Teil 16: Gegen den Krebs Teil 16: Gegen den Krebs: Frank Weise kämpft sich zurück ins Leben
Halle (Saale) - F ieberschübe, Abgeschlagenheit, Schmerzen. Frank Weise fühlt sich nicht gut im Frühherbst des Jahres 2013. Er schiebt das Ganze auf eine hartnäckige Nasennebenhöhlenentzündung - zumal er unter einer stark verkrümmten Nasenscheidewand leidet. Auf Anraten seiner Ärztin entschließt er sich zu einer operativen Korrektur. Danach bekommt der Mann zwar wieder gut Luft. Aber die Schwellung der linken Gesichtshälfte geht nicht zurück. Sie weitet sich sogar aus. Das veranlasst die Ärzte im halleschen Krankenhaus Martha Maria zu weiteren Untersuchungen. Sie haben einen konkreten Verdacht, schalten sogar ein Nationales Kompetenzzentrum im Würzburg ein.
Nach 14 Tagen steht fest: Der 50-Jährige leidet unter Lymphdrüsenkrebs, und zwar unter einer hochaggressiven und zudem extrem seltenen Form. Non-Hodgkin-Lymphom ist der medizinische Fachbegriff. Etwa 30 Fälle gibt es davon pro Jahr in ganz Europa. Unbehandelt führt die Erkrankung binnen weniger Monate zum Tod.
Frank Weise, der zu diesem Zeitpunkt schon extrem an Gewicht verloren hat, bekommt nun Chemotherapie - zwischen Oktober 2013 und März 2014 sechs Zyklen. Die Behandlung führt rasch zur Verbesserung seines Allgemeinbefindens. Auch die entstellenden Veränderungen im Gesicht verschwinden langsam. Innerlich hinterlässt der Tumor einen tischtennisballgroßen Gewebedefekt. Der muss später „repariert“ werden. „Aber erst einmal galt es, am Leben zu bleiben“, sagt Frank Weise heute. Nach fünf Monaten zeigt eine sehr aufwendige bildgebende Untersuchung, dass kein vitales Tumorgewebe mehr vorhanden ist. „Die Erleichterung danach war riesig“, beschreibt er seine Gefühle. „Ich war auf dem richtigen Weg.“ Aber noch lange nicht am Ziel.
Um den Behandlungserfolg zu sichern, schlagen die Arzte eine Stammzelltransplantation vor. Die Suche nach geeigneten Spendern beginnt. Glücklicherweise kommt dann eine Therapie in Betracht, bei der aus Blut und Knochenmark eigene Stammzellen gewonnen und später transplantiert werden. Dazu muss Frank Weise im José-Carreras-Zentrum der Leipziger Universitätsklinik eine hoch dosierte Chemotherapie über sich ergehen lassen. Im April 2014 gelingt es, eine für die Transplantation notwendige Anzahl von Stammzellen zu gewinnen. Die Ärzte geben Frank Weise Zuversicht. Sie erklären, dass er durch die weitere Therapie eine 40-prozentige Chance auf Heilung hat. „Mein erster irrational-froher Gedanke war: Geschafft. Meine 40 Prozent“, erzählt er. Geschafft ist es zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht. Die eigentliche Herausforderung, die Transplantation, steht erst bevor. Vorher ist noch eine Kieferhöhlenoperation nötig. Es gibt verdächtige Gewebeveränderungen, die sich zum Glück jedoch als harmlos erweisen.
Der Glücksmoment
Im Mai 2014 folgt dann die Stammzelltherapie. Dazu wird die Aktivität des Knochenmarks auf Null gefahren. Frank Weise wird über Komplikationen aufgeklärt. „Aber schon bei normalem Verlauf ist das Ganze psychologisch und biologisch knackig“, sagt er. „Der Patient ist über Schläuche mit der Stammzelltransplantationseinheit verbunden - ein steriles intensivmedizinisches System.“
Mitgebracht werden dürfen dorthin nur sterilisierbare Dinge wie zum Beispiel ein Telefon. Zwar können Besuche empfangen werden. Doch beide Seiten haben davon nicht viel. Frank Weise befindet sich in einem denkbar schlechten Zustand. Dennoch - er ist seinen Freunden, Bekannten, Kollegen unendlich dankbar für ihren Zuspruch, für ihre Hilfe und Unterstützung - in allen Monaten der anstrengenden Therapie.
