Schon nach Stunden auf den Beinen Schon nach Stunden auf den Beinen: Klinikum ersetzt Hüftgelenke mit neuer Methode
Merseburg - Wenn Gerhard Meyer (Name geändert) sich in seinem großen Garten umschaut, dann wird ihm schwer ums Herz. Nein, es ist nicht allein die Trockenheit des Sommers, die dem Grundstück im Saalekreis zugesetzt hat. Es ist einfach vernachlässigt worden. „Überall sprießt das Unkraut“, klagt der 66-Jährige. Im zurückliegenden Jahr habe er es nicht geschafft, Distel, Löwenzahn und Co. zu Leibe zu rücken. Denn jeder Schritt habe höllische Schmerzen verursacht. „Zuletzt konnte ich mich überhaupt nur noch mit Hilfe zweier Gehstützen fortbewegen“, sagt er.
Diagnose: Hüftarthrose durch schwere körperliche Arbeit
Gerhard Meyer denkt anfangs, dass die Ursache seiner Qualen im Rücken sitzt. Doch ein Orthopäde stellt fest: Die Schmerzen gehen von der Hüfte aus. Arthrose lautet die Diagnose, also übermäßiger Gelenkverschleiß. Gerhard Meyer arbeitete viele Jahre als Rohrleger. Schwere körperliche Arbeit war da an der Tagesordnung. Der Beruf fordert nun seinen Tribut. Die einzige Möglichkeit, den Rentner von seinen Schmerzen zu befreien, ist ein Gelenkersatz. Und das geschieht im Carl-von-Basedow-Klinikum Saalekreis. Anfang Juni wird in Merseburg sein rechtes Hüftgelenk ersetzt. Mitte September das linke.
„Rapid Recovery“ - schnelle Genesung für Hüft- und Kniepatienten
Die Chirurgen des Basedow-Klinikums arbeiten bei Patienten, die ein neues Hüft- oder Kniegelenk erhalten, nach einem ganz besonderen Programm. „Rapid Recovery“ lautet sein Name. Übersetzt heißt das so viel wie „schnelle Genesung“. Ein Name, der Programm ist. Denn um nichts anderes geht es bei dem Konzept. Dr. Felix Göbel, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie hat es seit 2013 Schritt für Schritt am Merseburger Klinikum eingeführt. Es war die erste „Rapid-Recovery-Klinik“ in Mitteldeutschland und es ist bis heute die einzige in Sachsen-Anhalt. Inzwischen werden hier jährlich etwa 400 dieser speziellen Gelenkoperationen vorgenommen.
Patienten kommen gut vorbereitet zur Operation ins Basedow-Klinikum
Doch wie funktioniert das Programm? „Es beginnt damit, dass unsere Patienten gut informiert und gut vorbereitet zur OP kommen“, sagt der Chefarzt. Steht der Termin für den Eingriff fest, werden die Betroffenen erst einmal zur Patientenschulung eingeladen. Hier erfahren sie alles, was sie über den gesamten Behandlungsprozess wissen müssen. Und zwar von allen, die daran beteiligt sind: Orthopäden, Anästhesisten, Pflegekräften und Physiotherapeuten. Letztere zeigen bereits zu diesem Zeitpunkt Übungen, die die Patienten nach der OP selbstständig absolvieren können. Und sie demonstrieren das Gehen mit Unterarmstützen. Auf einer geraden Fläche und auf Treppen. Das alles kann dann schon mal geübt werden. Einbezogen in die Vorbereitungen ist übrigens auch der Sozialdienst, dessen Mitarbeiter darüber informieren, wie es nach der Operation mit einer Reha weitergehen kann.
Kein großer Blutverlust und persönliche Trainer
Zu diesen Schulungen bringen die zukünftigen Patienten übrigens ihren ganz persönlichen Trainer mit. Meist ist das der Partner, der bei dieser Gelegenheit erfährt, wie er „seinen“ Operierten nach der Entlassung aus der Klinik unterstützen und anspornen kann.
In die Klinik kommen die Patienten - bis auf ganz wenige Ausnahmen - erst am Tag der Operation. „Und zwar so gestaffelt, dass sie nicht mehr lange auf ihren Eingriff warten müssen“, sagt Felix Göbel. Die notwendigen Voruntersuchungen seien zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. „Bei der Operation selbst werden dann besonders muskel- und weichteilschonende Techniken angewendet“, erklärt der Chefarzt. Damit könne der Blutverlust in Grenzen gehalten werden. Er nennt zwei Effekte, die daraus resultieren. Die Durchblutung besonders des Gehirns der meist etwas älteren Patienten leide nicht. Dadurch seien diese nach der OP schneller in der Lage, aktiv zu werden. Außerdem bräuchten die Frischoperierten so gut wie nie eine Bluttransfusion, was das Risiko von Infektionen, einer gefürchteten Nebenwirkung, verringere.
