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Sachsen-Anhalter sind chronisch herzkrank Sachsen-Anhalter sind chronisch herzkrank: So könnten viele Infarkte verhindert werden

Von Bärbel Böttcher 18.07.2019, 08:00
Die Herzgruppe des Sportvereins Lokomotive Aschersleben trainiert regelmäßig, um die Folgen einer schweren Herzerkrankung zu mildern und den Erfolg des Reha-Aufenthaltes zu stabilisieren.
Die Herzgruppe des Sportvereins Lokomotive Aschersleben trainiert regelmäßig, um die Folgen einer schweren Herzerkrankung zu mildern und den Erfolg des Reha-Aufenthaltes zu stabilisieren. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Es ist ein Satz im Gespräch mit Professor Daniel Sedding, der aufhorchen lässt und zugleich nachdenklich macht. „Wir sind heute in einer Lage, in der wir zwar sehr gut wissen, was uns hilft, Krankheiten zu vermeiden und unser Leben zu verlängern. Aber wir setzen dieses Wissen im Alltag so gut wie gar nicht ein“, sagt der Kardiologe.

Vor Augen hat der Direktor der halleschen Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin III dabei die Statistik, die Auskunft darüber gibt, woran die Menschen heutzutage sterben. Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen da in allen westlichen Industrienationen an erster Stelle. Und der Blick allein auf Deutschland zeigt: Sachsen-Anhalt ist chronisch herzkrank. In keinem anderen Bundesland sterben so viele Menschen wie hierzulande, weil die „Pumpe“ versagt.

Kranke Blutgefäße sind häufigste Ursache für Herzinfarkt oder Schlaganfall

Daniel Sedding holt ein wenig aus. Häufigste Ursache für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall sei eine Erkrankung der Blutgefäße, hauptsächlich der Arterien, erklärt er. Durch chronische Entzündungen in den Gefäßen, die über Jahre und Jahrzehnte fortschreiten, bilde sich Narbengewebe. Mit der Zeit werde das immer fester. Letztlich verkalke die Arterie. Die Durchblutung des Herzens sei gestört. „Wenn sich ein Herzkranzgefäß dann völlig verschließt, kommt es zum lebensbedrohlichen Herzinfarkt.“

Nun stehen den Medizinern modernste Katheter zur Verfügung, um die Arterien wieder zu öffnen und dadurch Leben zu retten. „Das glückt viel häufiger als noch vor Jahren, weil wir neue Technik anwenden, mit der stark verkalkte oder ganz kleine Gefäße erreicht und gut versorgt werden können“, erklärt der Mediziner. „Doch“, so fügt er hinzu, „die Hälfte aller Herzinfarktpatienten stirbt, bevor sie die rettende Klinik erreicht hat.“ Um die Infarktsterblichkeit zu senken, müsse also viel früher angesetzt werden - nicht erst bei der Herzkatheter-Behandlung. Das Zauberwort heißt Prävention.

Studie untersucht Ursachen von Herzinfarkten

Die halleschen Mediziner haben dazu einerseits eine große Studie aufgelegt. Ihre Fragestellung lautet: Warum werden die Sachsen-Anhalter überhaupt so krank. Alle bisher gängigen Theorien - etwa eine schlechte medizinische Versorgung oder eine zu späte Alarmierung des Notarztes - taugen als Erklärung nicht. Andererseits sehen sie es als ihre Aufgabe an, Ratschläge zur Vorbeugung von Herz-Kreislauferkrankungen populär zu machen.

„Das sind oft ganz einfache Strategien, die jeder für sich selbst umsetzen kann“, sagt Sedding. Und ist wieder bei seinem Ausgangspunkt angelangt: Kaum einer tut es. „Würden diese Ratschläge befolgt, könnte wahrscheinlich allein dadurch ein Großteil aller Herzinfarkte verhindert werden“, unterstreicht er.

Was aber meint der Mediziner genau? Er nennt zuerst den „Hauptkiller“, den hohen Blutdruck. „Das Fatale ist, dass ihn niemand merkt. Man fühlt sich wohl, es tut nichts weh. Und dabei ist man krank“, sagt er. Das Gleiche gelte für einen hohen Cholesterinspiegel. „Der ist nicht zu spüren. Und doch führt das zu hohe LDL-Cholesterin dazu, dass die Gefäße sich relativ schnell verengen und dann zusetzen. Dadurch steigt das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall.“ Sein Appell daher: „Lassen Sie Ihren Blutdruck messen, lassen Sie Ihren Cholesterinspiegel bestimmen.“ Bei erhöhten Werten könne vorbeugend eingegriffen werden.

