Hajo Schumacher Interview mit Hajo Schumacher: "Der Vater von heute soll sexy Cowboy sein und 27 Kinderlieder kennen"
„Nach Papst und Bundestrainer ist Vatersein der drittschwerste Beruf der Welt“, sagt Journalist und Autor Hajo Schumacher in seinem neuen Buch „Solange du deine Füße auf meinen Tisch legst“. Wie kompliziert das Papasein wirklich ist, das beschreibt und erörtert er in wunderbar trocken und selbstironisch erzählten Geschichten aus seinem Alltag mit zwei Söhnen. Und findet dabei herrlich kluge Sätze für das ganze Chaos rund um Supereltern-Ansprüche und Erziehungs-Wirrwarr. Es wird eines schnell klar: Das Leben als Vater ist eines mit tausenden Fragen, Widersprüchen und Selbstzweifeln – aber macht doch unglaublich glücklich. Ein Gespräch.
Als Sie vor 23 Jahren das erste Mal Vater geworden sind, was haben Sie sich da vorgenommen?
Hajo Schumacher: Ich wollte natürlich der perfekte Vater sein. Bloß nicht so wie die eigenen Eltern! Die machen ja bekanntlich alles falsch und sind an allem schuld. Sondern lieber wie der Vater in den Hollywoodfilmen und Ratgeberbüchern: Er ist auf der einen Seite der verständnisvolle Freund, der immer da ist und ein offenes Ohr hat. Er kann aber wenn nötig auch streng sein – bleibt dabei aber immer liebevoll. Ich habe ein Idealbild aufgebaut, an dem ich nur scheitern konnte.
Wie lange hat es gedauert, bis zur ersten „Niederlage“?
Schumacher: Etwa eine Woche. Wir hatten zwar kein Schreibaby, aber selbst mit normalen Kindern ist ja immer Ausnahmezustand. Wenn sie einmal ihre Magenprobleme im Griff haben, dann kommen die Zähne, danach folgt die erste Trotzphase und so weiter. Es ist einer der größten Mythen, dass es irgendwann einmal normal oder sogar ideal läuft. In jeder Babybrei-Werbung bekommt man glückliche Kinder vorgespielt. Und am Ende liegen sich Eltern und Sprösslinge in den Armen. So ist es manchmal, aber das ist nicht der Normalzustand.
Eigentlich hatte ich mir auch geschworen, nie typische Eltern-Sätze zu bringen wie mein Vater, nach dem Motto „Solange du die Füße unter meinen Tisch streckst...“. Aber mein Sohn war kaum auf der Welt, da habe ich schon das erste Mal in die Elternspruch-Palette gegriffen. Man hält nicht lange durch.
Was haben Sie am Elternwerden am meisten unterschätzt?
Schumacher: Ich habe total unterschätzt, was so ein Baby mit einer glücklichen Zweier-Beziehung macht. Kinder zu haben, das hat unsere Partnerschaft, sagen wir mal, auf eine neue realistische Grundlage gestellt. Als junges verliebtes Paar mit viel Zeit und Plänen denkt man, das geht mit dem Kind genauso weiter. Das tut es natürlich nicht. Auf einmal muss man die Zeit unter Dreien aufteilen. Und der Fokus liegt auf dem Kind. Zwei Erwachsene starren auf ein Neugeborene und denken daran, was sie alles anrichten, welche Traumata sie beim Kind auslösen. Die schlimmste Vorstellung von Eltern ist ja, dass ihre Kinder in 30 Jahren beim Therapeuten sitzen und sagen: „Mein Vater war an allem schuld, der hat immer nur auf sein Smartphone gestarrt und mir keine 'quality time' spendiert.“
Stichwort 'quality time': Viele Eltern versuchen, ihren Kindern immer etwas ganz Besonderes zu bieten. Und das sollen alle sehen. Warum wollen sie immer so verdammt super sein?
