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MZ-Lesertelefon MZ-Lesertelefon: «Wittenberg ist voller geistiger Mittelpunkte»

28.11.2003, 18:10

Halle/MZ. - Klaus Werner, Dessau: Herr Ministerpräsident, ich bin seit sechs Jahren Landesbediensteter und pendle täglich zwischen Dessau und Merseburg. Ab Januar werde ich nun doppelt bestraft, weil die Bundesregierung die Pendlerpauschale abschafft und das Land gleichzeitig die Gehälter kürzt. Da lohnt es sich gar nicht mehr zu arbeiten . . .

Böhmer: Ob die Pendlerpauschale im nächsten Jahr tatsächlich abgeschafft wird, ist ja noch offen. Ich selbst bin für deren Beibehaltung ab 20 Kilometern. Und was die Tarifvereinbarung angeht: Die Gewerkschaften sind Teil eines Tarifsystems, mit dem wir einen solidarischen Personalabbau vereinbart haben. Um niemanden betriebsbedingt kündigen zu müssen, haben wir uns so geeinigt. Die meisten betrachten das als eine solidarische Entscheidung, wenige diskutieren wie Sie.

Günter Jesch: Ich bin 56 Jahre, seit fast vier Jahren arbeitslos und finde keine Arbeit. Ich habe große Sorgen wegen der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. 331 Euro im Monat sind elf Euro pro Tag.

Böhmer: Es gibt tatsächlich die politische Absicht, die beiden Dinge zusammenzulegen. Wie das genau aussehen soll, wie hoch die Sätze sein werden, weiß im Moment noch niemand. Nach Berechnungen meiner Mitarbeiter würden das je Jahr 140 Millionen Euro weniger an Zuwendungen und damit an Kaufkraftverlust bedeuten. Ob das so kommt - ich bin da skeptisch. Denn ich bin nicht bereit, einer Lösung zuzustimmen, wonach Sachsen-Anhalt am Ende schlechter dasteht als vorher.

Georg Geipel: Ich finde, dass die Macht der Rechnungshöfe begrenzt werden sollte. Was halten Sie davon?

Böhmer: Wir brauchen die Rechnungshöfe, damit die Exekutive und damit auch unsere Landesregierung kontrolliert wird, ob sie angemessen handelt. Ich kann Sie zudem nur ermuntern: Wenn Sie konkrete Fälle von vermeintlicher Mittelverschwendung kennen, schreiben Sie den Landesrechnungshof als das zuständige Kontrollorgan ruhig an.

Horst Bothe: Ich bin MZ-Abonnent aus München, mein Thema heute ist aber die mittelfristige Schulentwicklungsplanung. Die Einzugsbereiche decken sich in der Regel nicht mit den historisch gewachsenen. Die Eltern werden also gezwungen, ihre Kinder woanders einzuschulen: ein Zustand, der so nicht sein sollte.

Böhmer: Das Grundgesetz verpflichtet uns zur Sicherstellung des Rechtes auf Bildung. Wenn es nach mir ginge, würde ich das alles anders machen. Die Eltern würden pro Schuljahr einen Gutschein erhalten für die Schule, wo sie ihr Kind untergebracht haben möchten. Der Schuldirektor müsste dann eigenverantwortlich mit dem Geld wirtschaften. Rechtlich ist das momentan freilich nicht möglich, so dass wir Steuerungssmechanismen brauchen, um die uns auferlegten Pflichten zu erfüllen.

Lars Unruh, Wittenberg: Herr Ministerpräsident, es gibt viele Bemühungen zur Förderung der Evangelischen Akademie in Wittenberg, weil das der einzige geistige Mittelpunkt Wittenbergs ist . . .

Böhmer: Das kann ich so nicht stehen lassen. Wittenberg ist voller geistiger Mittelpunkte. Es gibt keine Rechtsgrundlage für die institutionelle Förderung einer Evangelischen Akademie, das wird über den Staatsvertrag abschließend geregelt. Insofern ist die Finanzierung der Akademie keine Aufgabe unserer Landesregierung, die Akademie ist eine Einrichtung der Kirche. Das habe ich aber auch schon dem Herrn Bischof gesagt. Ich sage Ihnen: Eine gewisse Ordnung muss auch unter uns christlichen Menschen sein.

Michaela Zielke, Wernigerode: Der Wernigeröder Kreistag erwägt, die Thomas-Müntzer-Sekundarschule zu schließen. Es handelt sich um eine der größten Innenstadt-Schulen in Wernigerode. Die Schüler würden auf drei Einrichtungen verteilt. Werden Sie die Vorgaben für die Schul-Mindestgrößen nochmals ändern?

Böhmer: Sie können nicht mit Gesetzen die Zahl der Kinder ändern. Die Zahl der Schüler ist so extrem zurück gegangen, dass wir aus Gründen vernünftiger Schulstrukturen konzentrieren müssen. Die konkreten Entscheidungen vor Ort müssen dabei vom Kreistag getroffen werden. Ich werde Einzelfälle nicht kommentieren und ich werde keinen Einfluss nehmen. Ich bekomme derzeit fast täglich Briefe von Eltern, die wie Sie um den Erhalt der Schule ihrer Kinder kämpfen. Doch ich bitte da um Verständnis, das kann nicht von der Staatskanzlei aus entschieden werden.

Ingeborg Renschel, Hoym: Es gibt Forderungen aus der Landes-CDU, Studiengebühren auch für das Erststudium einzuführen. Ich bin wenigstens für die Einführung von Prüfungsgebühren bei Wiederholungs-Prüfungen. Bei einer Führerschein-Prüfung muss man auch zahlen.

