Internetfirma Internetfirma: Fahrstuhl ins Findernet
Halle (Saale)/MZ. - Es ist leider keine schöne Muffe dran. "Und Suggy hat auch keine Schweißnaht und keinen Motor", sagt Matthias Schneider. Schlechte Karten, wenn es um Fördermittel geht. "Nicht innovativ genug", war der letzte Bescheid, den Schneider auf eine Bewerbung hin bekommen hat. Dabei ist Suggy.com, das Webportal, das der 31-Jährige gemeinsam mit dem aus Bernburg stammenden Thomas Conrad und den Leipzigern Maxim Voronkov und Pawel Guscha betreibt, nichts weniger als die erste Internetfindmaschine.
Find, nicht Such. Google schafft es gerade mal, aus ein paar eingetippten Buchstaben das mögliche Suchwort zu erraten. Das soziale Netzwerk Facebook dagegen vertraut auf persönliche Empfehlungen: Uschi gefällt das, also könnte es Peter vielleicht auch gefallen. "Noch simpler ist Amazon", erklärt Thomas Conrad, "da vergleicht die Software einfach, welche Artikel zusammen gekauft wurden."
Suggy dagegen, so genannt nach dem englischen Wort Suggest, das auf Deutsch so viel wie Vorschlagen heißt, soll ein unsichtbarer Helfer sein, der nicht einfach nur surfen hilft, sondern "seine Nutzer inspiriert und ihnen hilft herauszufinden, was sie suchen", wie Matthias Schneider beschreibt.
Die Idee entstand in einer Kneipe, wie es sich für eine echte Internet-Legende gehört. "Der Koch dort ist schon lange ein guter Freund von uns", sagt Schneider, "und als wir eines Spätabends vor zwei Jahren dort aufliefen, servierte der uns allen ungefragt unsere Wunschgerichte." Die Runde war beeindruckt. "Der Koch hatte von jedem von uns ein persönliches Profil im Kopf, der wusste in dem Moment besser als wir selber, was wir wollten", glaubt Matthias Schneider. "Wir dachten uns, so etwas müsste es auch im Netz geben - jemanden, der Dir nicht nur beim Suchen hilft, sondern Dir sagt, was Du suchst."
Mit der Internetagentur Kreado hatte der Bad Dübener da schon acht Jahre Erfahrung im Web gesammelt. "Unsere Garage war ein Zimmer im Studentenwohnheim", erinnert er sich. Am Anfang haben sie noch nebenbei Autos gewaschen und Hilfslieferungen nach Tschernobyl gefahren, um die Telefonrechnung bezahlen zu können. Später kamen große Kunden, Banken, Stadtwerke, Reiseunternehmen, dazu aber auch "allerlei Leute mit wirklich verrückten Ideen", wie Conrad meint. Immer habe das Kreado-Team beim Umsetzen geholfen, egal ob es um Rückwärtsauktionshäuser oder schräge Druckshops ging.
Nur diesmal sollte es anders laufen. "Zuerst dachten wir, wir eröffnen so ein Wunsch-Restaurant", sagt Schneider, "aber dann sind wir doch lieber bei dem geblieben, was wir können." Das war die Geburtsstunde von Suggy, dem Fahrstuhl ins Findernet. "Wir wollten eine Maschine bauen, für die die Begrenzungen von Google und Facebook nicht existieren", sagt Thomas Conrad. Dazu würde die Software so viel über ihre Nutzer lernen müssen, dass sie in der Lage wäre, deren Wünsche zu ahnen. "Und das meint auch Wünsche, über die der Mensch vor dem Computer sich selbst im Klaren ist."
1 700 Manntage haben sie seitdem programmiert und verworfen, Konzepte ausgedacht und für untauglich befunden, gestritten und gebrütet, an Servern geschraubt und an Grafiken gefummelt. Alles neben der normalen Arbeit in der Agentur oder danach, "weil wir alle so verliebt in die Idee waren." Der Weg, eine künstliche Intelligenz zu installieren, die sich über beständiges Selbstlernen irgendwann zur perfekten Souffleuse für jeden Nutzerwunsch entwickeln würde, sah am Anfang vielversprechend aus. "Aber es dauerte zu lange, das Ding lernte nicht schnell genug", sagt Thomas Conrad.
