Teil 21: Impfkritiker Teil 21: Impfkritiker: Welche Argumente die Impfskeptiker ins Feld führen

Halle (Saale) - Guido Posern ist Professor für Biochemie. Der Direktor des Instituts für Physiologische Chemie der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg beschäftigt sich vor allem mit der Frage, welche Vorgänge in unseren Zellen zur Krebs- oder Metastasenbildung führen. Das Impfen gehört nicht zu seinem engeren Forschungsgebiet. Aber Guido Posern ist auch Vater. Und als solcher hat er in Gesprächen mit anderen Eltern bemerkt, wie verunsichert diese zum Teil durch kritische Stimmen zum Thema Impfen sind.
Posern hat sich deshalb mit Argumenten der Impfgegner auseinandergesetzt. Nicht ohne zu betonen, dass er keinerlei Beziehung zu Firmen hat, die Impfstoffe herstellen, und dass seine Forschung nicht von der Pharmaindustrie finanziert wird. Denn, so sagt er, Impfgegner behaupteten häufig, dass ihre Kritiker Teil der Pharmalobby seien. Doch was sind ihre Einwände?
Schützen Impfungen wirklich vor Ansteckung?
Posern führt hier das Beispiel der Masernimpfung an. Impfgegner, so sagt er, argumentierten in diesem Fall mit den Todesfall-Verlaufskurven. Die gehen aber schon vor Einführung der entsprechenden Impfungen deutlich nach unten. Also ein Indiz, dass der Rückgang nichts mit der Impfung zu tun hat? „Nein“, sagt der Wissenschaftler. Todesfall-Verlaufskurven seien für die Beurteilung der Wirksamkeit ungeeignet. Denn durch den medizinischen Fortschritt müsse kaum noch ein Erkrankter sterben.
Zur Beurteilung der Wirksamkeit sollten vielmehr die Infektionszahlen angeschaut werden. Beispielsweise die der USA. Denn die Vereinigten Staaten waren das erste Land, in dem ein Masern-Impfstoff zugelassen wurde. Und zwar 1963. Gab es dort 1962 noch mehr als 500 000 Masernfälle, geht ihre Zahl in den Jahren danach laut der Fachzeitschrift „The Scientist“ gegen Null.
Solche Beispiele lassen sich durchaus auch in Deutschland finden. Posern verweist auf Statistiken des Robert Koch- und des Paul-Ehrlich-Instituts, wonach es auf dem Gebiet der früheren Bundesrepublik 1961 noch 4 700 Erkrankungen an Kinderlähmung gab. Nach Einführung der Schluckimpfung 1965 seien es jährlich weniger als 50 gewesen. Heute gilt die Krankheit in Deutschland als ausgerottet.
Auch die Impfung gegen das Bakterium Haemophilus influenzae Typ b (Hib) ist eine Erfolgsgeschichte. In der DDR erkrankten jährlich etwa 100 bis 120 Kinder an gefährlichen Hirnhautentzündungen, die von Hib verursacht wurden. Nach Einführung der Impfung 1990 wurden in den neuen Ländern weniger als zehn Fälle pro Jahr registriert.
Entwickeln sich durch die verschiedenen Impfungen nicht vermehrt Allergien ?
Um dieses Argument zu widerlegen, genügt ebenfalls ein Blick zurück auf die DDR. Posern verweist darauf, dass es hier eine Impfpflicht gab - aber nur wenige Allergien. Das änderte sich erst nach der Wiedervereinigung, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Impfpflicht wegfiel und die Impfraten sanken. „Das entkräftet eindeutig den Einwand, dass mehr Impfungen auch mehr Allergien bedeuten“, betont der Biologe.
Kann die Krankheit ausbrechen, obwohl man geimpft ist?
„Natürlich sind nicht alle Geimpften zu 100 Prozent geschützt“, sagt Posern. In der Medizin sei nun mal nichts schwarz-weiß. „Aber um überhaupt zugelassen zu werden, müsse eine Schutzwirkung von 95 bis 99 Prozent nachgewiesen werden“, unterstreicht er. Dies müsse laut Arzneimittelrecht in medizinischen Studien nachgewiesen werden. Eine Ausnahme, so der Wissenschaftler, bilde hier der Grippeimpfstoff. Hier schütze die Impfung mitunter nur 50 bis 70 Prozent der Geimpften.
Verursacht die Dreifachimpfung gegen Mumps/Masern/Röteln Autismus?
Sind Zusatzstoffe wie Aluminium in den Impfstoffen gefährlich? Und werden mit den Konservierungsstoffen die Kinder nicht wissentlich vergiftet?
