1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Gesundheit
  6. >
  7. Suizidforen im Internet: Suizidforen im Internet: Hilferufe im virtuellen Raum

Suizidforen im Internet Suizidforen im Internet: Hilferufe im virtuellen Raum

Von Dietmar Telser 18.09.2002, 09:32
Hilfe im Netz - die von Fachleuten betreute
Hilfe im Netz - die von Fachleuten betreute kompetenznetz-depression.de

München/Hamburg/Wiesbaden/dpa. - Rund 10 bis 20 Suizidforen werden Schätzungen zufolge inDeutschland betrieben. Betreut werden die Websites von Laien, diemeist anonym bleiben und ihre Seiten häufig über ausländische Serverins Netz stellen. Unter anderem werden Anleitungen zum Selbstmordgeboten, Verabredungen zum geplanten Suizid getroffen oderAbschiedsbriefe veröffentlicht.

Gefährlich mache diese Foren aber vor allem die Art, wie über denFreitod kommuniziert wird, sagt Professor Ulrich Hegerl von derPsychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) inMünchen. So werde Suizid häufig dargestellt, als wäre dieEntscheidung, aus dem Leben zu scheiden, eine vollkommen freie. «Dochder Freitod als freie Willensentscheidung existiert nur in Romanenund nicht im wirklichen Leben», sagt Hegerl. Selbsttötungen geschähenin mehr als 90 Prozent der Fälle bei einer ernsthaften psychischenErkrankung wie Depression, Schizophrenie oder auch Sucht.

Tatsächlich wollen sich viele Forenbesucher gerade von Ärzten undPsychiatern abgrenzen. So sehen viele die Foren und Chats als einzigeMöglichkeit, sich ohne Angst vor Unverständnis, Stigmatisierung oderärztlichem Einschreiten über Selbstmord zu unterhalten. «Die Nutzerder Foren sind regelrecht eine verschworene Gemeinschaft», sagtHegerl.

Gerade dies birgt weitere Gefahren: «Im kleinen Zirkel dieserGruppen wird der Selbstmord mystifiziert und jegliche Hilfe von außenabgewehrt», hat Professor Thomas Bronisch vom Max-Planck-Institut fürPsychiatrie in München beobachtet. So könnten bekannte Kultfiguren,die durch Suizid verstorben sind - wie der Leadsänger deramerikanischen Band «Nirvana» Curt Cobain - als Vorbild genommen werden.

«Für viele depressivErkrankte kann gerade während depressiver Episoden das Wissen über Suizidmethoden ausschlaggebend für die Entscheidung zum Selbstmord sein», sagt Hegerl. Georg Fiedler vom Therapie-Zentrum fürSuizidgefährdete (TZS) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf(UKE) sieht das etwas differenzierter: «Wer sich selbst töten möchte,findet ohnehin genügend Anleitungen auf anderen Internetseiten. InSuizidforen ist das eigentliche Thema das Überleben mit derSelbstmordneigung.»

Ein Verbot der Seiten ist letztlich juristisch schwierig,schließlich stellt Suizid keinen Straftatbestand dar. Außerdem stehendie Server der Foren häufig im Ausland. Durch gezielte Aufklärung undHilfestellung für Jugendliche kann Bronisch zufolge ohnehin mehrerreicht werden.

Angehörige von Suizidgefährdeten sollten daher ein Gespür für dieGefahren entwickeln und versuchen, die Sprachlosigkeit zuüberbrücken. Notwendig sei esdann, professionelle Hilfe wie Ärzte, Beratungsstellen oderPsychiater in Anspruch zu nehmen.

Das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden empfiehlt beiangekündigten Selbstmorden, umgehend das zuständige Landeskriminalamt(LKA) zu informieren. «Das LKA kann einen Selbstmord somöglicherweise verhindern», meint BKA-Sprecher Gerhard Schlemmer.Psychologe Fiedler gibt allerdings zu bedenken, dass bei vielen, derim Internet geäußerten Suizidgedanken, kein Handlungsdruck besteht.

Das von LMU-Psychiater Hegerl betreute ForschungsprojektKompetenznetz «Depression, Suizidalität»(http://www.kompetenznetz-depression.de) bietet alternativ ein voneinem Facharzt betreutes Forum an. In besonderen Gefahrensituationenwerden Ratschläge per E-Mail gesendet oder der Kontakt zu einem Arzthergestellt.