Kritischer Blick Kritischer Blick: Externe Aufpasser wollen Wikipedia verbessern
Berlin/dpa. - Das Gemeinschaftswerk Wikipedia hat sich in zehn Jahren viel Vertrauen erworben - Anfang dieses Jahres registrierte die deutschsprachige Ausgabe der Online-Enzyklopädie an einem einzigen Tag 29,4 Millionen Zugriffe auf die 1,2 Millionen Artikel. Die Wikipedia verdient aber auch kritische Fragen zur Qualität der Informationen. Die Suche nach den Antworten unterstützt das Projekt Wiki-Watch, das an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) betreut wird.
«Wir vertrauen alle Wikipedia, aber wir wissen nicht, wer an den Artikeln gearbeitet hat und wie zuverlässig sie sind», sagt Wolfgang Stock. Er leitet zusammen mit Johannes Weberling die Arbeitsstelle Wiki-Watch im Studien- und Forschungsschwerpunkt Medienrecht der Juristischen Fakultät.
Den Anstoß zu dem Projekt gab Anfang 2009 die Manipulation im Artikel zu Karl-Theodor zu Guttenberg - damals wurde ein falscher «Wilhelm» in die lange Reihe der Vornamen geschmuggelt. «Heute wäre das so nicht mehr möglich, weil es für solche Fälle eine Stufe zur Qualitätssicherung gibt», erklärt der Professor, der sich selbst als «großen Fan von Wikipedia» bezeichnet. «Wikipedia hat gelernt, aber wir haben auch alle als Gesellschaft gelernt.»
Wiki-Watch funktioniert wie eine parallele Ausgabe der Wikipedia. Das seit Oktober 2010 betriebene Projekt ermöglicht die Suche nach einem beliebigen Lexikonartikel, zeigt dann aber zusätzliche Informationen an: etwa Bewertungen mit bis zu sechs Sternen, die Zahl der Autoren, die an dem Beitrag mitgearbeitet haben, und die Anzahl der Bearbeitungen. Als unsicher eingestufte Informationen werden farbig markiert. Derzeit ist das Portal noch eine Betaversion und damit in der Testphase.
So zeigt der Eintrag zum Wikipedia-Artikel über das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart21, dass dieser Beitrag mehr als 1600 Änderungen erfahren hat und von mehr als 350 Autoren bearbeitet wurde. Ruft man beim Beobachtungszeitraum den letzten Monat auf, wird auch die Entwicklung der Zugriffsstatistik angezeigt: Anfang Dezember 2010 waren es an einzelnen Tagen mehr als 4000 Zugriffe, inzwischen ist das deutlich zurückgegangen.
Bei der Bewertung nutzt Wiki-Watch auch das in den USA entwickelte System WikiTrust zur Einschätzung von Autoren und Beiträge. Weitere Werkzeuge zur Qualitätskontrolle hält zum Beispiel der «WikiScanner» bereit, der zurzeit überarbeitet wird.
Die Bewertung bei Wiki-Watch erfolgt anhand von formalen Kriterien wie der Anzahl der in einem Artikel aufgeführten Quellen. «Sie kann eine kluge menschliche Bewertung nicht ersetzen, aber wertvolle Hinweise dafür liefern», heißt es in der Erläuterung der Wiki-Watch- Maßstäbe. Das mit Spenden finanzierte Wiki-Watch-Projekt ließ dafür einen eigenen Algorithmus programmieren.
«Unsere Beurteilung nach formalen Kriterien hilft dem Nutzer bei der kritischen Bewertung, wie sehr er einem bestimmten Wikipedia-Artikel vertrauen kann», erklärt Stock. In der Regel seien die Texte gut. Manche hätten aber auch Defizite, und «einige wenige sind auch stark tendenziell».
Stock betrachtet Wiki-Watch als einen «Dienst für die Netz-Community: Wir wollen zeigen, was in Wikipedia abläuft, und wer das tut.» Letztlich sei es auch das Ziel, einen Beitrag für eine Verbesserung der Wikipedia-Qualität zu leisten. Bestätigt fühlen sich die Wiki-Watcher von der Resonanz: «Die Zahl der Seitenaufrufe steigt fast jeden Tag.»
Webseite des Wiki-Watch-Projekts
Wikipedia ist für viele Internetnutzer das Nachschlagewerk Nummer 1. Doch nicht immer stimmen die Fakten und nicht immer ist die Lektüre ein Genuss. Ein paar Faustregeln helfen im Umgang mit dem Online-Lexikon.
- Wikipedia setzt auf die «Weisheit der Vielen» - je mehr Mitarbeiter sich mit einem Text auseinandersetzen, desto besser. Leser können in der Versionsgeschichte (Schaltfläche oben rechts) überprüfen, wie viele Bearbeitungen, sogenannte Edits, ein Eintrag erfahren hat. Dort finden sie auch kurzfristige Änderungen. Hier lautet die Regel: Je jünger ein Edit, desto kritischer sollte man damit umgehen.
- Die Wikipedia-Autoren selbst sehen viele Artikel kritisch. Um herauszufinden, wo es inhaltliche Probleme geben könnte, lohnt ein Blick auf die Diskussionsseite (oben links).
- Wenn ein Artikel auf viele externe Quellen verweist, haben sich die Autoren schlau gemacht - ein gutes Zeichen. Mithilfe der Links auf externe Websites können Leser den Wikipedia-Eintrag selbst überprüfen.
- Die Community zeichnet ausgewählte Artikel als «lesenswert» oder «exzellent» aus, zu erkennen an einem kleinen blauen «L» oder einem grünen Sternchen oben rechts. Diese Texte gelten als gründlich recherchiert und gut geschrieben.
- Werkzeuge wie das Portal Wiki-Watch.de helfen, Einträge kritisch unter die Lupe zu nehmen. Nutzer können sich dort zum Beispiel anzeigen lassen, wie viele Autoren an einem Text beteiligt waren oder wie viele Quellenangaben es gibt. Solch formale Kriterien helfen, die Seriösität eines Artikels einzuschätzen.