Schumacher: Diesen Perfektionswahn haben wir natürlich alle, machen wir uns nichts vor. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Darstellende Erziehung, tagtägliches Familienglück für Facebook und Instagram – ein klarer Fall von fake news. Die digitale Kommunikation hat den Druck enorm erhöht. Wir treiben Sport bis zum Sixpack, ziehen uns fancy an, kochen die tollsten Dinge, um das der ganzen Welt zu zeigen. Und natürlich wollen wir auch noch die perfekten Eltern sein. Da besteht oft ein Widerspruch zwischen drinnen und draußen. Wir zeigen der ganzen Welt, wie reibungslos, perfekt und locker alles läuft. Und kaum ist die Tür zu den eigenen vier Wänden geschlossen, kratzt man sich die Augen aus. Die Wahrheit ist: Eltern sein ist ein harter Job. Es ist Krisen- und Zufallsmanagement. Da ist man eben nicht perfekt.
Sie sagen: „Je perfekter ich als Vater sein will, desto krachender scheitere ich“. Da nicken sicher viele Eltern. Erzählen Sie doch mal...
Schumacher: Das ideal geplante Wochenende sieht ja so aus: Wir gehen jetzt in den Wald, atmen frische Luft, ich erkläre die verschiedenen Vogelstimmen und hinterher kehren wir zu einem veganen Stück Kuchen ein. Dann haben wir uns alle total lieb und machen High Five. Damit baut man natürlich einen gigantischen Druck auf. Das Kind hat aber vielleicht gar keinen Bock auf Waldspaziergang. Es würde vielleicht lieber sein Skateboard ausprobieren und Currywurst essen. Dennoch fahren Eltern extra zum pädagogisch ausgefeiltesten Spielplatz der Stadt, Naturholz und so. Und was macht das Kind? Es rennt ins Gebüsch, entdeckt alte Silvester-Knaller und gebrauchte Kondome und findet das hundert Mal spannender. Ich habe festgestellt: Die Tipps aus den Erziehungsratgebern decken sich null mit den Interessen meiner Kinder. Die wahre Kraft besteht darin, die Kinder machen zu lassen. Die finden ihren Weg schon.
Meine Eltern hatten keinen einzigen Ratgeber – und das hat deren Leben erheblich erleichtert. Ich bin früher mit meinem Vater in den Kleingarten gegangen. Nicht um irgendetwas zu lernen, sondern einfach so. Ich sollte nicht im Weg herumstehen und mich im Idealfall nützlich machen. Dabei passierten dann zwangsläufig pädagogisch wertvolle Dinge: Ich entdeckte zum Beispiel einen Wurm. Heute würden Eltern wahrscheinlich Panik kriegen: Oh Gott, das Kind hat einen Wurm angefasst. Sofort desinfizieren, Globuli und dann in die Notaufnahme. Kein Wunder; googelt man „Kind mit Wurm“, bekommt man hunderte Youtube-Filme mit Monsterwürmern, die Kinder aufessen. Das Unwissen unserer Eltern hat uns Kinder damals auch vor dem Perfektionsterror geschützt.
Sollte man das Kind lieber einfach mal machen lassen?
Schumacher: Unbedingt. Da müssen wir unser Wertesystem auch mal in Frage stellen. Wir sind auf Zeitersparnis und Optimierung gepolt. Kinder sind aber überhaupt nicht effizient oder optimiert. Meine Frau ist Psychologin und sagt immer: Die größte Kunst einer funktionierenden Familie ist der Perspektivwechsel, dass ich also in der Lage bin, die Welt durch die Augen meines Kindes zu sehen.
Wenn Kinder eine halbe Stunde in der Pfütze herumpatschen, sollte man sich einfach daneben stellen, nichts erwarten und sich sagen: Mein Kind lernt jetzt nichts, es hat einfach nur Freude. Erziehung ist permanentes Zen-Buddhismus-Training. Einfach das Kind das Tempo bestimmen lassen. Und wenn es danach aussieht wie ein Erdferkel, dann ist das völlig in Ordnung. Dann aber bitte nicht überlegen, welches lustige Foto man jetzt auf Facebook posten könnte, um zu beweisen, was für ein toller Vater man ist.
Was macht Ihnen am Vatersein eigentlich am meisten Spaß?
