Shoppen wie im Rausch - Kaufsüchtige fühlen sich leer
Hannover/Berlin/dpa. - Eine 20-Jährige gibt im Monat mehrere hundert Euro für Faltencremes aus, die sie gar nicht benutzt. Ein Azubi kauft sich teure Fotoapparate, die er in seiner Wohnung stapelt.
Das sind zwei Beispiele von etwa 500 000 Menschen in Deutschland, die unter Kaufsucht leiden. Spaß macht ihnen das Einkaufen nicht. Es gibt nur einen kurzen Glücksmoment, wenn sie das begehrte Objekt ihr Eigen nennen. Dann fühlen sie sich beachtet und wertvoll, die Leere in ihrem Inneren ist für einen Moment ausgefüllt.
Doch das schlechte Gewissen lauert schon - im schlimmsten Fall kommt es bereits beim Abwenden von der Ladentheke. «Immer denkt man, das war jetzt aber das letzte Mal», sagt Sieglinde Zimmer-Fiene aus der Nähe von Hannover über einen unkontrollierten Einkauf. Über ihren Leidensweg hat sie ein Buch geschrieben. Seit 20 Jahren ist sie kaufsüchtig. «Das Herz schlägt bis zum Kopf, man kommt ins Schwitzen, der Körper schmerzt, es ist alles wie benebelt, wie in Trance», beschreibt sie ihre früheren Gefühle beim Einkaufen. Eine solche Erregung ist für Psychologen ein Hinweis auf eine Kaufsucht, eine klare Definition für diese zwanghafte Störung gibt es noch nicht.
Wer viel kauft, ist noch lange nicht kaufsüchtig. Entscheidend sind das Verhalten und das Gefühl beim Einkaufen. Dass schnell nach dem Bezahlen das Interesse an dem Gekauften verloren geht, kann ein Hinweis auf eine Kaufsucht sein. «Bei den Betroffenen hat das Einkaufen seine eigentliche Funktion verloren», sagt die Psychologin Chantal Mörsen vom Universitätsklinikum Charité in Berlin. «Sie kaufen, um zu kaufen - und nicht, um zu besitzen.»
Hinter dieser Sucht steckt immer ein Problem mit dem Selbstwertgefühl. «Die Gründe gehen zurück in eine konfliktbeladene Kindheit», sagt Petra Schuhler von der Psychosomatischen Fachklinik Münchwies im saarländischen Neunkirchen. Wie auch andere Suchtkranke leiden Kaufsüchtige unter seelischen Belastungen, sie benutzen das Einkaufen zur Flucht vor ihren Problemen und Gefühlen. Auffällig ist, dass sie insgesamt locker mit Geld umgehen und nur schlecht einschätzen können, wie viel sie ausgegeben haben.
Am Anfang wird einmal im Monat groß eingekauft, dann einmal die Woche, in extremen Fällen gehen Süchtige schließlich mehrfach am Tag in die Geschäfte. Beim Einkaufen sind sie stark erregt, es folgen ein Glücksmoment beim Bezahlen und der Absturz in meist tiefe Gefühle von Versagen und Schuld. Diese mindern weiter das Selbstwertgefühl, das mit dem nächsten Einkauf wieder kurzzeitig aufpoliert wird. «Nicht nur der innere, sondern auch der Druck von außen ist sehr hoch», sagt Schuhler. Die Einkäufe werden möglichst verheimlicht.
«Am Anfang habe ich nur teure Kleider gekauft. Am Ende habe ich auch im Supermarkt nur noch die teuerste Schokolade und den teuersten Schinken mitgenommen», erzählt Zimmer-Fiene, die vor sieben Jahren eine Selbsthilfegruppe gegründet hat. Dieser Gruppe verdankt die 54-Jährige, dass sie mittlerweile kein Kaufrausch mehr überkommt.
Einen Weg aus der Spirale der Kaufsucht zu finden, ist schwer. Fachleute empfehlen eine Verhaltenstherapie. «Schließlich geht es um verdeckte Probleme», sagt Schuhler. In der Therapie lernen die Menschen unter anderem, sich ihren Problemen und Gefühlen zu stellen. Sie werden sich ihres eigenen Verhaltens bewusst und lernen, es zu ändern. Die Rückfallgefahr ist allerdings hoch. «Das Suchtgedächtnis im Gehirn ist nicht zu löschen», erklärt Mörsen. Aber Suchtverhalten sei erlernt, und der Mensch könne umlernen.
Literatur: Sieglinde Zimmer-Fiene: Kaufsucht. Mein Leben durch die Hölle, Tinto, ISBN-13: 978-3-98108-496-2, 16,95 Euro.
Nach einer aktuellen Studie aus Großbritannien sind Männer und Frauen gleichermaßen betroffen. Andere Studien sprechen dagegen von einem deutlich höheren Frauenanteil. Frauen kaufen meist Kleidung, Schmuck oder Kosmetika, Männer greifen eher zu technischen Dingen wie Fotoapparaten oder CD-Spielern. Unterschiede zwischen sozialen Schichten scheint es nicht zu geben.