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Krebs Krebs: Der Kampf gegen den Prostatakrebs - und die Folgen

Von Bärbel Böttcher 29.05.2015, 08:05
Karin und Harald Schrader lassen sich von der Krankheit des Mannes nicht unterkriegen.
Karin und Harald Schrader lassen sich von der Krankheit des Mannes nicht unterkriegen. Andreas Stedtler Lizenz

Halle (Saale) - Seit ungefähr seinem 55. Lebensjahr hat Harald Schrader regelmäßig Untersuchungen zur Früherkennung von Prostatakrebs wahrgenommen. „Immer die große Runde“, wie er sagt. Das heißt, der heute 72-Jährige ließ nicht nur die von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlte und recht unangenehme Tastuntersuchung über sich ergehen. Mittels eines Bluttests wurde auch der Wert des prostataspezifischen Antigens (PSA) bestimmt. Wenn dieser sogenannte PSA-Wert steigt, kann das auf einen Tumor hinweisen. Hinzu kam noch ein Ultraschall. Insgesamt bezahlte er dafür pro Jahr etwa 60 Euro.

Viele Jahre lang hieß es im Anschluss an die Untersuchungen: ohne Befund. Bis zum Jahr 2009. Da stellte sein Urologe einen erhöhten PSA-Wert fest. „Herr Schrader, wir müssen etwas machen“, lautete die Ansage. Gemacht wurde zunächst eine Biopsie, die aber keine Auffälligkeiten zeigte. Als diese ein Vierteljahr später zur Sicherheit wiederholt wurde, sah die Sache anders aus. Eine Probe war positiv - was im Falle von medizinischen Befunden immer etwas Negatives bedeutet.

Zweite oder dritte Meinung einholen

Der Urologe riet dem damals 67-Jährigen zur Operation. Und zwar zeitnah. Harald Schrader willigte ein. „Wenn Ihnen der Facharzt zu einem solchen Eingriff rät, dann schieben sie es nicht auf die lange Bank“, sagt er. Um gleich hinzuzufügen: „Mit den heutigen Kenntnissen würde ich mich nicht ganz so schnell zu einer Operation entschließen. Zumindest würde ich eine zweite oder dritte Meinung einholen.“ Harald Schrader besucht inzwischen regelmäßig eine Selbsthilfegruppe. Aus Vorträgen von Ärzten hat er dort erfahren, dass Prostatakrebs ein langsam wachsender Krebs ist, dass nach einer Biopsie abgeschätzt werden kann, wie aggressiv der Tumor ist, und dass in vielen Fällen nicht operiert oder bestrahlt werden muss, sondern aktiv beobachtet werden kann.

„Heute würde ich erstmal abwarten“, unterstreicht Harald Schrader. Damals aber versetzte ihm die Diagnose einen gehörigen Schreck. „Bei ihm sind im ersten Moment die Lichter ausgegangen“, sagt seine Frau Karin Schrader. Die heute 70-Jährige war es, die ihm immer wieder sagte: „Das ist eine Diagnose, die nicht unbedingt den Tod bedeutet. Es gibt Methoden, den Krebs zu besiegen. Du musst kämpfen. Hier müssen wir gemeinsam durch und das schaffen wir.“ Es sei sehr wichtig, jemanden an seiner Seite zu haben, der einem in solch einer Situation Mut zuspricht, betont der Mann.

Etwa drei Monate nach der Diagnose lag er auf dem OP-Tisch. Der Eingriff war erfolgreich. Als jedoch nach einer Weile der PSA wieder stieg, folgte noch eine Bestrahlung. Heute ist der Krebs besiegt. Das bestätigen die vierteljährlichen Untersuchungen. Und doch leidet Harald Schrader vor allen unter einer häufigen Folge von Prostataoperationen - der Inkontinenz. „Das belastet mich ungemein“, sagt er.

