Kinderwunsch Kinderwunsch: Mann kann sich helfen lassen
Halle (Saale) - „Nein, Patenonkel bin ich hier noch nicht geworden“, sagt Professor Hermann M. Behre, Direktor des Zentrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Halle. Aber er und sein Team bekommen häufig Besuch von glücklichen Eltern, deren Kinderwunsch nach einer längeren Zeit der Unsicherheit, des Hoffens und des Bangens doch in Erfüllung gegangen ist. Und über diese Besucher freuen sich die Mediziner des Zentrums sehr.
Jedes sechste Paar im fortpflanzungsfähigen Alter, das gern Nachwuchs haben möchte, ist von Kinderlosigkeit betroffen. Das geht aus entsprechenden Studien hervor. Ebenso wie die Tatsache, dass in etwa 50 Prozent der Fälle die Ursache beim Mann liegt.
„Von Unfruchtbarkeit des Mannes wird gesprochen, wenn ein Paar im fortpflanzungsfähigen Alter ein Jahr lang regelmäßigen und ungeschützten Geschlechtsverkehr hat und es dennoch nicht zu einer gewünschten Schwangerschaft kommt“, erklärt Behre. Das heiße aber nicht automatisch, dass der Mann überhaupt keine Kinder zeugen könne. Es gehe manchmal doch, jedoch nur eingeschränkt.
Die Gründe für diese Einschränkungen können vielfältig sein. Behre zählt auf: Infektionskrankheiten, Hormonstörungen, genetische oder immunologische Erkrankungen, Umwelteinflüsse, Sexualfunktions- oder anatomische Störungen. Mitunter, so der Arzt weiter, komme es in Folge von Operationen - etwa bei einem Hodentumor - zu Fruchtbarkeitsstörungen. Auch psychische Erkrankungen dürften nicht außer Acht gelassen werden. Ein Androloge, so heißt der Arzt, der sich mit den Fortpflanzungsfunktionen des Mannes und deren Störungen beschäftigt, kann relativ schnell feststellen, woran es im Einzelfall liegt.
Ärztlicher Rat wichtig
Voraussetzung ist jedoch, dass ärztlicher Rat eingeholt wird. Behre empfiehlt, bei unerfülltem Kinderwunsch diesen Schritt nicht länger als ein Jahr hinauszuschieben. Und sein Appell richtet sich nicht nur an den Mann, sondern an das Paar. „Denn“, so betont der Mediziner, „Unfruchtbarkeit ist keine Erkrankung im üblichen Sinne, sondern es handelt sich um ein Paarproblem.“ Sowohl bei der Abklärung der Ursachen als auch bei der Festlegung der Therapie müssten beide Seiten betrachtet werden. Und von dieser persönlichen Konstellation werde dann auch abhängig gemacht, welche Therapie dem Paar vorgeschlagen werden könne.
„Wenn ein Paar beispielsweise sehr jung und auch gesund ist“, erklärt Behre, „dann kann mit der Behandlung meist noch einige Zeit gewartet werden.“ Es sei durchaus möglich, dass sich die Natur noch durchsetze. „Ist die Frau aber bereits 36 Jahre alt und auch bei dem Mann werden schon leichte Funktionsstörungen festgestellt, dann ist es ratsam, frühzeitig mit einer Behandlung zu beginnen. Bei dieser Konstellation werden die Chancen für ein Kind relativ schnell schlechter.“
Es könne aber nur gut beraten werden, wenn Männer- und Frauenärzte im Team arbeiteten, unterstreicht der Professor. Sie müssten die Fälle gemeinsam besprechen und dann mit dem Paar eine Behandlungsstrategie entwickeln. „Darauf muss es hinauslaufen. Ich denke, das ist die Zukunft der Kinderwunschtherapie“, betont er.
Wie aber kann eine Behandlungsstrategie aussehen?
Das hallesche Zentrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie war übrigens deutschlandweit das erste, dass diesen Ansatz verfolgt hat. Inzwischen hätten andere Zentren nachgezogen, sagt Behre. Und auch die Bundesärztekammer erkenne mittlerweile an, dass es bei der Kinderwunschtherapie nicht ausreiche, nur gynäkologische Aspekte zu betrachten, sondern auch die andrologische Seite.
Behre, der derzeit die Präsidentschaft der Deutschen Gesellschaft für Andrologie innehat, wünscht sich jedoch, dass sich diese Idee noch stärker durchsetzt. In der Realität sei es häufig noch so, dass die Frau beim Gynäkologen behandelt werde und der Mann oftmals gar nicht. Und manchmal wisse der Mann auch nicht, an wen er sich wenden soll. Da sei so ein Zentrum ideal.
Wie aber kann nun eine Behandlungsstrategie aussehen? „Das A und O bei der Festlegung ist zunächst die Diagnostik“, sagt Behre. Ziel sei es zunächst immer, dass das Paar auf ganz natürlichem Weg zu seinem Kind komme. Und da gebe es bei Männern gute Behandlungsmöglichkeiten. Der Arzt nennt das Beispiel einer Hormonstörung - eine sehr häufige als Ursache des unerfüllten Kinderwunsches. Bei der Verordnung entsprechender Medikamente seien die Erfolgsaussichten sehr gut. „In 80 Prozent der Fälle können die Eltern dann bald ein Kind in den Armen halten.“
Wenn aber diese, wie Behre es nennt, kausale Behandlung zu keinem Erfolg führt, „dann gibt es immer noch die Möglichkeiten der assistierten Reproduktion“. Der Volksmund spricht von einer künstlichen Befruchtung. Diesen Begriff verwendet der Mediziner aber nicht gern. „Es handelt sich ja nicht um eine künstliche Befruchtung, sondern um eine außerhalb des Körpers“, sagt er.
