Lernbehinderung Lernbehinderung: Legastheniker werden meist erst beim Schulbesuch auffällig

Hannover/Berlin/ddp. - Mit dem Schulbesuch beginnt oft die Leidenszeit. Beim Lesen und Schreiben scheitern sie regelmäßig. Frustration und schwindendes Selbstbewusstsein sind die Folge. «Legastheniker werden meist erst in der Schule auffällig», sagt Annette Höinghaus, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes des Bundesverbands Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) in Hannover. Die Lernbehinderung komme daher sowohl für die Eltern als auch für das Kind selbst überraschend.
Grundsätzlich lässt sich eine Legasthenie nach Angaben der Expertin aber erst gegen Ende der zweiten Schulklasse gesichert diagnostizieren. Bestimmte Merkmale fallen jedoch unter Umständen schon in der Vorschulzeit auf: «Betroffene Kinder können beispielsweise oft Laute nicht richtig unterscheiden. Sie sagen etwa 'detommen' statt 'gekommen'. Zudem haben sie häufig Probleme, Reime oder Worte mit gleichen Anfangsbuchstaben zu erkennen», erläutert Höinghaus. Auch starke Ablenkbarkeit, Linkshändigkeit und eine motorische Unruhe können - müssen aber nicht - auf eine Legasthenie hinweisen.
In der Schule wird die Lernbehinderung deutlicher. «Hier schreiben legasthenische Kinder ungewöhnlich viele Wörter falsch, lesen sehr langsam und fehlerhaft, verwechseln häufig ähnliche Wörter und Buchstaben, lassen Vokale aus, verschlucken Endsilben», sagt die Expertin. «Für diese Schulkinder bedeutet die Legasthenie einen hohen seelischen Druck, da sie trotz intensiven Lernens hinter ihren Klassenkameraden in den Lese- und/oder Rechtschreibfertigkeiten zurückbleiben.»
Daher sei es zunächst am wichtigsten, dass die Legasthenie frühzeitig festgestellt und als Ursache für das Scheitern in der Schule anerkannt werde. «Denn trotz ihrer Schwäche verfügen Legastheniker über die gleichen Begabungsstrukturen wie andere Kinder auch», unterstreicht Höinghaus.
Vor einer Therapie ist es aber wichtig, abklären zu lassen, ob eine eingeschränkte Hör- oder Sehverarbeitung Ursache für die Auffälligkeiten ist. Darauf spezialisierte Hals-Nasen-Ohren- und Augenärzte können mit Tests Abweichungen feststellen. Danach messen standardisierte Testverfahren das Lesevermögen, die Rechschreibfertigkeiten und das Intelligenzniveau des Kindes. Die Diagnose einer Lese-Rechtschreibstörung stellen schließlich Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie oder Diplom-Psychologen.
Mit einem speziellen Training lernen Kinder dann, ihre Schwäche so gut wie möglich zu kompensieren. «Zunächst werden mithilfe einer ausführlichen Diagnostik die spezifischen Probleme eines Kindes ergründet», sagt die Berliner Diplom-Psychologin und Legasthenietrainerin Rita Gehrke-Berthold. Bei Kindern, die aufgrund ihrer Einschränkung bereits Angst vor Klassenarbeiten oder der Schule im Allgemeinen entwickelt haben, beginnt die Therapiestunde mit Entspannungstraining oder Gesprächen über besonders belastende Situationen.
Manche Kinder nehmen die durch ihre Legasthenie entstandenen Schwierigkeiten noch nicht so schwer. «Dann können wir schneller mit den symptomspezifischen Übungen beginnen», sagt die Legasthenietrainerin. Bei der Therapie üben die Kinder etwa, Wörter mithilfe des «rhythmisch- melodischen Sprechschreibens» in Silben zu unterteilen, den Lauten die entsprechenden Buchstaben zuzuordnen sowie Rechtschreibregeln umzusetzen.
«Meist beginnen betroffene Grundschüler ab der dritten Klasse mit dem Trainingsprogramm», sagt Gehrke-Berthold. Die Förderung dauert in der Regel zwei Jahre. Eltern sind bei den wöchentlichen Sitzungen unerwünscht. «Kinder erzielen größere Erfolge, wenn keine erwartungsvollen Begleiter mit im Raum sitzen», betont die Diplom-Psychologin.