„Richtig ist, dass die Impfstoffe Zusätze - sogenannte Adjuvantien - enthalten“, sagt Posern. Der Impfstoff allein verursache nämlich noch keine Immunreaktion. Um eine solche auszulösen, müssten die Zellen, die letztlich für die Immunisierung gegen einen Erreger verantwortlich sind, angelockt und stimuliert werden. Das passiere, indem an der Stelle, an der die Injektion erfolgt, eine Mini-Entzündung verursacht wird. Die Stelle sei gerötet, jucke vielleicht. Erst dadurch würden aber die sogenannten Immunzellen in Marsch gesetzt. Und damit dieser „Marschbefehl“ erteilt wird, sind Adjuvantien wie Aluminiumhydroxid notwendig.
Sind sie gefährlich? „Die Weltgesundheitsorganisation sagt Nein“, unterstreicht Posern. „Die Gesamtmenge an Aluminium, die einem Kind zugeführt wird, das in den ersten sechs Monaten alle Impfungen des Impfkalenders erhält, beträgt maximal vier Milligramm.“ Über die Muttermilch würden dem Kind im gleichen Zeitraum etwa zehn Milligramm zugeführt. Falls es sojahaltige Ersatznahrung bekomme, seien es sogar 120 Milligramm, betont er. Übrigens werde Aluminium recht schnell über die Niere wieder ausgeschieden. Nach 24 Stunden seien bereits 50 Prozent wieder abgebaut. Im Blut sei nach einer Impfung kein erhöhter Wert nachweisbar.
Konservierungsstoffe seien schließlich notwendig, um die Sterilität von Impfstoffen zu gewährleisten - auch wenn die notwendige Kühlkette mal unterbrochen werde. Ohne diese Stoffe könnten sich gegebenenfalls Krankheitserreger entwickeln. Es sei, so sagt Posern, wie bei Lebensmitteln. Konservierungsstoffe könnten weggelassen werden - aber dann schimmle der Käse recht schnell. Die Behauptung, die Pharmaindustrie wolle mit ihnen kleine Kinder bewusst vergiften, um nicht nur an den Impfstoffen zu verdienen, sondern später auch an den Therapeutika gegen die entsprechenden Krankheiten, hält Posern für eine sehr weit hergeholte Verschwörungstheorie. Auch wenn, wie er sagt, eine gesunde Skepsis und ein kritisches Hinterfragen immer angebracht seien, auch in der Medizin.
Verursacht die Dreifachimpfung gegen Mumps/Masern/Röteln Autismus?
„Diese Aussage geht auf die Studie des britischen Arztes Andrew Wakefield von 1998 zurück“, sagt Posern. Sie sei damals in dem angesehenen wissenschaftlichen Journal „Lancet“ veröffentlicht, aber längst zurückgezogen worden. Denn was stellte sich heraus? Der Bericht, der Fälle von zwölf autistischen Kindern dokumentierte, war gefälscht. Zudem nahm Wakefield, dem 2010 in Großbritannien die Zulassung als Arzt entzogen wurde, an den Kindern Untersuchungen vor, die gegen ethische Vorschriften verstießen. Von den Anwälten der Betroffenen, die eine Schadenersatzklage vorbereiteten, hatte er außerdem 3,5 Millionen britische Pfund erhalten. Als sei das alles noch nicht genug: Er hatte vor der Veröffentlichung ein Patent auf einen Einzelimpfstoff angemeldet, also ein persönliches Interesse daran, dass der Dreifachimpfstoff vom Markt verschwindet.
„Das alles ist lange bekannt, außerdem haben andere großangelegte Studien den Zusammenhang zwischen der Dreifachimpfung und Autismus widerlegt - dennoch ist diese Studie bis heute in den Köpfen der Impfgegner“, sagt Posern. In Großbritannien habe sie seinerzeit zu einem beträchtlichen Rückgang der Impfquote geführt. Auch hierzulande werde sie immer wieder als Argument gegen die Impfung angeführt.
Den Wissenschaftler macht so etwas wütend. „Ich halte Impfungen für gute und wichtige medizinische Vorsorge“, sagt Posern. „Es ist eine der besten Sachen, die uns in der Medizin zur Verfügung stehen, weil dadurch Krankheiten noch vor ihrem Ausbruch vermieden werden können“, fügt er hinzu.
Dafür, dass sich Eltern, die viele der hochansteckenden Infektionskrankheiten gar nicht mehr kennen, die Frage stellen, ob Impfungen für ein gesundes Kind schädlich sein könnten, dafür hat Posern sogar Verständnis. „Doch das endet da, wo über das Impfen wissenschaftlicher Unsinn verbreitet wird“, betont er. (mz)
