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Neuorientierung im Beruf Was ein Karrierewechsel in der Lebensmitte bedeutet

Beruflicher Neustart mit 45: Frust im Job war für Veronique van den Borre der Auslöser, noch mal an die Hochschule zu gehen. Was es braucht, um in der Lebensmitte, etwas ganz Neues zu lernen.

Von Sabine Meuter, dpa 27.11.2024, 00:05
Mit Mitte 40 an die Hochschule: Veronique van den Borre studiert Kultur- und Medienpädagogik.
Mit Mitte 40 an die Hochschule: Veronique van den Borre studiert Kultur- und Medienpädagogik. Axel Heimken/dpa-tmn

Hamburg - Eine Sinnkrise war der Auslöser. Veronique van den Borre war Mitte 40, als sie beschloss, ihren Job erst als fest angestellte und später als freiberufliche Stylistin an den Nagel zu hängen, um beruflich noch einmal von vorne anzufangen. „An der Tätigkeit als Stylistin hatte ich einfach keinen Spaß mehr“, erzählt die in Hamburg lebende Mutter einer zehnjährigen Tochter.

Inzwischen ist Veronique van den Borre 48 Jahre alt, absolviert im fünften Semester das von der IU Internationalen Hochschule angebotene Bachelorfernstudium Kultur- und Medienpädagogik und will in anderthalb Jahren den Abschluss machen. Dann ist sie bald 50.

Sich mit Mitte 40 beruflich neu aufzustellen, ist zweifelsohne mutig, wie der Potsdamer Arbeitspsychologe Sebastian Jakobi sagt. „Aber es ist die richtige Konsequenz, wenn im bisherigen Arbeitsleben der Frust Tag für Tag dominierend war.“ Ein Karrierewechsel in der Lebensmitte könne viel Schwung und positive Energie ins Leben bringen. „Mit Mitte 40 hat man regulär noch gut 20 Jahre im Arbeitsleben vor sich – es kann doch nicht sein, dass man in all der Zeit unzufrieden ist, wenn die Berufswelt auch noch etwas Interessanteres für jemanden zu bieten hat“, so Jakobi.

Karrierewechsel schrittweise und mit Finanzpuffer angehen

Doch ein Karrierewechsel in der Lebensmitte ist durchaus mit Herausforderungen verbunden. Da ist zum Beispiel der finanzielle Aspekt: Jahrelang war man es gewohnt, dass mit dem Arbeitseinkommen regelmäßig Geld auf dem Konto landet. Wer wechselt, muss oft zunächst finanzielle Abstriche machen – bei gleichbleibenden Kosten wie Miete, Lebensmittel, Versicherungen & Co. „Hilfreich kann hier sein, einen soliden Finanzpuffer, sprich Rücklagen, zu haben“, sagt die Hamburger Karriereberaterin Ragnhild Struss. Nützlich sei, ein detailliertes Budget aufzustellen, das realistische Kosten und Sparpotenziale berücksichtigt.

Empfehlenswert ist oft auch, einen Wechsel schrittweise zu vollziehen. Eine Variante, für die sich auch Veronique van den Borre entschieden hat. „Ich finanziere mein Studium in Teilzeit zum einen mit Ersparnissen, zum anderen mit einem Job in einer Mediengruppe, wo ich als Werkstudentin arbeite“, sagt sie. Das hat gleich zwei Vorteile: Erstens verdient sie Geld und zweitens wendet sie in der Mediengruppe, die sich aus verschiedenen Media- und Kommunikationsagenturen zusammensetzt, ihr im Studium erlerntes Wissen praktisch an.

Aber nicht nur ein Job und Ersparnisse sind eine Option, um einen Karrierewechsel zu finanzieren. „Alternativen sind Förderprogramme oder Bildungsgutscheine der Agentur für Arbeit, die Fortbildungen fördern“, sagt Karriereberaterin Struss. Oft ist es ihr zufolge auch möglich, vorerst beim bisherigen Arbeitgeber zu bleiben, dort von einer Vollzeit- auf eine Teilzeitstelle zu wechseln und die verbleibende Zeit für Weiterbildungen, Hospitationen und Netzwerkpflege im neuen Bereich zu nutzen.

Studium, Job, Familie: Wie geht das unter einen Hut?

Der finanzielle Aspekt ist aber nicht die einzige Herausforderung, die ein Karrierewechsel mit sich bringt. Auch das gesamte private Umfeld muss mitziehen. „Eine offene Kommunikation mit der Familie kann den Übergang unterstützen“, sagt Struss. Dass man klare Absprachen trifft und vielleicht beispielsweise Aufgaben im Haushalt neu verteilt, damit man bei einem Karrierewechsel den Rücken frei hat für berufliche Dinge. Das klappt im Alltag nicht immer, wie Veronique van den Borre sagt. „Manchmal ist es schwer, Studium, Job und Familie unter einem Hut zu bekommen und dabei auch noch Zeit für sich zu haben.“

Doch ein Karrierewechsel in der Lebensmitte kann funktionieren, davon ist Arbeitspsychologe Jakobi überzeugt: „Man muss es wirklich wollen und sich auf den Wechsel gut vorbereitet haben.“ Ähnlich sieht es Karriereberaterin Struss. Zwar sei der Schritt, mit Mitte 40 beruflich von vorn anzufangen, oft von einem inneren „Ja, aber“, begleitet – durch finanzielle Verpflichtungen und der Frage „Was denken die anderen?“. Allerdings sollte niemand im Job mehr Kraft verlieren als Energie gewinnen. „Ein Neuanfang lohnt sich immer, wenn er authentisches Arbeiten ermöglicht“, so Struss.

Neue Kompetenzen zu erlernen, kann unter Umständen in der Lebensmitte schwieriger sein als in jüngeren Jahren. Dennoch bietet die Lebensmitte klare Vorteile: „Man kennt die eigenen Stärken und Werte, hat umfassende Berufserfahrungen und verfügt über Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeit und emotionale Intelligenz“, so Struss. Alles Faktoren, die einen Karrierewechsel in der Lebensmitte erleichtern. Für jene, die frustriert im bisherigen Job sind, ist laut Struss diese Phase eine Chance, eine sinnstiftende Aufgabe zu finden, die die eigenen Werte widerspiegelt.

Bereichernder Arbeitsalltag: Ein Job mit Sinn

Um eine sinnstiftende Aufgabe geht es auch Veronique van den Borre. Das Medienpädagogik-Studium ist genau das Richtige für sie, wie sie erzählt. „Ich habe unglaublich viel Lust etwas Neues zu lernen und damit später irgendwann Geld zu verdienen“, sagt die 48-Jährige, die früher nicht nur als Stylistin, sondern auch schon als Redaktionsassistentin und als Requisiteurin am Theater tätig war.

Sie schwankt noch, welche Richtung sie nach ihrem Studium einschlägt. Vorstellen kann sie sich, E-Learnings zu erstellen. Oder im Bereich außerschulische Bildung mit Jugendlichen oder Erwachsenen zu arbeiten und dort schwerpunktmäßig Kurse oder Workshops anzubieten, die die Kompetenz mit digitalen Medien, zum Beispiel im Umgang mit Fake News fördern. Ums Karriere machen geht es ihr dabei nicht. „Ich möchte mein Geld mit einem Job verdienen, bei dem ich anderen helfen kann und den ich als bereichernd empfinde.“