Schumacher: Am meisten Spaß machen diese Jungs-Momente. Das Herumblödeln, Herumbalgen und Herumjohlen. Hooligans light sozusagen. Es ist eine solche Freude, wenn der Große mit seinen 23 Jahren hinter dem Kleinen herjagt, ich mich dann dazwischen werfe. Und wir dann in so einem großen Knäuel aus drei Leibern herumraufen und ächzen und kichern. Oder wenn wir gemeinsam abhängen, vor dem Fernseher liegen und Quatsch angucken – das ist echte „quality time“. Eigentlich sind die total sinnlosen Momente die allerschönsten.
Kann man es schaffen, ein „moderner Vater“ zu sein, Herr Schumacher?
Ihre Söhne sind 11 und 23 – Sie sind also schon längere Zeit Papa. Da gab es sicher auch mal Krisen und Probleme. Was ist in solchen Momenten wichtig?
Der Kern des Elternseins ist es, im richtigen Moment da zu sein, wenn das Kind Fragen, Ängste oder Konflikte zu bewältigen hat. Dazu muss ich aber auch wirklich verstehen, wann es ernst ist. Dass das Kind nun wirklich mich braucht. Und zwar keine schlauen Ratgeber-Geschichten, sondern in allererster Linie Zeit, Zuhören, Dasein. Das ist unser kostbarstes Gut. Ich muss also das Smartphone aus der Hand legen und alle hundert Gedanken, die ich im Kopf habe, zur Seite schieben und meinem Kind das Gefühl geben, ich bin jetzt zu 120 Prozent nur für dich da. Dann passieren genau die Sachen, die man sich wünscht. Es kommt zu einem offenen Gespräch. So etwas kann man nicht planen oder erzwingen.
In Wirklichkeit glaube ich, dass halbwegs normale Menschen ein ziemlich gesundes Gespür dafür haben, wie richtige Erziehung geht. Man muss halt nur mal drauf hören und nicht jede Sekunde des Zusammenseins auf Facebook-Verwertbarkeit scannen.
Wie ein Vater zu sein hat, dazu gibt es heute viele Meinungen. Das Väterbild schwankt zwischen Weichei-Vorwürfen und Väterzeit deluxe. Kann man es überhaupt schaffen, heute ein „moderner Vater“ zu sein?
Schumacher: Völlig unmöglich. Die Herausforderungen, die an Männer - aber auch an Frauen - herangetragen werden, sind unerfüllbar. Und je mehr wir uns gegenseitig erzählen, wie wir zu sein haben, desto größer wird der Stress.
Der Mann soll auf der einen Seite ein echter Kerl sein, mit Motoröl und Schweiß auf dem T-Shirt, sexy Cowboy halt. Auf der anderen Seite muss er natürlich einfühlsam und empathisch sein und Tofu mögen. Er sollte das Geld heimbringen, trotzdem Elternzeit machen und die halbe Erziehungsarbeit übernehmen. Dazu noch ein feuriger Liebhaber sein. Aber bitte sofort aufspringen, sobald das Kind schreit und 27 Kinderlieder komplett drauf haben, idealer Weise begleitet auf dem eigenen Instrument.
Geht das? Nö. Diese Rollenerwartungen rütteln oft am Selbstwertgefühl der Männer. Wenn man das archaische Männerbild vom eigenen Vater gelernt hat, bei dem Papa der Chef ist und vom Kopf des Tisches aus alles bestimmt, dann ist das im Unterbewusstsein verankert. Weicht man von diesem Bild ab, muss man ziemlich selbstbewusst sein, um sich nicht als Weichei zu fühlen.
Sich seiner selbst sicher zu sein ist gar nicht so leicht im Elternkosmos, wo sich alle ständig untereinander vergleichen...
Schumacher: Absolut. Es herrscht ja ein unfassbarer Wettbewerb zwischen den Eltern. Kinder werden wie Rassepferde vorgeführt. „Unser Junge macht jetzt ein Praktikum in Neuseeland!“, heißt es da. Oder: „Mein Kleiner lernt Business-Mandarin, mit vier.“ Kinder werden oft instrumentalisiert, die Macken, Versagensängste oder Unzulänglichkeitsgefühle ihrer Eltern zu kompensieren. Sowas würde mir natürlich niemals passieren.
Buchtipp:
Hajo Schumacher, Solange du deine Füße auf meinen Tisch legst, Eichborn Verlag, 2017