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Netz-Karriere Netz-Karriere: Duo Sonnenschirm

Von Steffen Könau 13.04.2012, 15:15

Halle (Saale)/MZ. - Zwischen Nacht und Morgen schrie das Baby. Es ist zu spät, um noch mal einzuschlafen, aber es ist auch zu früh, um schon richtig aufzustehen. Annedore Linder hat sich damals also an den Computer gesetzt, hier mal geguckt und dort mal geschaut. Das Internet ist damals, Ende der 90er Jahre, noch ein weitgehend unerforschtes Land: Google hatte eben erst angefangen. Amazon verkaufte wirklich bloß Bücher. Und das Internet-Auktionshaus Ebay hieß hierzulande noch Alando.

Annedore Linder fand die Idee dahinter trotzdem faszinierend. "Ich habe mich eines Nachts einfach angemeldet und Kindersachen, die zu klein geworden waren, angeboten." Die diplomierte Landwirtin mit dem Extra-Abschluss in Betriebswirtschaft nennt sich "Anndora", weil "Annedore" leider schon besetzt ist: "Ich bin ein großer Fan der Serie ,Verliebt in eine Hexe' und die rothaarige Schwiegermutter dort heißt so ähnlich". Annedore Linder hat schließlich auch rotes Haar. Außerdem ist das alles ja nur Spaß, nicht wahr.

Es geht ihr dann allerdings wie dem Ebay-Gründer Pierre Omidyar ein paar Jahre zuvor. "Als ich damals angefangen habe", hat der Internet-Unternehmer später gestanden, "hätte ich nie gedacht, dass das ein Erfolg werden könnte." Auch die gebürtige Weißenfelserin staunt bald über die Nachfrage nach ihren Angeboten. Noch mehr staunt Ehemann Ralf, der damals noch als Monteur mit eigener Firma arbeitet. "Du musst zusehen, dass Du jetzt richtige Lieferanten findest", rät er.

Das aber ist ein Problem, wie Annedore Linder schnell feststellt. "Als Internethändler warst du am Anfang wie aussätzig", erinnert sie sich, "die normalen Anbieter haben abgewunken, selbst beim Großmarkt hatten wir Probleme". Etwa, als sie einen Sonderposten Kalender erwerben will. " Was wollen Sie denn mit der ganzen Palette", heißt es da schon mal, "die können Sie doch nicht alle nehmen!"

Annedore Linder erzählt solche Schnurren aus der Steinzeit ihrer Anndora-Shoppingwelt heute mit lautem Lachen. Wie sie damals überlegt haben, in welche Richtung der eigene Internet-Laden sich spezialisieren könnte. Wie Montage-Experte Ralf Linder auf die Idee kam, Freizeit, Garten und Heimwerkerbedarf ins Visier zu nehmen. Wie sie auf Messen anstanden, um an deutsche Hersteller ranzukommen. Wie sie abgewimmelt wurden. "Dann sind wir halt zu einem Werkzeugmaschinen-Hersteller nach Belgien gefahren."

Ebenso schwierig war es, Banken davon zu überzeugen, Kredite zu vergeben. "Am Anfang haben wir alle Einnahmen gleich wieder in den Wareneinkauf gesteckt." Auch ein paar Ebay-Aktien, die sich Annedore Linder vom Gesparten zugelegt hat, müssen zu jeder Zeit dran glauben. "Ich wusste, dass ich mehr gewinne, wenn ich das Geld ins eigene Geschäft stecke." Vielleicht, scherzt die Hobby-Skifahrerin, seien das die Kaufmannsgene ihrer Oma Ilse, die einen Kolonialwarenladen in Bad Dürrenberg hatte. Ein bisschen war aber auf jeden Fall auch das Gefühl schuld, eine Chance in die Hand bekommen zu haben. "Landwirtin mit kleinem Sohn", knirscht Annedore Linder mit blitzenden Augen, "da winkt jeder Arbeitgeber ab." Dann doch lieber einen eigenen Geschäftsplan, auf eigenes Risiko. "Je besser die finanziellen Möglichkeiten wurden, desto besser lief es", beschreibt Annedore Linder. Und umso größer wurde auch das Selbstvertrauen der Jungunternehmerin aus dem Saalekreis. Als der Lieferant ihrer Sonnenschirme, die bis dahin immer ein Renner waren, eines Tages überraschend aufgibt, heuert sie auf ganz ungewöhnliche Weise Ersatz an: "Ich habe einfach auf eine Spam-Mail aus China geantwortet, in der eine Firma anbot, Schirme ganz nach Wunsch herzustellen."

Wer wagt, gewinnt. "Ich habe allen ganz offen gesagt, dass ich keine Ahnung habe, wie das laufen muss, damit so ein Container mit Schirmen wohlbehalten hier bei mir ankommt", erzählt Annedore Linder. Aber so schlecht, wie die Welt manchmal aussieht, ist sie gar nicht: Ein befreundeter Ebay-Händler kennt eine Spedition, die "das alles als Kuschelnummer durchzieht", wie Linder sagt. Auch die Bank nimmt sie an die Hand. Und der Chinese liefert pünktlich und in hervorragender Qualität. "Nun schon seit sieben Jahren", sagt die temperamentvolle Händlerin aus Rothenburg, die mit ihren "Shoppingwelten" gerade den hunderttausendsten Bewertungspunkt von ihren Kunden eingesammelt hat.

Aus dem Zufallsladen mit den Zufallsprodukten ist längst eine professionell geführte Firma mit klarer Strategie geworden, die einen ganzen Gebäudekomplex in einer ehemaligen Kaserne am Ortseingang von Halle belegt. Elf Angestellte zählt das virtuelle Anndora, die Einkauf und Shopdesign, Pflege der Internetseite und Lagerverwaltung im eigenen Haus erledigen. Alle Bestellvorgänge werden von einer Software automatisch bearbeitet und bei sofortiger Bezahlung etwa über das schnelle Paypal-Verfahren geht die Ware noch am selben Tag auf die Reise zum Kunden. "Jedes Produkt, das auf unseren Ebayseiten angeboten wird, liegt auch wirklich hier bei uns hier im Lager", weist Annedore Linder hinüber zum Depot des "Baumarkts ohne Baustoffe", wie sie ihr Haus-Garten-Freizeit-Kaufhaus am liebsten nennt.

Rund hunderttausend Artikel werden derzeit jährlich über Anndora bestellt, das sind mehr als 450 Pakete, die pro Arbeitstag verschickt werden müssen. Gar nicht mehr daran zu denken, das abzuwickeln wie ganz am Anfang. "Damals habe ich alles selbst gemacht." Heute versendet Sachsen-Anhalts zweitgrößter Ebay-Anbieter in alle Welt: "Wir haben sogar einen treuen Kunden in Wladiwostok", schmunzelt die Firmenchefin. Für den Mann werde die Ware von der Lagerbesatzung inzwischen für die lange Reise nach Osten stets extra sicher eingepackt. "Der soll ja seine Freude dran haben."

Annedore Linder hat sie sichtlich. Seit einiger Zeit ist Anndora ein Familienunternehmen, in dem auch Ehemann Ralf mitarbeitet. Mit seinen selbstimportierten Sonnenschirmen hat das Duo inzwischen Pizzerien und Hotels ausgestattet. Die anfangs aus Mangel an Alternativen angebotenen belgischen Akkuschrauber, Bohrmaschinen und Rasenmäher haben sich mittlerweile sogar einen Markennamen gemacht. Und zu Ende ist die Geschichte noch lange nicht. "Wir lernen ja immer noch jeden Tag dazu", sagt Annedore Linder."