Lexikon der Emotionen Lexikon der Emotionen: Kinder lernen Gefühle in Worte zu fassen
Ball, Hund, Baum, Keks: Kinder lernen schnell, die Dinge zu benennen, die sie sehen, anfassen und in den Mund stecken können. Ein Gefühl in Worte zu fassen, hat dagegen eine ganz andere Qualität. „Emotionales Lernen beginnt schon in den ersten Lebensmonaten“, sagt Monika Wertfein, Diplom-Psychologin und Referentin am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München.
Die wichtigsten Schritte, so erläutert sie, vollziehen sich in den ersten sechs Lebensjahren. Die Kinder lernen, ihre Gefühle durch Mimik, Gestik und Laute auszudrücken. Anfangs vor allem durch Lachen, Weinen oder Schreien, später immer differenzierter. Gleichzeitig wächst das Verständnis für die Auslöser von Gefühlen. Ein weiterer wichtiger Entwicklungsschritt ist die Fähigkeit, Emotionen zu regulieren: Das Kuscheltier spendet Trost nach einem schlechten Traum.
Ab dem zweiten Lebensjahr beginnen Kinder, Gefühle in Worte zu fassen. Den Grundstein legen Eltern schon viel früher, wenn sie Empfindungen ihres Kindes benennen, auch wenn es selbst dafür noch keine Worte hat. Zum Beispiel, wenn es wütend aufschreit, weil es vom großen Bruder mit Wasser nass gespritzt worden ist: „Das hat dich jetzt ganz schön geärgert, stimmt's?“
„Angst ist etwas anderes als Teddybär“
Später übernehmen die Kinder die Begriffe, die ihre Eltern ihnen anbieten. Nicht immer kennen sie die Bedeutung, „aber sie haben schon ein Verständnis dafür, dass Angst etwas anderes ist als Teddybär“, sagt die Sprachwissenschaftlerin Gisela Klann-Delius. Die Professorin für Linguistik an der Freien Universität Berlin erforscht, wie Kinder sprechen und verstehen lernen: „Sie eignen sich die Bedeutung von Wörtern im Gespräch mit den Eltern oder anderen Bezugspersonen an.“
Begriff für Begriff bildet sich eine Art Gefühls-Lexikon: Durch das in Worte fassen entwickeln Kinder ein Wissen über Emotionen. „Das hilft Kindern, Situationen vorauszusehen und angemessen zu reagieren“, erklärt die Psychologin Monika Wertfein. Das ist zugleich die Basis, um die Gefühle anderer zu verstehen. Kinder können erkennen, dass der kleine Spielkamerad vor Enttäuschung in Tränen ausbricht, weil sein Bauklotzturm zusammengebrochen ist - und können ihn dann trösten.
Ständiges Nachbohren führt nicht zum Ziel
Das emotionale Klima in der Familie hat einen entscheidenden Anteil daran, wie Kinder später mit ihren Gefühlen umgehen, sagt Wertfein. Offen über die eigenen Empfindungen zu sprechen, gehört ebenso dazu, wie angemessen auf die Emotionen der Kinder zu reagieren. Wut und Trauer dürfen Eltern nicht kleinreden, sie können aber Strategien aufzeigen, wie sie weniger weh tun.
Das bedeutet nicht, dass sich Eltern und Kinder regelmäßig in trauter Runde auf dem Sofa versammeln müssen, um über ihre Gefühle zu reden. „Wer ständig fragt: 'Wie geht es dir, was fühlst du gerade?', der wird wohl eher Verweigerung ernten“, sagt Sprachwissenschaftlerin Klann-Delius. Wichtig sei, dass Eltern in ihrem Verhalten ein gutes Modell vorleben. Wer selbst immer wieder über Kleinigkeiten in Rage gerät, kann von seinen Kindern kaum erwarten, dass sie ihre Wut in konstruktive Lösungen umleiten.
Bücher zum Beispiel bringen Gespräche über Emotionen in Gang - oft schon allein dadurch, dass Eltern und Kinder beim Vorlesen gemütlich zusammensitzen. Die Kinder finden sich in den Geschichten wieder - das schafft Anknüpfungspunkte. Die Illustratorin und Autorin Dagmar Geisler hat eine ganze Reihe von Büchern verfasst, die das Thema Gefühle in den Blick nehmen.
„Ich wünsche mir eine Gesprächskultur, in der man offen ausspricht, wie man sich fühlt“, beschreibt die Kinderbuchautorin, die in der Nähe von Bamberg lebt, ihre Motivation. Auch mit einer selbst gebastelten Gefühlsuhr lassen sich Befindlichkeiten spielerisch zum Thema machen. Auf dem Zifferblatt verdeutlichen Smileys die verschiedenen Gefühlszustände, der Zeiger stellt klar: Heute bin ich froh, traurig, beleidigt oder wütend.
Gerade das Thema Wut sorgt bei vielen Eltern für große Unsicherheit, ist die Erfahrung von Geisler. Viele könnten nur schwer mit den Wutausbrüchen ihrer Kinder umgehen. Doch es ist generell kein guter Weg, Gefühle zu tabuisieren - auch nicht, um sein Kind damit vor negativen Empfindungen wie Trauer zu schützen. Denn nur wer seine Gefühle zeigen kann, kann sie auch anderen mitteilen und andere in emotional schwierigen Situationen um Hilfe bitten. (dpa)
Buchtipps:
Dagmar Geisler: Wohin mit meiner Wut? (Loewe)
Dagmar Geisler: Weinen, lachen, wütend sein - dafür bin ich nicht zu klein! (Oetinger)