Aber egal wie die Bezeichnung lautet: „Damit werden heute gute Erfolge erreicht“, sagt Behre. Die häufigste Form dieser assistierten Reproduktion ist die Injektion eines Spermiums in die Eizelle der Frau. Der Fachbegriff dafür lautet Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Die Methode wird angewendet, wenn die Ursache der Kinderlosigkeit aufseiten des Mannes liegt.
Die Chancen, dass die Frau auf diese Weise schwanger wird, die liegen pro Zyklus bei 30 Prozent. Das geht aus dem sogenannten IVF-Register hervor, in dem die Daten zur assistierten Reproduktion gesammelt werden. Und zwar prospektiv, wie Behre betont. Das heißt, ein Paar, das sich einer entsprechenden Behandlung unterzieht, wird dort am Anfang erfasst. Später wird jeder weitere Schritt festgehalten. „Also geschönte Zahlen sind da unmöglich“, betont der Mediziner.
30 Prozent klingt zunächst erst einmal nicht besonders hoch. Doch Behre macht darauf aufmerksam, dass auch dann, wenn sich bei einem vollkommen gesunden jungen Paar alles auf ganz natürlichem Weg vollzieht, die Chancen für eine Schwangerschaft pro Monatszyklus lediglich bei 30 Prozent liegen.
Sowohl in der Natur als auch bei der assistierten Reproduktion seien meist mehrere Zyklen nötig, um zum Ergebnis zu kommen. Bei drei Behandlungszyklen liege die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, immerhin bei schon etwa 50 Prozent. „Und das ist gar nicht so schlecht“, betont Behre. „Wir können den Paaren durchaus Mut machen.“
ICSI-Behandlung
Ein Zyklus einer solchen ICSI-Behandlung schlägt mit etwa 3.000 - 5.000 Euro zu Buche. Die Kosten für drei Zyklen übernehmen für verheiratete Paare in der Regel die gesetzlichen Krankenkassen - allerdings nur zu 50 Prozent. In Sachsen-Anhalt zahlt das Land für den ersten bis dritten Behandlungszyklus einen zusätzlichen Zuschuss. Für eine ICSI-Behandlung sind das bis zu 900 Euro. Sachsen-Anhalt ist auch das erste Bundesland, dass diese eine Unterstützung nicht ausschließlich verheirateten Paaren gewährt.
Eine weitere Voraussetzung für die Kostenbeteiligung des Landes wie der Kassen ist das Alter der Paare. Beide müssen mindestens 25 sein. Die Frau darf nicht älter als 40 und der Mann nicht älter als 50 Jahre sein.
„Das Alter“, so sagt auch Behre, „ist ein ganz entscheidender Faktor für den Erfolg. Vor allem das Alter der Frau. Jenseits des 35. Lebensjahres sind ihre Chancen, schwanger zu werden, geringer.“ Zwar sei das nicht unmöglich, jedoch schwieriger. Der Mediziner mahnt deshalb noch einmal, mit der Kinderwunschbehandlung nicht zu lange zu warten. Behre sagt das vor dem Hintergrund, dass Männer wie auch Frauen die Zentren immer später aufsuchten. Von 1997 bis heute ist laut IVF-Register das Alter der Frau von etwa 32 auf 35 Jahre gestiegen, das des Mannes von 35 auf 39 Jahre. „Und das ist schon ganz schön spät“, sagt Behre.
Fakt ist, dass der Mann länger Zeit hat, seinen Beitrag zum Kinderwunsch des Paares zu leisten. Aber Behre relativiert das. Natürlich gebe es da die spektakulären Einzelfälle, die durch die Medien gingen. Doch das Alter der Frau und des Mannes müsse im Zusammenhang betrachtet werden, meint er. Es steige parallel. Und so sei es auch dem Manne nicht zu empfehlen, den Kinderwunsch bis ins hohe Alter hinauszuschieben.
Hemmschwelle überwinden
Natürlich müssen viele Männer eine Hemmschwelle überwinden, wenn sie zum Männerarzt gehen. „Kinderwunsch hat mit Sexualität zu tun. Und das ist etwas sehr Intimes und Privates“, sagt Behre. Aber wenn man den Männern gut erkläre, was es für Möglichkeiten gibt, ihnen zu helfen, dann sei die Bereitschaft, sich auch helfen zu lassen groß. Viele seien am Ende gar froh, wenn Ursachen gefunden und beseitigt würden und der Kinderwunsch auf ganz natürlichem Weg erfüllt werden könne.
Einen Faktor, der die Fruchtbarkeit des Mannes ohne größeren Aufwand heraufsetzen kann, nennt er in diesem Zusammenhang noch nebenbei: das Beenden des Rauchens. „Das ist ein ganz wichtiger Faktor“, sagt Behre. Wer einen unerfüllten Kinderwunsch hat, der sollte das Rauchen aufgeben. Damit werden mitunter schon viel erreicht.
Sicherlich, so sagt der Reproduktionsmediziner und Androloge, könne nicht jedem Paar geholfen werden. Mitunter müsse aus den unterschiedlichsten Gründen von einer Therapie abgeraten werden. Aber Erfolge machten dies wett. „Wir sehen neues Leben und die glücklichen Eltern“, betont er. „Es ist eine schöne, eine optimistische Medizin.“