Selten aber traumatisch - Aufwachen während der OP
Frankfurt/Main/dpa. - Zwölf Jahre nach ihrem traumatischen Erlebnis auf dem OP-Tisch hat Petra Haberkorn noch immer mit den Folgen zu kämpfen. Die 31-Jährige leidet unter Platzangst, öffentliche Verkehrsmittel lösen bei ihr Angstzustände aus.
Jahrelang wachte sie nachts um Luft ringend auf und hatte das Gefühl zu ersticken. Ursache ihrer psychischen Leiden ist eine ihrer Ansicht nach zu niedrig dosierte Narkose bei einer Bauchoperation. Als der Chirurg in einem bayerischen Krankenhaus ihre Zyste herausschnitt, wurde die damals 19-Jährige wach, konnte aber weder um Hilfe rufen noch sich mit Gesten bemerkbar machen.
«Unerwünschte Wachheit» (awareness) ist äußerst selten, im Falle des Falles aber ein schwerwiegendes Problem. Schlimmstenfalls kommt der Patient auf dem OP-Tisch zu Bewusstsein, leidet Schmerzen und kann sich später sogar daran erinnern. Das aber kommt einer Studie von 1994 zufolge allerdings nur in 0,03 Prozent aller Vollnarkosen vor. Dass der Patient aufwacht und sich später daran erinnern kann, während der OP aber wenigstens keinen Schmerz empfindet, ist schon ein bisschen häufiger: Eine Untersuchung aus dem Jahr 2000 schätzt solche Fälle auf 0,1 bis 0,2 Prozent aller Anästhesien. Am häufigsten kommen Wachzustände bei Kaiserschnitten vor - bisweilen wird bei einer Sectio die Dosis des Narkosemittels bewusst niedrig gewählt, um das Kind nicht zu gefährden.
«Ich war in mir begraben», beschreibt die junge Frau, die heute selbst in einem medizinischen Beruf tätig ist und ihren wahren Namen nicht nennen will. Sie erinnert sich, dass sie aufwachte und zunächst dachte, die OP sei vorbei. Dann aber habe sie Ärzte und Schwestern reden hören. «Ich wollte etwas sagen, aber als ich Luft holen wollte, konnte ich nicht einatmen. Da habe ich Panik bekommen. Ich dachte: Jetzt kommt gleich der Schmerz.» Das aber blieb ihr erspart.
Was war schief gelaufen? «Gerätefehlfunktionen und -fehlbedienung sind die Hauptursachen für unerwartete intraoperative Wachheit», schreibt die Fachzeitschrift «Der Anästhesist». Aber auch eine zu niedrige Dosierung oder eine falsche Zusammensetzung der einzelnen Bestandteile des Narkosemittels können dafür verantwortlich sein. Denn für eine Vollnarkose bekommt der Patient immer einen Cocktail verschiedener Substanzen, die hauptsächlich drei Funktionen erfüllen: Sie versetzen ihn in einen künstlichen Schlaf, schalten sein Schmerzempfinden aus und lassen seine Muskeln erschlaffen.
Diese sogenannte Muskelrelaxation ist unerlässlich, wenn der Chirurg wie bei Petra Haberkorn durch die Bauchdecke schneiden muss - aber sie birgt auch eine Gefahr: Wenn der Patient komplett unbeweglich ist, kann er sich auch nicht bemerkbar machen, sollte er tatsächlich während des Eingriffs zu Bewusstsein kommen. Normalerweise wird die Tiefe der Narkose mittels Pulsfrequenz und Blutdruck überwacht.
Prof. Norbert Roewer, Direktor der Klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Würzburg hält das nicht für ausreichend: «Bei der Beurteilung der Narkose-Tiefe während der Operation besteht aus meiner Sicht noch Nachholbedarf.» Als europaweit erstes Krankenhaus, sagt Roewer, misst die Würzburger Klinik neuerdings in allen Operationssälen zusätzlich die Gehirnströme der Patienten. «Wir halten die Überwachung des Gehirns für wichtig, weil es ein erster Schritt ist, das Bewusstsein spezifischer zu beobachten», erläutert Roewer. Ein entscheidender Schritt, solche Unfälle zu vermeiden, ist für ihn auch, «dass wir Anästhesisten uns bewusstwerden, dass Awareness existiert und auch heute überall möglich ist».
Die Ärzte von Petra Haberkorn haben irgendwann bemerkt, dass sie wach war - in Wirklichkeit vielleicht nach wenigen Sekunden oder Minuten, «aber für mich war das eine Ewigkeit». In den ersten Nächten nach der OP sei sie immer wieder aufgewacht und habe keine Luft bekommen. «Als läge ein tonnenschwerer Stein auf meiner Brust.» Erst habe sie gar keinen Zusammenhang zu dem Narkoseunfall herstellen können, «ich dachte, ich bekomme vielleicht Asthma oder so». Auf die Idee, dass das «subjektive Ersticken» Auslöser ihrer Schlafstörungen und Beklemmungen sein könnte, brachte sie erst Jahre später ihr Psychotherapeut.
2008 soll ein Film in den deutschen Kinos anlaufen, in dem das Aufwachen während der Operation Ausgangspunkt für einen Psychothriller ist. In «Awake» mit Hayden Christensen und Jessica Alba erlebt ein Mann eine Herzoperation bei vollem Bewusstsein und verarbeitet dabei die Probleme seiner kriselnden Liebesbeziehung. Petra Haberkorn will sich den Streifen lieber nicht ansehen.