Ernährungsempfehlung: Viel Obst und frisches Gemüse

Oftmals sind dazu gar keine Pillen nötig. Daniel Sedding rät seinen Patienten, das Rauchen einzustellen. „Falls sie Raucher sind, ist das die wichtigste Maßnahme zum Schutz vor Herzinfarkt und Schlaganfall aber auch vor Krebs“, unterstreicht der Arzt. Er spornt auch zu körperlicher Aktivität an: Fahrrad statt ins Auto, Treppe statt Aufzug ... „Alle diese kleinen Dinge haben langfristig gesehen einen großen Effekt für die Gesundheit“, betont er.

„Wenn das alles zusammengenommen wird und dann noch eine gesunde Ernährung dazukommt, bei der viel Obst und vor allem frisches Gemüse anstelle von Fertig-Fast-Food-Produkten verzehrt wird, wären die Menschen in Sachsen-Anhalt in der Lage, ihr Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu halbieren.“ Das sei mehr, als jeder Mediziner mit Tabletten, Herzkathetern oder sonstigen Möglichkeiten der modernen Medizin bewirken könne. Und deshalb will er nicht nur im Ernstfall rettend eingreifen, sondern sieht die vorbeugende Gesundheitsberatung als einen wichtigen Teil der Arbeit von Ärzten an.

Zu hoher Blutdruck wird erst später zum großen Problem

Doch den Präventionsgedanken zu den Menschen zu bringen, das scheint schwieriger zu sein, als hartnäckig verstopfte Arterien wieder freizubohren. Sedding spricht von einem psychologischen Phänomen, das bis heute nicht gut erklärt sei. „Höchstwahrscheinlich liegen Ursache und Wirkung zeitlich einfach zu weit auseinander“, sagt er. „Wenn ich mich am Feuer verbrenne, dann merke ich mir unmittelbar, dass es gefährlich ist, einer Flamme zu nahe zu kommen.

Ein zu hoher Blutdruck wird erst in zehn oder 20 Jahren zur Gefahr“, ergänzt der Herzspezialist. Die Wirkung sei so weit weg, dass sie psychologisch nicht als Bedrohung angesehen werde. Und das sei das Hauptproblem. Insofern halte sich der Patient ein paar Wochen, vielleicht ein paar Monate an die guten Ratschläge des Arztes, aber dann gerate alles wieder in Vergessenheit. „Das müssen wir ändern.“

Daniel Sedding räumt ein, dass der Mensch, dessen Blutdruck mit Tabletten eingestellt wird, eine gewisse Durststrecke überstehen müsse. Denn an den niedrigeren Blutdruck müsse sich der Körper erst gewöhnen. In den ersten Wochen fühle sich der Patient möglicherweise etwas schlapper. „Er hat das Gefühl, unnütz krank gemacht zu werden, und verkennt, dass die Umstellung langfristig positive Folgen für seine Lebenserwartung hat.“

Maßvolle Änderung des bisherigen Lebensstils

Der Kardiologe hat zudem die Erfahrung gemacht, dass Patienten ihre Medikamente nicht regelmäßig und dauerhaft einnehmen - weil sie sich ja auch nicht anders fühlen, wenn sie sie weglassen. „Insofern ist die langfristige Behandlung der Risikofaktoren Blutdruck und Cholesterin besonders schwierig“, sagt Sedding.

Doch was ist mit der Ernährung und der Bewegung? Sind es nicht auch die Lebensumstände, die es uns schwer machen, gesund zu leben? Der Kardiologe lächelt. Und sagt dann, dass es uns sehr leicht falle, Ausreden zu finden, warum es mit der gesunden Lebensweise gerade heute nicht klappt. Das gelte für die Bewegung genauso wie für die Ernährung.

Sicher sei es nicht leicht, der Werbung für vermeintlich zeitsparende und schmackhafte Fertigprodukte zu widerstehen. Hier in der Öffentlichkeit einen gleichstarken Gegenpol zu schaffen, zu zeigen, dass es auch anders gehe, das sei eine gemeinsame Aufgabe von Politik, Krankenkassen und Ärzten. Da müsse mehr als bisher getan werden. Und zwar kontinuierlich.

Seinen Patienten rät Daniel Sedding derweil, Änderungen des Lebensstils maßvoll anzugehen. Nicht gleich alles auf einmal zu ändern. Das halte keiner durch. „Denn“, so betont der Arzt, „es ist keine Hauruck-Aktion, sondern ein langfristiger Marathon.“ (mz)