Besser lief es mit einer selbstentwickelten Suchmaschine, deren Crawler als erster echter Bernburger auszog, einen Webindex nach eigenen Regeln zu erstellen. Wenn Schneider und Conrad die Hintergründe erklären, hagelt es nur so Begriffe wie "semantische Netze", "Suchalgorhythmus" und "Vektorrechnung". Das alles meint aber simple Sachverhalte, wie Thomas Conrad betont: "Wenn Suggy die Worte 'schwarz', 'Sahne', 'lecker' und 'heiß' sieht, muss sie wissen, dass es um Kaffee geht."
800 Seiten Mathe stecken dahinter und unendlich viele Versuche, die schiefgingen, ehe der Crawler zum ersten Mal relevante Ergebnisse nach Hause brachte. Ringsum den notdürftig zusammengeschraubten Rechner brach Jubel aus. Aber die richtige Arbeit fing damit erst an. "Wir mussten ihm beibringen, aktuelle Quellen wie Facebook und Twitter auszulesen und nicht nur Themen zu verknüpfen, sondern auch ähnlich interessierte Nutzer miteinander zu verbinden." Denn das Netz, da lässt der Internetunternehmen Schneider nicht mit sich verhandeln, mache eigentlich einsam. "Jeder hockt vorm Schirm und sucht allein nach Dingen, nach denen er suchen kann."
Leipzig, wohin Suggy inzwischen umgezogen war, weil auch das Land Sachsen-Anhalt eine Internetmaschine für nicht förderfähig befunden hatte, ist nicht San Francisco. Dort stehen Investoren bei Internetfirmen Schlange, die nach Facebook duften. Hier nicht. "Deshalb mussten wir immer auf Kante nähen", beschreibt Thomas Conrad. Die günstigen Server, die die frischgegründete Suggy GmbH angeschafft hatte, ließen prompt alle Zeitpläne platzen. "80 Terabyte", schimpft Conrad, "und nichts lief."
Kasse leer, alles so, wie es bei großen Erfolgsgeschichten immer war. Matthias Schneider lacht bitter. "Wenn Du zwei Jahre lang versucht hast, genug Geld zu verdienen, um alles zu finanzieren, bist Du irgendwann auch privat an der Grenze." Die Familien murren, die Frauen fragen, ob es wirklich Sinn hat, soviel Zeit und Geld auszugeben für etwas, was vielleicht nie funktionieren wird.
"Aber wir haben dran geglaubt", sagt Schneider. Nach zwei Jahren im Suggy-Labor wird es trotzdem langsam eng, bei allen. Aber damit steige eben auch die Entschlossenheit, habe er bemerkt. Es gebe nun mal ringsherum keine ernsthaften Investoren für Internetfirmen. "Und ohne anständige Muffe samt Motor und vier Kilo Papier am Förderantrag gibt es auch kein öffentliches Geld", sagt Conrad.
Also heiße es durchziehen, dranbleiben, nicht aufgeben. "Wer kein Risiko eingeht, trinkt auch keinen Champagner", weiß Matthias Schneider, der nach zehn Jahren im Internetgeschäft ganz sicher ist: "In Deutschland schleppt sich alles, deshalb werden die meisten Chancen hier auch verpasst."
Aus dem nie in Serie gebauten "Stereobelt" des in Aachen geborenen Andreas Pavel machte Sony den Welterfolg Walkman. Mit dem MP3-Format des in Thüringen lehrenden Karlheinz Brandenburg revolutionierten US-Webseiten wie Napster und koreanische Hightechfirmen die Musikwelt.
So ist das eben, sagt Thomas Conrad. Aber es ist auch egal. Dann eben so. Nach dem eben erfolgten Start in Deutschland stehe für Suggy.com jetzt die Ausdehnung in den englisch- und den russischsprachigen Raum an. Der Bedarf ist da.
"Wir haben jetzt schon Anmeldungen sogar aus der Türkei", sagt Schneider. Suggy könne das neue Google werden oder das neue Facebook, aber auf jeden Fall groß. Eines Tages sitzen dann hier hundert Mitarbeiter, träumt Schneider. Obwohl Suggy keine Muffen, Motoren und Schweißnähte hat. Das wollen sie allen beweisen. "Der Innovationspreis, den wir nicht bekommen haben", ätzt Thomas Conrad, "ging an den Erfinder eines Kühlschrankdeos."