Böhmer: Ich möchte klar stellen: Studiengebühren für ein Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss sind von der Landesregierung in Sachsen-Anhalt nicht geplant. Was wir mit dem neuen Hochschulgesetz einführen wollen, sind Gebühren für Studenten, die die Regelstudienzeit um mindestens zwei Jahre überschreiten. Ihren Vorschlag mit den Prüfungsgebühren nehme ich mit in die Diskussion.

Roswitha Jendryschik, Halle: Was kann Sachsen-Anhalt tun, um mehr ausländische Studierende anzuwerben? Insbesondere in China gibt es großes Interesse an einer Hochschulausbildung in Deutschland.

Böhmer: Das ist uns bekannt. Al- lerdings erlaubt die chinesische Regierung nur einer bestimmten Anzahl von Studenten jährlich das Auslands-Studium. Wir haben aber bereits Gespräche mit dem Kulturattaché der chinesischen Botschaft geführt.

Gertrud Grothe, Dessau: Warum sind die Kassen so leer? Der Staat steuert doch auf Armut zu.

Böhmer: Weil wir Deutschen höhere Ansprüche stellen, als wir bezahlen können. Ich möchte aber doch darauf hinweisen, dass trotz aller Probleme der Armutsbegriff, den Sie nutzen, ein ganz anderer ist als der, mit dem andere Länder konfrontiert sind.

Jakow Li, Halle: Ich bin der ehemalige Landesvorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt. Herr Böhmer, bei Gemeindemitgliedern in Dessau, Magdeburg und Halle entsteht der Eindruck, die kritischen Berichte des Landesrechnungshofes zur Verwendung von Landesgeldern bei den jüdischen Gemeinden würden unter den Teppich gekehrt.

Böhmer: Die Regierung ist gewillt, aufzuklären und Schlussfolgerungen zu ziehen. Allerdings werden diese Gespräche nicht öffentlich geführt, nicht jedesmal mit einer Pressemitteilung begleitet, und das ist auch richtig so. Es wird aber nichts unter den Teppich gekehrt.

Werner Trieber, Halle: Warum sind wir nicht ehrlich zu uns? Die Arbeitslosigkeit liegt doch viel höher, als es die Statistik aussagt.

Böhmer: Sie spielen auf den zweiten Arbeitsmarkt an. Wer es wissen will, kann die wirklichen Zahlen aber sehr wohl aus der Statistik ablesen. Die ausgewiesenen Arbeitslosen-Zahlen, das ist sozusagen die Netto-Arbeitslosigkeit. Dazu kommen all die Menschen, die in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sind. Sie haben Recht: Insgesamt ist die Zahl derjenigen, die nach einer neuen Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt suchen, viel größer.

Gerald Meiser, Halle: In der freien Wirtschaft werden Mitarbeiter entlassen, wenn es zu wenig Arbeit gibt. Warum geht die Landesregierung nicht auch diesen Weg, anstatt Tausende per Tarifvertrag einer Arbeitszeit- und Gehaltskürzung zu unterwerfen?

Böhmer: Das hätte man sicherlich machen können. Aber bei einer Arbeitslosigkeit von 20 Prozent im Land haben wir uns bewusst entschieden, die Belastung solidarisch zu verteilen. Wenn Tausende Angestellte fünf Prozent weniger arbeiten, halte ich das eher für zumutbar als die Kündigung von 500 oder vielleicht sogar 1 500 Menschen.

Albrecht Fiedler, Halle: Sie fordern Sparsamkeit von allen. Gleichzeitig genehmigen sich die Landtagsabgeordneten eine Diätenerhöhung.

Böhmer: Das stimmt nicht. Die Landtagsabgeordneten haben zwei Nullrunden für 2004 und 2005 beschlossen.

Gerhard Langer, Wolfen: Die Wahlbeteiligung ist oft so gering, dass sich die Frage nach der Legitimation der Gewählten stellt. Müsste man nicht eine Mindest-Wahlbeteiligung festsetzen? Kommen zu wenig Leute, wäre die Wahl ungültig.

Böhmer: Das würde zu immensen Problemen führen. Wahlen müssten womöglich zwei oder drei Mal angesetzt werden. Wenn schon, müsste man über einen Wahlzwang reden, wovon ich persönlich nichts halte.

Vera Bentke, Magdeburg: Im nächsten Jahr kommt die Pflicht, die Praxisgebühr beim Arztbesuch zu entrichten. Halten Sie es für richtig, die Ärzte zum Kassierer der Nation zu machen?

Böhmer: Ich gebe zu, ich hatte zunächst gedacht, es ginge um die Einführung einer Art Krankenschein-Gebühr, wie es sie ja bereits früher schon gab. Die jetzige Lösung ist das Ergebnis der Abstimmung zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkassen als Vertretern der Selbstverwaltungs-Körperschaften. Man muss sie akzeptieren. Einfacher geworden ist das System dadurch aber nicht.

Toni Franke, Halle: Man sollte den 6. Januar als gesetzlichen Feiertag abschaffen. Das würde Geld sparen.

Böhmer: Das zu beschließen, wäre Aufgabe des Parlaments, nicht der Regierung. Soweit ich mich erinnern kann, hat der Landtag in den vergangenen Jahren dreimal darüber abgestimmt. Ich habe jedes Mal für die Abschaffung des Feiertages votiert und bin jedes Mal überstimmt worden. Jetzt bin ich kein Landtagsabgeordneter mehr.

Fragen und Antworten notierten unsere Redakteure Steffen Reichert und Ute Albersmann.