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Blutvergiftung „Man fühlt sich sterbenselend“

Eine Blutvergiftung ist lebensbedrohlich, doch viele haben die Gefahr nicht auf dem Schirm. Die Ärztin Ruth Hecker erklärt, woran das liegt.

Aktualisiert: 16.4.2021, 09:54
Bei einer Blutvergiftung fühlen sich die Patienten oft so niedergeschlagen wie bei einer Grippe.
Bei einer Blutvergiftung fühlen sich die Patienten oft so niedergeschlagen wie bei einer Grippe. dpa

Sepsis zählt zu den häufigsten Todesursachen hierzulande. Doch viele tragische Verläufe ließen sich verhindern, sagt die Ärztin Ruth Hecker. Sie ist Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit. Im Gespräch mit Tom Nebe erklärt die Medizinerin, warum man bei bestimmten Symp-tomen immer auch an eine Sepsis denken sollte und weshalb diese gerade im Zusammenhang mit Corona so tückisch ist.

Frau Hecker, warum ist eine Sepsis so gefährlich?

Ruth Hecker: Weil sie als solche oft nicht früh genug erkannt wird. Und wer nicht rechtzeitig behandelt wird, kann daran sterben.

Woran ist eine Sepsis überhaupt zu erkennen?

Ruth Hecker: Ich bin noch aufgewachsen damit, dass einem gesagt wurde, ein roter Strich am Arm sei gefährlich - weil das auf eine Blutvergiftung hindeute. Das ist auch richtig und deshalb sind ja zum Beispiel auch Tetanus-Impfungen so wichtig. Doch eine Blutvergiftung, wie die Sepsis im Allgemeinen genannt wird, kann nicht nur aufgrund äußerer Verletzungen entstehen, in deren Folge die Erreger in den Körper eindringen.

Sondern?

Ruth Hecker: Auch Infektionen jeder Art im Körper führen mitunter dazu, dass starke körpereigene Abwehrreaktionen hervorgerufen werden und das Immunsystem damit überreagiert. Diese Überreaktion wiederum hat zur Folge, dass es zur Zerstörung von eigenem Gewebe und Organen kommt.

Das macht sich dann sicherlich nicht mit einem roten Strich bemerkbar. Wie sehen die Symptome aus?

Ruth Hecker: Typisch sind Fieber und Schüttelfrost, doch das ist natürlich sehr unspezifisch. Was dazukommt, sind Verwirrtheit und Desorientierung, schnelle Atmung und schneller Puls. Man fühlt sich sterbenselend.

Sepsis zählt zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. Ungefähr 75.000 Menschen sterben jedes Jahr daran. Experten schätzen, dass jeder vierte Todesfall vermeidbar wäre. Warum?

Ruth Hecker: Weil wir die Sepsis oft zu spät erkennen. Bei jedem zweiten Patienten beginnt die Sepsis daheim. Der Patient fühlt sich sehr schlecht, hat die beschriebenen Symptome. Viele sagen dann aber: Es geht mir halt nicht gut, ich habe vielleicht Grippe. Dadurch verliert man wertvolle Zeit und deshalb sterben so viele daran. Es muss schnell behandelt werden: Sepsis ist ein Notfall wie Herzinfarkt und Schlaganfall.

Eine Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 kann auch eine Sepsis hervorrufen. Ist eine solche Blutvergiftung besonders tückisch?

Ruth Hecker: Durchaus. Manche entwickeln erst sieben bis zehn Tage nach der Diagnose ein extremes Krankheitsgefühl. Gerade ältere Menschen sitzen dann mitunter zu Hause und wollen aus Angst nicht ins Krankenhaus oder zum Arzt. Sie verpassen so den Zeitpunkt, wo ihnen eine schnelle Therapie vielleicht noch das Leben gerettet hätte. Das ist tückisch. Ein Multi-Organ-Versagen ist häufig der Endpunkt der Sepsis - daran verstirbt man dann. So tragisch können auch schwere Covid-19-Verläufe enden.

Wie lange dauert es, bis eine Blutvergiftung gefährlich wird?

Ruth Hecker: Je nachdem, wie die Immunabwehr des Betroffenen ausgeprägt ist - es kann schon nach Stunden kritisch werden. Das ist aber zu individuell, um das genau zu taxieren.

Was ist zu tun, wenn jemand das Gefühl hat, es könnte eine Sepsis sein?

Ruth Hecker: Den Notruf 112 wählen. Und dann auch Notarzt und Sanitäter fragen, ob es eine Sepsis sein könnte. Denn auch die Rettungskräfte haben diese Möglichkeit nicht immer auf dem Schirm. Die Frage zu stellen, ist also wichtig. Ansonsten kann der Betroffene nicht viel machen, außer sich schnell Hilfe zu holen.

Wie wird die Sepsis im Krankenhaus behandelt?

Ruth Hecker: Es wird sofort Blut abgenommen und mikrobiologisch analysiert, um den auslösenden Keim zu identifizieren. Der Patient bekommt zunächst ein Breitband-Antibiotikum. Sobald der Auslöser bekannt ist, wird gezielter behandelt.

Kann man einer Blutvergiftung vorbeugen?

Ruth Hecker: Gerade das Impfen ist für bestimmte Risikogruppen zur Prävention wichtig. Patienten, die keine Milz mehr haben, rät man zum Beispiel zu einer Pneumokokken-Impfung. Menschen, die ohnehin krank sind, können schneller eine Sepsis entwickeln, weil sie nicht so viele Reserven in der Immunantwort haben. Generell sollte man Hygienemaßnahmen beachten, um sich keinen Infekt zu holen. Offene Wunden sind immer gut zu reinigen.

Sind Spätfolgen möglich?

Ruth Hecker: Ja. Es gibt viele Patienten, die wegen einer Sepsis auf der Intensivstation lagen und die Langzeitfolgen wie kognitive Störungen, Muskel- und Nervenschwäche oder Gleichgewichtsprobleme haben. Wegen einer verminderten Durchblutung infolge der Sepsis müssen oft auch an Finger oder Zehen Amputationen vorgenommen werden. Viele, die das überlebt haben, leiden unter bleibenden Schäden.