Leistenbrüche Leistenbrüche: Fast eine Volkskrankheit
München/gms. - Die Bruchbänder oder Bruchslips, die häufig in Zeitschriftenbeworben werden, drängen die Ausstülpung nur mechanisch zurück undlindern damit die Symptome. Sie sollten aber nur zur Überbrückung biszur Operation benutzt werden. «Bruchbänder sind eineAltmännergewohnheit», befindet Ulrike Muschaweck.
Tatsächlich sind vom Leistenbruch vor allem sehr junge und ältereMenschen betroffen, weil bei ihnen das Bindegewebe noch nicht odernicht mehr so stark ist. Bei Männern trete die Erkrankung rund siebenbis acht Mal so häufig auf wie bei Frauen, sagt Wolfgang Reinpold vomHernienzentrum des Krankenhauses Reinbek.
Das hängt mit der körperlichen Entwicklung im Embryoalterzusammen: Der Hoden wandert in dieser Zeit aus der Bauchhöhle nachunten. Dabei bildet sich ein so genannter Leistenkanal, der sichnormalerweise zum Zeitpunkt der Geburt wieder geschlossen hat, in derStruktur aber zeitlebens ein bisschen schwächer bleibt.
Frühgeborene, die vor dem Ende der programmierten Entwicklung dasLicht der Welt erblicken, sind die am häufigsten betroffeneAltersgruppe. Jedes dritte Baby erleide einen Leistenbruch, heißt esbeim Hernienzentrum von Ulrike Muschaweck. In diesen Fällen ist ofteine schnelle Operation erforderlich. «Je kleiner ein Leistenbruch,desto größer ist die Gefahr, dass sich etwas darin einklemmt», sagtMichael Zinke, Vorsitzender des Landesverbandes Hamburg desBerufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.
Aber auch bei Erwachsenen kann es durch die Ausstülpung des Darmeszu Komplikationen kommen: Eingeklemmtes Gewebe wird nicht mehrrichtig durchblutet und stirbt ab. Ein Darmverschluss und eineBauchfellentzündung können sogar lebensbedrohliche Folgen haben.
Wird ein Leistenbruch nicht behandelt, dehnt er sich mit der Zeitimmer weiter aus. «Manche kommen mit monströsen Brüchen zurErstversorgung», klagt Ulrike Muschaweck. Wenn viele die nötigeBehandlung lange hinausschieben, so hängt dies nach Ansicht derChirurgin nicht nur mit der Unlust zusammen, beim Arzt «die Hosenherunter zu lassen». In der Vergangenheit erbrachten die Operationenauch «extrem schlechte Ergebnisse» und wurden deshalb gemieden.
So wurden die Eingriffe unter Vollnarkose vorgenommen. Patientenmussten im Schnitt acht Tage im Krankenhaus bleiben, durften danachein halbes Jahr keinen Sport treiben und waren nicht selten überMonate arbeitsunfähig. Zudem lag die Rückfallquote sehr hoch: lautUlrike Muschaweck zwischen 30 bis 45 Prozent.
Neue Verfahren haben jetzt die Behandlung von Leistenbrüchenerheblich erleichtert. Im wesentlichen wird dabei zwischen zweiVarianten unterschieden: Ist das Gewebe der Bauchdecke nochausreichend stabil, werden bestimmte Schichten verdoppelt undübereinander vernäht. Bei stärker geschädigtem Gewebe wird dieHinterwand des Leistenkanals durch ein Kunststoffnetz verstärkt, dasmanche aber laut Wolfgang Reinpold als Fremdkörper empfinden. Da dieProthese zudem nur schwer wieder zu entfernen ist, wird sie imReinbeker Krankenhaus jüngeren Patienten nur auf ausdrücklichenWunsch eingesetzt.
Körperliche Schonung soll indessen bei beiden Methoden nach demEingriff kaum noch erforderlich sein. «Nach 14 Tagen kann wiederHochleistungssport betrieben werden», sagt Ulrike Muschaweck.
Unter den Sportlern sind besonders die Gewichtheber vonLeistenbrüchen bedroht. Auch sonst begünstigt das häufige Tragenschwerer Lasten das Entstehen der Krankheit. Sich akut «einen Bruchzu heben», wie es die Volksweisheit besagt, ist laut UlrikeMuschaweck allerdings kaum möglich: «So etwas entwickelt sich überMonate und Jahre.»
Begünstigt wird der Bruch der Bauchdecke auch durch einenchronischen Überdruck, wie er etwa durch Übergewicht, regelmäßigeVerstopfung oder Schwangerschaft entstehen kann. Ein erhöhtes Risikoweist neben den Gewichthebern deshalb auch eine Berufsgruppe auf, dieimmer mit Hochdruck bei der Sache ist: Horn- oder Trompetenbläser.