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Models Models: Raus und Spaß haben

Von marlene köhler 19.10.2012, 18:11

Halle (Saale)/MZ. - Ihre Mutter hatte sie früh noch angerufen, sie hatte es gerade im Radio gehört: "Ihr müsst tanzen. Zieh dich bequem an." Barbara Kademann, 62, macht sich auf zum Modelcasting, in Hose und Bluse, so wie sie es liebt, sportlich elegant. Was sie wohl erwarten würde an jenem Augustsonntag im Leipziger Tanzcentrum Seidel? Seit sie die Anzeige der Leipziger Messe gesehen hat, die Frauen wie du und ich für die Modenschauen auf der 50plus Messe "Die 66" sucht, ist sie etwas aufgeregt. Wo sonst kann man sich schon in diesem Alter präsentieren? "Das probier ich", sagt sich die Leiterin eines Reisebüros, ermuntert auch von den Eltern (84 und 85) sowie den beiden Söhnen.

Barbara Kademann ist mit diesem Gedanken nicht allein. 129 Frauen, zwischen 40 und 74 Jahre alt, und, wie gefordert, mit Kleidergröße zwischen 38 und 46, finden sich am 5. August im Tanzcentrum ein. Manche ist von weither nach Leipzig gekommen, aus Hof oder Nürnberg gar. Bis zum Abend sollen die zehn Gewinnerinnen feststehen, die an den drei Messetagen vom 26. bis 28. Oktober jeweils zwei halbstündige Modenschauen absolvieren. Schwerstarbeit für die Jury um MDR-Moderatorin Katrin Huß. "Wir haben die unterschiedlichsten Typen gesucht", sagt Projektdirektorin Bettina Kaiser, "Frauen, in denen sich das Publikum wiedererkennt, Schlanke und Stärkere, Blonde, Graue und Brünette." Auf die Ausstrahlung kommt es an, findet auch Tanzlehrerin Annika Lüker, die mit ihrem Chef Dirk Seidel die Choreografie der Modenschauen verantwortet. Sie hat zunächst geschaut, wie sich die Frauen bewegen, ob sie sich Abläufe merken können. Die erste Runde überstanden 50, die zweite 26, ins Finale kamen 16 Frauen. Das letzte Wort hatten die Firmen, deren Mode am nächsten Wochenende vorgeführt wird: das seit 180 Jahren in Taucha bei Leipzig ansässige Modehaus Fischer und das Atelier Goldener Schnitt aus Münchberg.

Zehn Sonntage später, Mitte Oktober, treffen sich die Auserwählten zum letzten Mal vor der Generalprobe. Barbara Kademann, die diplomierte Sportlehrerin, die nach der Wende "abgewickelt" wurde und sich zur Reiseverkehrskauffrau qualifizierte, ist dabei. Die anderen sind Sekretärinnen oder Lehrerinnen, im Handel tätig oder als Tagesmutter, Friseurmeisterin oder Ökonomin, einige schon im Ruhestand.

Stimmengewirr erfüllt den Pausenraum, man wertet einen Artikel aus, in dem sie "Model-Omis" genannt werden. Da reagieren sie ziemlich sauer, so sehen sich die Frauen nicht. Sie kennen sich inzwischen gut. "Einmal", erzählt Barbara Kademann, "haben wir uns in Gritts Partykeller getroffen und zusätzlich geübt. Wir wollten sicherer werden." Jetzt tauschen sie Adressen und Erlebnisse, albern rum und verscheuchen so auch ein bisschen die Aufregung.

Trainerin Annika Lüker erklärt den Frauen das Schlussbild. Jede hält, wie einst die Nummerngirls, ein Schild mit einem Buchstaben oder einer Zahl in den Händen, das sie die ganze Nummer lang dem Publikum präsentiert. Am Ende, wenn sie alle in einer Reihe stehen, soll "Fischer180" zu lesen sein. Doch vorher gehen sie einzeln oder als Gruppe, aufeinander zu oder voneinander weg, blicken sich an, drehen die Köpfe, kreisen, je nach Temperament, mit den Hüften, posieren am Ende des Laufstegs.

Das mit den Posen, sagt Barbara Kademann, das war ihr am Anfang ein wenig unangenehm. Sich so vor den Leuten zu präsentieren, da musste sie Hemmungen abbauen. Doch nach vorne gehen, sich beweisen, das musste sie immer wieder, seit sie vor neun Jahren ihren Mann verloren hat. Die anderen Dinge hatte die studierte Sportlehrerin drauf, gerade Haltung, den Kopf hoch, Lachen, natürliches Laufen, nicht wie bei den Profi-Models die Füße voreinander zu setzen. Wieso staksen die eigentlich so komisch und warum gucken sie so verbissen? Egal, Profi-Models interessieren sie ohnehin nicht, da kommt keine Persönlichkeit rüber. Sie findet die gestandenen Frauen interessant, die in Zeitschriften wie "Donna" oder "Brigitte Woman" elegante, sportliche, tragbare Kleidung präsentieren. Wie die fotografiert sind, wie die Gesicht zeigen, das ist schön.

Die zehn Leipziger Models stehen locker hintereinander, sie haben schon nach "Nossa, nossa" von Michel Teló getanzt und nach Gossips "Move in the right direction". Nach fast drei Stunden Training warten sie auf die nächste Übungseinheit. "Ihr könnt jetzt Party machen", sagt die 25-jährige Annika Lüker und legt "Celebration" von Kool and The Gang auf. Und da geht im Spiegelsaal des Tanzcentrums Seidel die Post ab. So viel Charme war nie bei einer Modenschau, so ein Glück in den Gesichtern, so ein Schwung in den Bewegungen. Die Frauen gehen aus sich heraus, begeistern ihre junge Tanzlehrerin derart, dass der ein seltenes Urteil entfährt: Das war geil! Ihr seid über euren Schatten gesprungen.

Ein wenig Lampenfieber bleibt trotzdem, sagt Barbara Kademann, das hält in Bereitschaft. Die Sachen - Steppmäntel, Jacketts, T-Shirts, Blusen, Westen und Jeans - will sie mit Pep vorführen, den Zuschauern einen Impuls geben: Seht her, so kann man im Alter aussehen. Manchmal genügt schon das Aufstellen eines Kragens, das Freilegen einer Schulter, eine bestimmte Hüft- oder Kopfbewegung, hat sie vor dem Spiegel festgestellt.

Bei jeder Schau werden sie drei-, viermal die Kleidungsstücke wechseln, genau 2,7 Minuten Zeit bleiben zum Umziehen. Wie bei großen Modenschauen hat auch in Leipzig jede Frau ihren Garderobenwagen mit den vorbereiteten Bügeln und eine Helferin an ihrer Seite. Barbara Kademann hat gehört, dass Chefs von Modeagenturen zur Messe kommen und die Hobby-Models anschauen wollen. Wer weiß, sagt sie, vielleicht werden wir später wieder gebucht, können weiter machen. Das wäre ihr Traum. Doch jetzt denkt sie erstmal an das nächste Wochenende. Rausgehen und Spaß haben, dann kommt alles andere von ganz allein.