1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Hirsch-Röhren: Brunft lockt in den Wald

Hirsch-Röhren: Brunft lockt in den Wald

Von Christine Tscherner 08.10.2009, 09:40

Bingen/dpa. - Bingen ­ Das unverwechselbare Röhren ist über Kilometer zu hören. Im Heimbachtal, einem Rhein-Seitental nahe Bingen, stehen die Chancen gut für ein herbstliches Lausch-Erlebnis mit Urkraft- Note.

Die größten freilebenden Wildtiere Mitteleuropas leiten die Brunft nach Macho-Manier ein. Der Naturschutzbund NABU führt in den Binger Wald zum Lauschen und Staunen.

«Hirsche mögen kühle und klare Abende für die Brunft.» Robert Schwantzer, Vorstand des NABU-Naturschutzbundes Bingen, hat für seine 16-köpfige Neugierigen-Schar leider keinen guten Abend ausgesucht. «Zu mild für die Rufduelle», lautet die Diagnose. Trotzdem pirscht die Gruppe in Wanderschuhen und mit Feldstecher Richtung Heimbachtal. Nur Tierrufe, kein Blickkontakt. Schade.

Naturschauspiele gibt es eben nicht auf Knopfdruck, aber sehr wohl per Mausklick. Feistzeit - die Zeit vor der Brunft - über Festplatte gibt es am Computer-Bildschirm. Die Live-Schaltung ins Wildgehege Hellenthal (Eifel) lässt mitfiebern: Bleibt «Olli» Platzhirsch, nachdem er den Internet-Star «Heinz» in der vergangenen Brunft vom Thron gestürzt hat? Das Stammpublikum trauerte, als der 24-Ender in Folge der Kampfverletzungen starb. Ein Download mit Video-Highlights aus der Saison verschafft Ungeduldigen den Überblick.

Von September bis Mitte Oktober dauert die Brunft der Rothirsche nicht nur im Big Brother-Revier der Eifel. Auch am Rhein leitet langes, tiefes Röhren des Haremsführers das alljährliche Ritual ein. Der Platzhirsch duldet keine Nebenbuhler. Er verteidigt seine hart erkämpften Rechte vehement gegenüber Rivalen. Es geht schließlich um die Herrschaft im Hirschkuh-Rudel, um das Paarungsvorrecht. Hormone steuern den Rhythmus. Stolzes Imponiergehabe gehört dazu, ebenso wie die Röhrduelle vorab. Die Binger Waldbesucher fühlen sich an männliches Festzelt-Gehabe erinnert ­ echte Kerle eben, diese Waldbewohner.

«Wir hatten schon 80 Brunft-Neugierige zu einem Waldgang», verweist Schwantzer auf den vermeintlichen Anti-Trend. Menschen möchten die Urkraft der Natur hautnah erleben. Viele Familien mit Kindern lockt der Hirschruf zur stillen Natur-Beobachtung. Brunft als Kult? Kitschig wirkt ein röhrender Hirsch vor Vollmond-Kulisse nur als Ölbild. Wenn bis zu zwei Meter große und bis zu 170 Kilo schwere Tiere mit gesenktem Geweih aufeinander los gehen, beeindruckt das jeden.

Der abendliche Waldspaziergang bietet Lernstoff pur. Ein Schnellkurs in Jägerlatein gibt es obendrauf: «Spießer» sind keine langweiligen Eltern, sondern junge Hirsche noch ohne Geweih- Verästelung. Fell, Schwanz, Ohren und Augen heißen Decke und Wedel, Lauscher und Lichter. Wildschweine sind übrigens nicht brünftig, sondern in der Rausche, Pferde rossig, Hunde läufig. Fuchs, Dachs und Marder ranzen.

«Natur ist wieder gefragt», meint Schwantzer vom NABU. Vielleicht hat seine Tour im nächsten Herbst mehr Erfolg. Für ihn gehört der Anblick eines röhrenden Hirschs auf einer Waldlichtung jedenfalls «zum intensivsten Naturerlebnis in unseren Breiten überhaupt».

Zum Naturschutzbund: www.nabu-rheinauen.de

Mittendrin: www.wildtiere-live.de (dpa)