Prügelattacke in Euskirchen Prügelattacke in Euskirchen: Wie spreche ich mit meinem Kind über Gewalt an der Schule?
An einer Schule in Euskirchen (NRW) ist ein Junge durch eine Prügelattacke lebensgefährlich verletzt worden und liegt nach Angaben der Staatsanwaltschaft immer noch auf der Intensivstation. Nicht nur die regionalen Medien haben viel darüber berichtet. Wir haben einen Experten gefragt, wie Eltern mit diesem Thema zu Hause umgehen sollten. Ein Interview mit Prof. Stephan Bender, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Uniklinik Köln.
Herr Bender, sollten Eltern das Thema „Gewalt an der Schule“ zu Hause ansprechen oder lieber warten, bis das Kind selbst davon erzählt?
Prof. Stephan Bender: Eltern können durchaus von dem Fall erzählen und aktiv bei dem Kind nachfragen, ob es Schwierigkeiten mit Gewalt in ihrer Schule gibt. Ich finde es gut, wenn sie Raum für ein Gespräch schaffen. Wenn möglich, sollten sie aber auf Suggestionen verzichten – also auf Sätze wie ‘Bei Euch ist das doch bestimmt auch so!’ und ähnliche Formulierungen. Das erzeugt bei dem Kind nur unnötig Angst. Außerdem kann es nicht frei überlegen, wie es nun genau an der eigenen Schule ist.
Wie sollten Eltern vorgehen, wenn ihr Kind Angst vor ähnlichen, potentiellen Gewaltsituationen im eigenen Umfeld hat?
Bender: Das kommt auf die Art der Angst an. Wenn sie diffus und allgemein ist und zum Beispiel durch die aktuelle Nachrichtenlage ausgelöst wird, kann man mit seinem Kind Handlungsstrategien entwickeln. Also zum Beispiel überlegen, was es tun könnte, wenn es Zeuge einer Gewalttat an der Schule werden sollte: ‘Wen kann ich ansprechen, welche Nummer wähle ich auf meinem Handy?’ Es sollte zum Beispiel wissen, dass es bei schweren Gewalttaten auch die 110 wählen kann. Außerdem sollte man klären: ‘Wann mische ich mich ein, wann muss ich mich selbst schützen?‘ Und: ‘Gibt es bestimmte Ecken auf dem Schulgelände, die nicht gut kontrolliert und tatsächlich gefährlich sind‘ Und falls ja: ‘Kann ich diese meiden?‘
Wenn das eigene Kind schon Opfer von Gewalt oder Mobbing wurde
Und wenn die Angst wirklich akut ist? Was tut man mit einem Kind, dass selbst vielleicht sogar schon einmal Opfer von Gewalt oder Mobbing wurde?
Bender: Wenn ein Kind Gewalt erfahren hat, egal ob physische oder verbale, sollte man als erstes immer versuchen, seine Gegenwart abzusichern. Das heißt, man sollte, so weit es geht, keine neuen Situationen zulassen, in der es wieder schlimme Erfahrungen machen kann. Dazu müssen Eltern die Konstellationen der erfahrenen Gewalt klären. Wer war damals beteiligt? Handelte es sich um eine Einzelperson oder um mehrere? Wo und wie ist die Situation abgelaufen? Im nächsten Schritt sollte man auch überlegen, welche Konsequenzen das Ganze haben muss. Wenn es „nur“ eine Schubserei war, ist eine Anzeige natürlich nicht hilfreich. Dann sollte man mit Lehrern und Eltern sprechen. Wenn es heftiger war, wenn sogar Verletzungen die Folge waren oder illegale Umstände vorliegen, muss die Gewalttat rechtliche Konsequenzen haben. Die Eltern von betroffenen Kindern sollten aber nicht direkt mit dem anderen Kind alleine sprechen, sondern kommunikativ auf einer Ebene bleiben, das heißt lieber mit anderen Erwachsenen sprechen. Wird ein Kind von einem Erwachsenen konfrontiert, neigen andere Erwachsene oft dazu, sich vor das Kind zu stellen.
Was kann ich neben dem Schutz noch für mein betroffenes Kind tun?
Bender: Eltern sollten ihre Kinder trotz der negativen Erfahrungen ermutigen, neu in „geklärte Situationen” hineinzugehen. Sie müssen lernen, dass es möglich ist, auch wieder positive Erfahrungen zu machen. Wenn mein Kind nach einer Angst auslösenden Situation, in der es von seinen Mitschülern beleidigt wurde („Mobbing“), trotz einer Klärung der Situation (Gespräche der Lehrer mit der Klassengemeinschaft, ausreichende Aufsicht durch die Lehrer) nicht in die Schule gehen möchte, muss ich es ermutigen, sich seiner Angst und der Situation zu stellen, um die Erfahrung zu machen, dass es diese Aufgabe (Schule besuchen, sich in der Klasse behaupten) meistern kann. Sonst greift Vermeidung um sich und die Angst wird immer größer und schlimmer. Natürlich kann man mit seinem Kind zur Vorbereitung besprechen, wie es sich konkret verhalten kann, entscheidend ist aber die reale Umsetzung.
Wenn das eigene Kind zum Täter wurde
Was tue ich, wenn ich erfahre, dass ICH die Mutter oder Vater eines gewalttätigen oder aggressiven Kindes bin?
Bender: Jedes Kind kann einmal wütend oder aggressiv werden. Wenn sich die Situationen jedoch häufen, müssen Eltern handeln. Die Klärung der Ursachen ist unvermeidlich: Wann und warum neigt mein Kind zur Gewalt? Ist es dominant und versucht seine Machtposition innerhalb der Klasse zu erhalten? Falls dies der Fall ist, sollten sie versuchen, es aus dieser zentralen Rolle herauszunehmen und zwar konsequent. Dies muss mit den Lehrern gemeinsam angegangen werden. Außerdem ist es sehr wichtig, dass dominante Kinder intakte Freundeskreise und zufriedenstellende Hobbies pflegen. Dass sie lernen mit ihrem Leben zufrieden zu sein und dazu nicht andere unterdrücken müssen.
Und was können Eltern tun, wenn das Kind eher impulsartig zu Ausrastern neigt?
Bender: Sie sollten gemeinsam mit ihrem Kind versuchen herauszufinden, in welchen Situationen es zu Ausrastern neigt und versuchen, ihm Handlungsalternativen aufzuzeigen. Wenn es sich um eine Mischung aus dominanter Aggressivität und Impulsreaktionen handelt, ist es schwieriger, Probleme konstruktiv zu lösen. Auch dann gilt, dass das Kind aus der dominaten Rolle geholt werden sollte.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Eltern Aggression und Gewaltbereitschaft des eigenen Kindes übersehen?
Bender: Wenn Sie nah an Ihrem Kind dran sind, haben Sie immer ein prinzipielles Gespür für Ihr Kind. Dann werden Sie es nicht übersehen. Sie wissen, ob es hilfsbereit ist, sozial engagiert und konstruktiv.
Wo bekommen Eltern Hilfe, wenn Sie sich mit dem Thema überfordert fühlen und gar nicht mehr wissen, was sie tun sollen?
Bender: In diesem Fall ist es sicher ratsam, die Probleme mit den Sozialarbeitern an der Schule oder mit Vertrauenslehrern zu sprechen, um sich pädagogischen Rat zu holen. Wenn dies nicht reicht, sollten Eltern Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder Kinder- und Jugendpsychiater zu Rate ziehen.
Zur Person: Prof. Stephan Bender ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Uniklinik Köln.