Ein unbeschwerter Stadtbummel, so erzählt der 72-Jährige, sei kaum noch möglich. „Sie müssen wissen, wo eine Toilette ist.“ Er hat ständig eine kleine Handtasche bei sich, in der eine Ersatzhose, ein Ersatzslip und diverse Vorlagen zu finden sind. „Es ist nicht erst einmal passiert, dass ich mich umziehen musste.“

Dabei war das mit der Inkontinenz zunächst gar nicht so schlimm. Durch eine entsprechende Gymnastik brauchte Harald Schrader am Tag nur ganz wenige Vorlagen, die übrigens nur zu einem Teil von der Kasse bezahlt werden. Es sei zu beherrschen gewesen, habe ihn aber trotzdem gestört. Beispielsweise beim Sport. Harald Schrader war ein begeisterter Tennisspieler. „Aber durch die Belastung beim Rennen löst sich leicht Urin“, sagt er. Früher ist er auch gern Schwimmen gegangen. Das alles fiel nun flach.

Doch damit wollte sich der Patient nicht abfinden. Er informierte sich über verschiedene Möglichkeiten, das Problem operativ zu beseitigen. Und entschloss sich zu einem weiteren Eingriff. Doch der ging gründlich schief. „Die Inkontinenz war danach schlimmer als vorher“, erzählt er. Auch eine zweite Methode habe nicht richtig funktioniert. „Erschwerend kommt noch hinzu, dass bei der letzten Operation so viele Nerven zerstört worden sind, dass ich jetzt gar nicht mehr merke, wenn Harn abgeht. “ Der Mann bereut, dass er sich für diese Eingriffe entschieden hat. „Aber“, so sagt er, „ich bin da freiwillig hingegangen. Man macht eben Fehler.“ Trotzdem hat der Mann die Hoffnung auf Besserung noch nicht aufgegeben.

Die Lebensqualität des Ehepaares ist durch die Krankheit schon beeinträchtigt. So wird beispielsweise der Urlaub zur Hürde. „Sie können keine Flugreise mit einem Koffer voller Vorlagen antreten“, sagt Harald Schrader. Und so reisen die Eheleute heute mit einem geliehenen Wohnmobil. „Da ist eine Toilette drin. Und sie können jederzeit rechts ranfahren.“

An Situation anpassen

Es ist wieder Karin Schrader, die dafür sorgt, dass ihr Mann sich auch sonst nicht zu Hause eingräbt. „Sie ist eine sehr starke Frau“, unterstreicht Harald Schrader. Sie habe ihn auch jetzt wieder unterstützt, als das mit der Inkontinenz so schlimm geworden sei. Ihr Motto sei: „Wir müssen uns da etwas einfallen lassen.“ Und so gehen die beiden sogar in Konzerte. Es gelte nur, beim Kartenkauf Plätze am Rand zu erwischen. Man müsse sich eben bestmöglich auf die Situation einstellen.

Das hat übrigens auch der Freundeskreis der Familie getan. „Die wissen alle was mit mir lost ist“, sagt Harald Schrader. „Doch meine Krankheit ist nicht das zentrale Gesprächsthema.“ Er werde zwar unterstützt und könne auch mal sein Herz ausschütten. Aber ansonsten werde er ganz normal behandelt.

Viel Kraft schöpft Harald Schrader zudem aus der Selbsthilfegruppe, die er seit 2010 regelmäßig besucht. Es sind nicht nur die Vorträge von Medizinern, die ihm einen Gewinn bringen. Auch der Austausch mit Leidensgenossen sorgt dafür, dass die psychische Belastung, die die Krankheit mit sich bringt, gemindert wird. Und es wird auch mal zusammen gefeiert oder ein Ausflug unternommen.

Harald Schrader rät jedem Mann, ab einem gewissen Alter die Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch zu nehmen. Das sage er auch seinen Söhnen. Es koste zwar Überwindung, und er selbst sei auch erst durch Arbeitskollegen darauf aufmerksam geworden. Das tückische am Prostatakrebs sei aber, dass er lange Zeit keine Schmerzen bereite. „Deshalb ist Früherkennung das A und O.“

Unverständlich findet Harald Schrader allerdings, dass nur der unsichere Tasttest von der Kasse bezahlt werde. Die etwa 60 Euro für Bluttest und Ultraschall seien für Arbeitslose oder Menschen mit einem geringen Einkommen viel Geld. Und das halte sie womöglich von den notwendigen Untersuchungen ab. „Warum“, so fragt er, „zahlt die Kasse erst, wenn jemand erkrankt ist?“ (mz)