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Schluss mit Algorithmen Psychotests, Facebook-Profile, Fragenkataloge: Schluss mit den Algorithmen - wer heiraten will, sollte auf sein Bauchgefühl hören

Von Rebecca Erken 08.04.2016, 14:38
Wenn ein Paar JA zueinander sagt.
Wenn ein Paar JA zueinander sagt. imago stock&people

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ – nie hatte diese Warnung mehr Gültigkeit als heute, in unserer bis auf den letzten Zentimeter vermessenen, hyperdigitalen, superoptimierten Welt. Nie standen potenzielle Partner stärker auf dem Prüfstand: Schließlich leben wir in Zeiten, in denen Algorithmen bestimmen, ob wir jemanden als Date überhaupt in Erwägung ziehen. Kulturbanausen, die nicht gerne in die Oper gehen, schlägt unsere bevorzugte Dating-Plattform uns erst gar nicht vor. Genauso wenig wie Singles, die nichts für Skandinavien übrig haben, oder die zugeben, gerne Action-Filme zu sehen. Denn: Jegliche Eigenschaften, die in unseren Augen Makel oder Fehler sind, haben wir ja zur Sicherheit schon vorher ausgeschlossen.

Spuckt die Liebes-Maschine dann endlich denjenigen aus, der den Unterschied zwischen Operette und Oper erklären kann, der weiß, wer Edvard Grieg ist und der noch nie im Leben einen Film mit Arnold Schwarzenegger gesehen hat, riskieren wir aber noch lange kein Treffen.

Wir sind alle zu perfekten Partner-Profilern geworden

Bevor es zur ersten Verabredung kommt, muss die- oder derjenige dann noch den Google-Test (Job, Wohngegend, Kinder) bestehen, bevor wir die sozialen Netzwerke checken: Hat der andere auch kein peinliches Sonnenuntergangs-Foto bei Instagram eingestellt? Postet Rezensionen zu Büchern von Cecelia Ahern? Bloggt über Koi-Karpfen? Oder ist möglicherweise Mitglied in einem Mundharmonika-Orchester?

Wir sind alle zu perfekten Partner-Profilern geworden. Die Fahndung nach dem Richtigen ist dermaßen ausgetüftelt, dass jeder aus dem Raster fällt.  Die Prüfung so schwierig, dass sie keiner besteht.

Deswegen heiraten vielleicht auch immer weniger Menschen: Infrage kommende Kandidaten müssen Marathon-Qualitäten entwickeln und vor einer Hochzeit so viele Hürden überwinden, dass es zum Finale nur noch selten kommt. Sogar die New York Times ist jetzt auf diesen „Sicher ist Sicher“-Zug aufgesprungen und hat einen von Paartherapeuten abgesegneten Katalog mit 13 Fragen zusammengestellt, die sich angehende Brautpaare vor ihrer Hochzeit stellen sollten. „Mögen wir die Eltern unserer Partner?“, steht da zum Beispiel. Und: „Werden unsere ehemaligen Partnerschaften unsere Beziehung fördern oder behindern?“ Oder: „Wie wichtig ist uns Religion und welche Religion werden unsere Kinder haben?“

Mit dem Fragenkatalog Enttäuschungen verhindern

Mit dem Fragenkatalog wollen die Experten erreichen, dass man nicht während der Ehe desillusioniert wird, sondern vorher mögliche Enttäuschungen aus dem Weg räumt – und sich im Notfall noch schnell trennen kann. Aber – ein sehr großes „Aber“: Eine Garantie für eine glückliche Ehe gibt es nie. Es kann hilfreich sein, in Grundsätzen übereinzustimmen, aber ist es wirklich so wichtig, ob man die Eltern des Partner leiden kann oder nicht? Muss man wirklich sämtliche Ex-Beziehungen durchanalysieren? Oder schon Jahre vorher über die mögliche Religion der Kinder diskutieren?

Die Fragen könnten „Geheimnisse aufdecken, bevor es zu spät ist“ ´, schreibt die New York Times. So könne man klären, ob der potenzielle Partner wirklich der „Freund und Vertraute“ sei, mit dem man „ein sicheres Leben“ aufbauen kann. Wir wollen immer „sichergehen“ in diesen unsicheren Zeiten, ganz besonders, wenn es um die Person an unserer Seite geht.

Liebe ist nicht logisch

Dabei wird eines oft vergessen: Liebe ist nicht logisch. Mit der Vernunft ist sie noch nicht einmal entfernt verwandt. Wer jemanden liebt, der fühlt es – und zwar im Bauch. Wer sich vorstellen kann, mit jemandem sein Leben zu verbringen, wird das spüren, und zwar dort, wo manche Schmetterlinge vermuten. Wenn jemand „der oder die Richtige“ ist, dann wissen die meisten das intuitiv.

Natürlich können trotzdem Zweifel aufkommen, weil der andere ein furchtbares Hobby hat, schreckliche Freunde oder anstrengende Eltern, die täglich anrufen. Weil es Phasen gibt, in denen man sich nur streitet, weil es Angewohnheiten gibt, die einen immer wieder aufs Neue nerven, weil der andere immer zu spät kommt oder ständig etwas vergisst, sich partout nicht immer so verhält, wie man es gerne hätte.

Unser Unterbewusstsein hat längst entschieden

Aber diese Überlegungen sind eben Gedanken, die erst kommen, wenn wir innerlich schon längst „ja“ gesagt haben. Unser Kopf sagt uns: „Das klingt so viel vernünftiger als das, was Dir irgendein primitives Bauchgefühl suggeriert.“ Schließlich haben wir lange gelernt, dass es in den meisten Lebensbereichen gut ist, vernünftig zu sein: In der Schule, im Studium und im Job, bei unserem Versicherungsmakler oder beim Autokauf. 

Doch während wir in Sachen Liebe Fragenkataloge beantworten, Pro- und Kontralisten in Excel erstellen und den Ideal-Partner konfigurieren, hat unser Unterbewusstsein längst entschieden. Deswegen kann man sich auch den ganzen Stress sparen – und einfach glücklich sein. Auch wenn das manchmal bedeutet, Koi-Karpfen zu bewundern oder das Groupie eines Mundharmonika-Orchesters zu werden.