Kiefer-Erkrankungen Kiefer-Erkrankungen: Bisphosphonate sind Segen und Fluch
Halle (Saale)/MZ. - Manchmal will die Wunde nach dem Zahnziehen einfach nicht heilen. Bei anderen Patienten schwillt der Kiefer rätselhaft an, ein Taubheitsgefühl macht sich breit oder es kommt zu eitrigen Sekretionen. Was steckt dahinter? Bei der Ursachenforschung zieht ein versierter Zahnarzt eine Kiefer-Osteonekrose in Betracht - eine folgenschwere Knochenschädigung des Kiefers. Sie kann eine Nebenwirkung nach der Einnahme von Bisphosphonaten sein, mit denen beispielsweise Krebs- oder Osteoporose-Patienten behandelt werden.
"Bisphosphonate werden seit mehr als 20 Jahren erfolgreich bei Tumoren, die zu Metastasen neigen, aber auch bei Osteoporose und anderen Knochenstoffwechselstörungen eingesetzt", sagt Dr. Christian Mertens, Fachzahnarzt für Oralchirurgie und Oberarzt in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie an der Karls-Universität Heidelberg, die ein Seminar zu der Problematik veranstaltet hatte. Bisphosphonate sorgen für einen Knochendichtezuwachs, hemmen die Zellen für den Knochenabbau. Das Medikament wird gespritzt oder oral verabreicht.
Was für kranke Knochen im Körper gut ist, setzt aber dem stark beanspruchten Kieferknochen zu, unter anderem weil die Substanz die Neubildung von Blutgefäßen erschwert. Der Kiefer wird so schlechter durchblutet, es kann zu Nekrosen, also Knochenzerstörungen kommen. "Der Knochenzellstoffwechsel im Kiefer vollzieht sich wesentlich schneller als beispielsweise im Beckenbereich", sagt Prof. Dr. Christian Kasperk, Internist am Uniklinikum Heidelberg. Das trage zu den Problemen mit Bisphosphonaten bei. Zahlreiche wissenschaftliche Studien, vor allem aus den USA, belegen das.
Erstmals bekannt geworden sind Fälle von Kiefer-Osteonekrosen unter Bisphosphonattherapie 2003. Vor allem bei der intravenösen Gabe ist die Gefahr von Knochenzerstörungen im Mund dokumentiert worden. Besonders Krebs-Patienten, die aufgrund vorhandener Knochenmetastasen mit Bisphosphonaten behandelt werden, haben demnach ein hohes Risiko. "Es liegt bei ein bis zehn Prozent", sagt Facharzt Kasperk. Hoffnung setzen die Mediziner bei der Therapie von Knochenkrebs auf das schonende Präparat Denosumab, das in den USA bereits erfolgreich eingesetzt wird. Es handelt sich um einen Antikörper, der zu einer bedeutenden Senkung der Knochenauflösung führt. "Die Zulassung in der Europäischen Union wird noch in diesem Jahr erwartet", sagt der Onkologe Prof. Dr. Dirk Jäger. Bei Osteoporose-Therapie mit Bisphosphonaten sei das Osteonekrose-Risiko geringer. Das hänge unter anderem auch damit zusammen, dass Krebspatienten die Bisphosphonat-Therapie wesentlich höher dosiert, öfter und länger bekämen.
Therapie ist durchaus sinnvoll
Einerseits also sind Bisphosphonate für die Tumor- oder Knochenschwundbehandlung ein Segen, andererseits - besonders für Zahnärzte - aber auch ein Fluch. Soll deshalb auf eine entsprechende Therapie verzichtet werden? "Nein", sagt Prof. Dr. Jürgen Hoffmann, Ärztlicher Direktor der Uni-Kopfklinik in Heidelberg, die deutschlandweit eine der größten im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich ist und an der Studien zur Optimierung der Bisphosphonate-Verabreichung laufen. Die Bisphosphonat-Therapie sei für die erfolgreiche Behandlung bestimmter schwerer Grunderkrankungen durchaus sinnvoll. "Bei Osteoporose ist sie ein Segen", sagt auch Kasperk, immerhin erleide in Deutschland alle sieben Minuten ein solcher Patient eine Wirbelkörperfraktur. Da seien Bisphosphonate eine "Goldtherapie". "Die Frage ist aber, ob nicht mitunter eine seltenere Einnahme ausreicht, aber da ist noch zu vieles offen", merkt Jäger an. Es müssten genauere Studien unternommen werden, an deren Finanzierung Pharmafirmen freilich kein Interesse hätten. Auf jeden Fall aber sollten Risikofaktoren, die das Entstehen von Kiefernekrosen begünstigen, weitestgehend vermieden werden. "Es ist wichtig, dass Patienten und behandelnde Ärzte diese Risiken für den Kiefer kennen und entsprechend handeln", sagt Hoffmann. Hauptvoraussetzung sei natürlich, dass ein Zahnarzt überhaupt weiß, ob sein Patient mit Bisphosphonat therapiert wird. Mitunter zuckten selbst die Patienten bei einer solchen Frage nur die Schultern.
Eine der Hauptgefahren besteht den Experten zufolge bei größeren zahnärztlichen Behandlungen wie Zahnentfernungen, Wurzelbehandlungen und Zahnimplantaten. Bei solchen Eingriffen mit Zahnfleischverletzungen und Wunden kann es zu komplizierten Infektionen kommen. Sie können sich auf den Kieferknochen übertragen und damit eine Knochenzerstörung hervorrufen. "Studien haben ergeben, dass mehr als 77 Prozent aller Nekrosen nach einer Zahnextraktion auftraten", sagt Mertens. Deswegen sollten bei Patienten, die mit Bisphosphonaten - besonders bei Krebs - therapiert werden, größere Zahnbehandlungen nur zurückhaltend erfolgen und chirurgische Eingriffe möglichst vermieden werden. Mit Hilfe von Röntgenaufnahmen oder der Computertomographie könne der Zahnarzt Krankheitsprozesse im Kieferbereich vor einem größeren Eingriff bewerten.
Infektionen vermeiden
Am besten können Patienten Kiefernekrosen vorbeugen, wenn sie bereits vor einer Behandlung mit Bisphosphonaten ihr Gebiss sanieren lassen. "Viele Komplikationen ließen sich durch regelmäßige Zahnarztbesuche und gute Mundhygiene vermeiden." Eine verletzte Mundschleimhaut sei immer Eintrittspforte für infektiöse Erreger, sagt Mertens. Im Einzelfall müsse beim Verdacht auf eine Kieferknochennekrose laut Jäger erwogen werden, eine Bisphosphonat-Pause einzulegen. "Das werden Patient und behandelnder Arzt individuell zu entscheiden haben."