Psychologie Psychologie: Angst vor Peinlichkeiten heißt Erythrophobie

Mannheim/dpa. - Auch die Psychotherapeutin Doris Wolf aus Mannheim hat früher darunter gelitten: «Immer, wenn ich plötzlich imMittelpunkt stand, lief ich rot an.»
Biologisch sei das Phänomen leicht erklärt, sagt Wolf: «Wenn wiretwas als gefährlich, peinlich oder unangenehm für uns ansehen,erzeugen wir eine Alarmreaktion in unserem Körper.» Das Gehirn sendet Hormone aus, der Blutdruck steigt, die Gefäße erweiterten sich. «Bei manchen Menschen werden diese körperlichen Vorgänge dann im Gesicht durch das Rotwerden sichtbar.»
Übermalen ist meist der erste Reflex. René Koch, Visagist ausBerlin, empfiehlt eine so genannte Camouflage «als Make-up für die Seele». Geeignet sei Camouflage light, mit einer Pigmentdichte von 35 Prozent. Dazu biete sich ein Anti-Shine-Pulver gegen das Schwitzen an: «Das ist wie eine Tarnkappe, gibt den Betroffenen Sicherheit.»
Wolf hält davon nichts - ebenso wenig wie von Medikamenten, Sprays oder gar OPs: «Das Problem ist nicht das Erröten selbst, sondern die Angst vor dem Erröten». Die kann krankhaft sein: Betroffene vermeiden Situationen, in denen sie rot werden könnten, und gehen irgendwann nicht mehr zur Arbeit oder aus dem Haus. Dann liegt laut Wolf eine so genannte Erythrophobie vor.
Besonders Frauen, die von allen gemocht werden und fehlerlos sein wollen, leiden unter dem Erröten, erläutert Wolf. In ihrem Bestreben, unauffällig zu sein, verlören einige den Bezug zur Realität: «Es gibt Patienten, die bitten mich darum, Briefe an sie ohne Absender zu verschicken, damit der Briefträger nichts davon erfährt.» Viele wagten erst gar nicht, einen Therapeuten aufzusuchen.
Ratgeber zum Thema gibt es nur wenige, auch im Internet ist dasHilfsangebot überschaubar. Unter www.erythrophobie.de gibt Carsten Dieme aus Bielefeld, selbst «Ex-Ery», Tipps: «Dein Erröten nimmst du immer stärker wahr als es tatsächlich ist.» Der erste Schritt zur Besserung sei, sich zu erlauben, rot zu werden, sagt Wolf - und sich klar zu machen, dass viele das als sehr menschliche Reaktion sehen.
Der Erfolg einer psychotherapeutischen Behandlung sei abhängigdavon, wie bereit Betroffene sind, an ihrer Angst zu arbeiten, sagtDoris Wolf. Manchmal lasse das Problem zwar von selbst nach, anderelitten jedoch ein Leben lang. Wolf wird auch heute noch manchmal rot:bei an sie gerichteten Komplimenten oder auch bei Kritik - «aber ichverurteile mich nicht mehr dabei».
Literatur: Carsten Dieme: Angst vorm Erröten? Erythrophobie:Hintergründe, Auswege und Erfolgsberichte Betroffener, StillwasserVerlag, ISBN: 3-980-8696-1 X, 16,40 Euro;
Doris Wolf: Keine Angst vor dem Erröten, PAL Lebenshilfe Bibliothek, ISBN 3-923-61459-4, 12,80 Euro