Studie Studie: Bei diesen Infektionen verschreiben Ärzte zu oft Antibiotika
Sie können entscheidend für Genesung sein, werden bei einigen Krankheiten aber zu häufig verschrieben: Antibiotika. Bei Rachen-, Mandel- und Mittelohrentzündungen etwa verordnen Mediziner die Medikamente viel zu oft. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI). Der Einsatz von Antibiotika in der Behandlung von Infektionserkrankungen sei aus der modernen Medizin zwar nicht mehr wegzudenken, so die Studienautoren. Allerdings: „Gleichzeitig kommt es durch den weitverbreiteten Einsatz von Antibiotika zur Ausbildung von Resistenzen gegen bestimmte bakterielle Erreger.“
Bundesweite Daten ausgewertet
Die Forscher werteten bundesweite kassenübergreifende Daten aus dem Jahr 2009 aus. So untersuchten sie, wie oft niedergelassene Ärzte bei bestimmten Erkrankungen Antibiotika verschrieben. Ihr so genannter Versorgungsatlas ist kürzlich auf der Internetseite des Instituts veröffentlicht worden. Dabei orientieren sich die Empfehlungswerte zur Verschreibung von Antibiotika an denen des europaweiten Netzwerks „European Surveillance of Antimicrobial Consumption“ (ESAC, Europäische Kontrolle des antimikrobiologischen Konsums). Die Ergebnisse im Überblick:
Rachen- und Mandelentzündungen
Bei Rachen- und Mandelentzündungen werden bundesweit in fast 60 Prozent der Fälle Antibiotika verabreicht. Dabei kann dies laut ESAC-Empfehlung nur in bis zu 20 Prozent der gestellten Diagnosen hilfreich sein. Denn: Ein klinischer relevanter Nutzen sei nur im Falle einer bestimmten von Bakterien verursachten Rachenentzündung belegt.
Mittelohrentzündung
Antibiotika wurde nach der Diagnose Mittelohrentzündung in fast 37 Prozent aller Fälle verschrieben. Empfohlen wird hier aber auch nur eine Verordnung in bis zu 20 Prozent der Fälle. Dabei machten die Forscher einen eklatanten Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland aus: In den neuen Bundesländern lagen die Verordnungsraten bei rund 28 Prozent, in den alten bei rund 38 Prozent. Generell zeigten sich - mit Ausnahme von Scharlach - in den neuen Bundesländern niedrigere Verordnungsraten als in den alten, stellten die Forscher fest.
Atemwegsinfektionen
Bei den Atemwegsinfektionen ist die Differenz zwischen Empfehlung und tatsächlich verordneten Medikamenten nicht so groß. Ärzte verschrieben in 30,6 Prozent der Fälle Antibiotika - und in bis zu 30 Prozent der Diagnosen sind sie laut Empfehlung angebracht.
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Harnwegsinfektionen
Bei einer Infektion der Harnwege geben deutsche Mediziner in rund 58 Prozent der Fälle ein Antibiotikum. Das europäische Netzwerk ESAC hält eine Antibiotika-Therapie bei Harnwegs-Erkrankungen sogar in 80 bis 100 Prozent der Fälle für sinnvoll. Auch international wird eine Antibiotikatherapie empfohlen, wie die Wissenschaftler schreiben.
Scharlach
Bei Scharlach-Erkrankungen sei eine Therapie mit Antibiotika durchaus angezeigt, aber entgegen früherer Überlegungen keine Pflicht mehr, so die Forscher. Dies hänge auch damit zusammen, dass in Zusammenhang mit Scharlach weniger schwerwiegende Komplikationen, wie etwa rheumatisches Fieber, aufträten. Dennoch: Im Bundesdurchschnitt erhalten rund 82 Prozent der Patienten mit der Diagnose Scharlach ein Antibiotikum.
Lungenentzündung/Pneumonie
„Die Pneumonie ist eine der Infektionskrankheiten, bei der die Indikation zur Antibiotikatherapie unumstritten ist", schreiben die ZI-Forscher. „Hohe Verordnungsraten wären dementsprechend zu erwarten.“ Es werden jedoch im Bundesdurchschnitt nur rund 54 Prozent der ambulanten Pneumoniepatienten antibiotisch behandelt. Hier machen die Wissenschaftler jedoch eine Einschränkung: Schließlich würden in der Untersuchung nur ambulant behandelte Lungenentzündungen berücksichtigt. „Die tatsächliche Verordnungsrate liegt vermutlich wesentlich höher, da insbesondere ältere Patienten häufig vom Hausarzt diagnostiziert, dann aber zur Weiterbehandlung in das Krankenhaus eingewiesen werden.“ Damit fallen sie für die Studienautoren aus der Statistik. (rer)