Patienten bekommen lokale Schmerzmittel - viele gehen erste Schritte direkt nach OP
„Während der OP wird das Gelenk mit einem lokalen Schmerzmittel behandelt“, fügt der Arzt hinzu. Das ermögliche es den Patienten, bereits wenige Stunden nach dem Eingriff wieder aufzustehen. „Natürlich mit Unterstützung“, wie er betont. Bei neun von zehn Patienten gelinge das. Und drei Viertel von ihnen liefen bereits am OP-Tag ein paar Schritte. „Die frühe Mobilisierung gibt Vertrauen in das operierte Bein. Sie reduziert zudem Risiken wie Lungenembolien und Thrombosen“, sagt Felix Göbel.
Neben-Erkrankungen sollen vermieden werden - Empfang mit Wassereis
Es ist eines der Ziele des Programms, solche Neben-Erkrankungen zu vermeiden. Dazu gehört auch, dass die Patienten bis wenige Stunden vor der Operation und auch schnell danach essen und trinken können. Dadurch gebe es weniger Probleme mit dem Darm, erklärt der Arzt. Als Nebenwirkung einer Narkose sei dessen Aktivität häufig etwas herabgesetzt, was Auswirkungen auf das Allgemeinbefinden der Patienten haben könne. Um sofort nach dem Eingriff deren Lebensgeister wieder zu wecken, werden sie auf der Station mit einem Wassereis empfangen.
Krankenhausaufenthalt kürzer als eine Woche
All das Genannte trägt am Ende dazu bei, dass die Operierten im wahrsten Sinne des Wortes schneller wieder auf die Beine kommen und somit auch schneller nach Hause in ihr normales Umfeld entlassen werden können. In der Regel ist der Krankenhausaufenthalt in Merseburg kürzer als eine Woche. Außerhalb dieses Programmes sind es sowohl bei Hüft- als auch bei Kniegelenkoperationen deutschlandweit etwas mehr als zehn Tage.
Dennoch - Entlassungen um jeden Preis gibt es am Basedow-Klinikum nicht. „Wir haben feste Kriterien, nach denen entschieden wird, ob ein Patient nach Hause darf oder nicht“, betont Felix Göbel. Er müsse in der Lage sein, 60 Meter zu laufen, Treppen zu steigen und eine trockene Operationswunde aufweisen. „Es gibt keine blutige Entlassung“, unterstreicht er. Zudem entscheide der Patient mit. Er müsse signalisieren, ob er sich zutraue, zu Hause allein zurecht zu kommen.
Patient: „Die Schmerzen sind weg“
Bei Gerhard Meyer war das nach nur fünf Tagen der Fall. „Die Schmerzen sind weg“, sagt er. Der Rentner hat sie lange ertragen. Doch wäre das nötig gewesen? „Nein“, sagt Felix Göbel. Wobei nicht jeder Gelenkschmerz sofort nach einem Gelenkersatz verlange. Möglich sei oft eine konservative Behandlung. Erst wenn der Gelenkknorpel, der für schmerzfreie Bewegungen sorgt, nicht mehr vorhanden sei, müsse über eine OP nachgedacht werden. Aber auch nur dann, wenn keine Kontraindikation vorliege. Wer beispielsweise extremes Übergewicht habe, dem werde geraten, erst einmal an eine Gewichtsreduktion denken, meint der Chefarzt. Ein operativer Eingriff sei in diesem Fall zu gefährlich.
Wandern, Radfahren, Sport - mit Knie- oder Hüftproblemen oft ausgeschlossen
„Die zweite Komponente ist der subjektive Leidensdruck“, sagt Felix Göbel. Patienten im mittleren Alter seien noch sehr aktiv. „Sie möchten wandern, Fahrrad fahren, Sport treiben, ins Theater gehen“, betont er. Wenn das alles aber wegen der Hüft- oder Kniebeschwerden nicht mehr möglich sei, verlören die Betroffenen ihre sozialen Kontakte. Manche Ehe ginge in die Brüche, weil der Partner nur noch jammere und unausstehlich werde. Das alles könne vermieden werden.
Den Vorwurf, dass an Knie und Hüfte zu viel operiert werde, den weist der Chefarzt zurück. „Diesbezüglich müssen wir uns hier keine Vorwürfe machen“, sagt er. Im übrigen habe die Zahl der Patienten in den vergangenen Jahren nicht mehr zugenommen. Sehr wohl stiegen in unserer Gesellschaft aber die Ansprüche an die Lebensqualität. „Das heißt, auch ein älterer Mensch ist heute viel weniger bereit, mit Schmerzen und Funktionseinschränkungen zu leben, als das früher der Fall war“, betont er. Und schließlich seien Ärzte ja auch verpflichtet, auf vorhandene Möglichkeiten hinzuweisen.
85 Prozent der Patienten sind mit Knie-OP zufrieden
Immerhin: 85 Prozent aller Patienten, so weise es die Fachliteratur aus, zeigten sich nach einer Knie-OP zufrieden. „Bei der Hüfte sind es sogar 90 Prozent“, unterstreicht der Mediziner. Die Hüft-Operation sei - nach der Hornhauttransplantation am Auge - der Eingriff mit den größten Erfolgsaussichten. Gerhard Meyer würde das sofort unterschreiben. Er fährt jetzt erst einmal zur Reha und hofft, die Unterarmstützen bald in die Ecke stellen zu können. Spätestens im Frühjahr will er wieder anfangen, sich um seinen Garten zu kümmern. (mz)