass er verschwindet, aber wir können unser Bestes tun, die Natur zu erhalten, falls er irgendwann mal wiederkommen will.“ So zum Nachdenken angeregt geht es wieder raus aus dem Herz des Gletschers auf seinen Rücken.
Links, Tipps, Praktisches:
Reiseziel: Der Hintertuxer Gletscher liegt am Ende des Tuxer Tals, das sich vom Zillertal nach Südwesten abzweigt. Er ist einer der fünf Gletscher-Skigebiete in Tirol. Hinter den Gipfeln liegen der Brennerpass und Italien. Nach Innsbruck sind es von Hintertux 90 Kilometer, nach München 175.
Anreise: Mit dem Fernzug über München oder Innsbruck nach Jenbach. Von dort mit der Zillertalbahn bis Mayrhofen und mit dem Linienbus weiter ins Tuxer Tal. Der nächste Flughafen liegt bei Innsbruck.
Skigebiet: Der Hintertuxer Gletscher kommt im Winter auf bis zu 64 Pistenkilometer. Er bildet dann mit den Skigebieten Eggalm, Rastkogel, Finkenberg, Penken/Mayrhofen und Ahorn die Ski- und Gletscherwelt Zillertal 3000. Zusammen bietet der Verbund in der Wintersaison bis zu 206 Pistenkilometer.
Sommerabfahrten: Während in den meisten anderen Gebieten die Saison von Anfang Dezember bis April läuft, ist auf dem Gletscher (2.660 bis 3.250 m) auch im Sommer Skifahren möglich.
Unterkunft: Im Tuxer Tal gibt es Ferienwohnungen, Ferienhäuser und Hotels, die Anzahl an Vier- und Fünf-Sterne-Häusern ist hoch, das Preisniveau auch – vor allem in den Ferien.
Unter dem Eis: Mitten im Eisschild des Gefrorene-Wand-Kees – einem Teil des Hintertuxer Gletschers – gibt es ein System von Gletscherspalten, das als Natureispalast öffentlich zugänglich ist. Das meiste davon ist natürlich entstanden, nur vereinzelt wurden Durchgänge künstlich angelegt. Wer alles über Gletscher erfahren will, bucht am besten die zweistündige „wissenschaftliche Tour“ (Mindestalter: 14 Jahre; Preis: 99 Euro pro Person). Teil der Touren ist die Fahrt im Schlauchboot auf dem Gletschersee; auch Stand-up-Paddling kann man buchen.
Unter der Erde: Nichts für Menschen mit Platzangst, aber abenteuerlich und lehrreich für alle anderen ist die Spannagelhöhle, zehn Gehminuten von der Seilbahnstation am Fernerhaus entfernt. Bisher sind gut 13 Kilometer dieses Höhlensystems erschlossen, auf Führungen kann man einen Teil erkunden. Man quetscht sich durch Engstellen, duckt sich unter Vorsprüngen und lernt eine Menge über die Millionen Jahre alte Gesteine und wie sie unter den Alpen schieben und arbeiten.
Weitere Auskünfte: www.tirolergletscher.com; www.hintertuxergletscher.at
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