Am 28. Mai 2014 erfolgt dann die Transplantation. „Ein eher nüchterner Vorgang, einer Bluttransfusion ähnlich“, sagt er. Aber den unangenehmen Knoblauchgeschmack, hervorgerufen durch Frostschutzmittel der aufbewahrten Stammzellen, habe er immer noch in Erinnerung. Letztlich verläuft alles wie geplant. Das Immunsystem beginnt wieder zu arbeiten. Nach dreieinhalb Wochen kann er die Klinik verlassen. Untersuchungen bestätigen den Behandlungserfolg. Körperlich ist der Mann am Boden. Doch nun kommen dem diplomierten Sportlehrer, der 1992 zudem ein Aufbaustudium „Sport in Prävention und Rehabilitation“ und 2009 eine Ausbildung zum Heilpraktiker erfolgreich beendete, seine beruflichen Erfahrungen zugute. Er hat viele Krebspatienten bei ihrer Rückkehr ins Leben betreut. Heilungsprozesse mit ausgewählten naturheilkundlichen Medikamenten und Maßnahmen zu unterstützen, das stellt einen Schwerpunkt seiner Arbeit dar. Nun kann er dieses Wissen bei sich selbst anwenden.
Frank Weise setzt zum einen auf Bewegung. Früh und nachmittags geht er - mit Atemmaske und Sonnenschutz - 100 Meter. Mehr ist anfangs nicht drin. Zum Essen muss er sich zwingen. Seine Mutter, die ihn pflegt und der er in dieser Zeit wieder sehr nahekommt, findet immer Wege, ihm die Nahrung im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft zu machen - bis nach etwa sechs Wochen der Appetit zurückkehrt. Eine speziell auf ihn zugeschnittene Ernährung, und ein ebenso individuelles Trainingsprogramm, bringen ihn wieder auf die Beine. Anfangs bewegt er sich mit niedrigster Intensität, er treibt spezielle Gymnastik, absolviert Ausdauer- und Krafttraining. So schafft er es, Monat für Monat etwa ein Kilogramm zuzunehmen. „Jedes Nachlassen führte zu Stagnation oder Rückentwicklung“, sagt Frank Weise. „Ich lernte, das deutsche Tugendwort ,Disziplin’ zu buchstabieren.“
Restaurierende Operationen im Tumorgebiet unterbrechen seine Anstrengungen immer wieder. Besonders heikel in diesem Frühjahr eine Operation an der Uniklinik in Halle, die ein Loch im Gaumen schließen soll. Das passiert mit Zungengewebe und heißt: drei Wochen nicht essen und nicht sprechen. Die Ernährung erfolgt normalerweise über eine Nasensonde. Doch das lehnt Frank Weise ab. Er nutzt die Zwangslage zum Heilfasten. Das verlorene Gewicht kann er in unerwartet kurzer Zeit wieder aufbauen. Weitere wiederherstellende Operationen sind geplant.
„Unter optimistischer Beachtung aller Prognosesteller steht mir hoffentlich ein überwiegend fröhliches und arbeitsames Leben bevor“, sagt Frank Weise. Natürlich habe er in den vergangenen drei Jahren auch mal an den Tod gedacht. Aber solche Gedanken seien jedes Mal schnell wieder verflogen. „Es kamen positive und lebensbejahende Gedanken und Projektideen für die Zeit nach der Therapie.“ Frank Weise wertet das als Zeichen, dass seine Zeit noch nicht gekommen ist.
Ein Glücksmoment war für den jetzt 53-Jährigen zudem ein ganz besonders Ereignis: die Geburt der Enkeltochter genau zwischen den kraftraubendsten Therapiephasen im Mai 2014. (mz)