Karriere statt Kind Karriere statt Kind: "Ich habe abgetrieben und kann mein Kind nicht vergessen"
„Alles begann mit einem veränderten Appetit. Ich konnte nichts Warmes mehr essen, nur noch Kaltes. Das kannte ich noch aus meiner ersten Schwangerschaft. Aber ich war doch nicht schwanger! Unsere Tochter war drei, wir planten zu dieser Zeit kein weiteres Kind.
Es war ein kalter Februartag, die Periode ließ auf sich warten, als ich mich auf den Weg zur Apotheke machte, um einen Test zu kaufen. Konnte das wirklich sein? Zu Hause ging ich ins Bad – und sah bald zwei Striche. Schwanger. Positiv. Oh Gott.
Kind oder Karriere?
Wir hatten uns immer ein zweites Kind gewünscht. Aber jetzt? Ich war 26, hatte bereits ein Kind und suchte gerade eine Arbeit. Ich merkte, wie schwierig das schon mit einem Kind war. Aber mit zweien? Das Baby würde zum Jahreswechsel kommen. Meine Tochter würde sich freuen, sie war schon immer verrückt nach Babys. Sollte ich es ihr erzählen? Nein. Noch nicht.
Ein zweites Kind ließ mich fürchten. Würden wir das überhaupt schaffen? Was würde aus mir werden? Ich wollte weg aus der Gastro mit ihren familienunfreundlichen Arbeitszeiten und etwas „Vernünftiges“ lernen. Mein Mann sagte, er stehe hinter mir, egal, wie ich mich entschiede.
Ich kriege den Job
Dann kam der Anruf: Ich würde meinen Traum-Ausbildungsplatz bekommen, sagte die Stimme in der Leitung. Wir nehmen Sie! Und jetzt? Eine Ausbildung und eine Schwangerschaft passten einfach nicht zusammen. Dabei freute ich mich doch auch schon ein bisschen auf's Baby. Ich ging zum Arzt.
Sie sind schwanger!
Ich weiß.
Schauen Sie mal hier, da ist der Herzschlag. Freuen Sie sich gar nicht?
Tja, wie soll ich das jetzt sagen? Es ist gerade etwas schwierig bei uns.
Die Stimmung kippte
Der Gynäkologe, der gerade noch freundlich und euphorisch meine Schwangerschaft verkündet hatte, reagierte ungehalten auf meine Zweifel, auf meine Überlegungen, das Kind möglicherweise nicht zu bekommen.
Wissen Sie eigentlich, dass andere Frauen sich jahrelang Kinder wünschen und hoffen schwanger zu werden? Und Sie? Sie wollen einfach abtreiben? Da war das Wort: Abtreibung. Ich hätte nie gedacht, dieses Wort einmal mit mir in Verbindung bringen zu müssen. Ich verließ die Arztpraxis und war wütend. Richtig wütend. Ich hatte mir Unterstützung erhofft, Beratung – aber keine Vorwürfe.
In den darauffolgenden Tagen tat ich kein Auge zu, meine Gedanken drehten sich. Was sollte ich tun? Ich hatte Zweifel in jede Richtung. Zweifel, nicht richtig zu entscheiden. Zweifel, den Job sausen zu lassen. Zweifel, meinem Kind keine Chance zu geben.
„Als ich wieder aufwachte, streichelte ich als Erstes meinen Bauch. Es war vorbei.“
Ich war in der elften Woche und die Zeit drängte. Noch sieben Tage, dann wäre der Schwangerschaftsabbruch keine Option mehr. Nach der zwölften Woche ist kein Abbruch mehr möglich.
Ich rief meine Freundin an und sagte ihr, wie ich entschieden hatte. Ich ging zur gesetzlich vorgeschriebenen Beratung vor einer Abtreibung. Ich wappnete mich, denn ich befürchtete, dass ich auch dort nicht auf offene Ohren treffen würde, dass man mich hier vom Gegenteil überzeugen wollte. Aber so kam es nicht. Die Beraterin war nett, hörte mir zu und hatte Verständnis für mich und meine Geschichte.
Ich zweifelte bis zuletzt
Zwei Tage später fuhr ich in die Klinik. Meine Freundin nahm sich frei, um mich zu begleiten. Ich zweifelte noch immer. Im Wartebereich fühlte ich mich von Minute zu Minute schlechter und als ich aufgerufen wurde, hätte ich nur noch weinen können. Ich will ja noch ein Kind, wir wollten immer zwei. Aber nicht jetzt, jetzt war der falsche Zeitpunkt.
Es ging alles sehr schnell, ich musste mich ausziehen, bekam einen Kittel an und durfte direkt in den OP-Raum. Die Narkose wirkte sofort und als ich wieder aufwachte, streichelte ich als Erstes meinen Bauch. Es war vorbei.
Ich habe ein Kind getötet, ging mir die ganze Zeit durch den Kopf, immer und immer wieder. Ich war so traurig. Meine Freundin fuhr mich später nach Hause. Ich hatte Blutungen wie nach einer Geburt. Ich glaube, es wäre ein Junge geworden.
Die falsche Reaktion
Zu Hause fragte mein Mann, wie es mir gehe. Wie es mir geht??? Ich hatte Trost erwartet, eine Umarmung, nur nicht diese Frage. Ich war allein mit meiner Entscheidung, mit meinen Zweifeln und meiner Trauer. Die schlichte Reaktion meines Mannes machte mir Schuldgefühle. Hatte ich etwas Falsches getan? Was hatte ich getan? Was würde mir schon die neue Arbeit bringen?
Ich startete die Ausbildung. Die Arbeit gefällt mir. Aber ich denke immer noch fast täglich, wenn ich dort bin: Und dafür hast Du Dein Kind nicht bekommen. Ich spreche mit keinem darüber. Ich habe Angst vor der Frage, warum ich es denn dann getan habe. Und ich kann diese Frage nicht beantworten.
Das Leben danach
Ich fühle mich immer noch schlecht mit der Entscheidung, besonders dann, wenn ich mir meine Tochter anschaue. Sie könnte schon große Schwester sein. Einmal entdeckte sie die Ultraschallbilder auf meinem Schreibtisch, ich hatte sie aufgehoben, als Erinnerung. Sie fragte, was das sei und ich antwortete nicht. Ich habe die Bilder dann weggeworfen, sie machten mich traurig.
Wenn heute Kolleginnen auf der Arbeit schwanger werden, ziehe ich mich zurück. Oder noch schlimmer: Wenn sie mit ihren Babys vorbei kommen. Ich kann das nicht gut ertragen. Dabei habe ich ja selbst ein Kind.
Wie geht es weiter?
Ich hatte erwartet, dass mich ein Schwangerschaftsabbruch schlimm treffen würde – und trotzdem habe ich es getan. Was wäre gewesen, wenn ich mich anders entschieden hätte? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich das nie wieder tun würde, ich würde nie mehr abtreiben.
Vielleicht bekommen wir im nächsten Jahr noch ein Kind, wenn die Ausbildung beendet ist. Vielleicht aber auch nicht.“
*Alessa ist nicht der echte Name der Protagonistin. Wir haben ihn zum Schutz verändert.