Interview mit Urologen Lothar Weißbach Interview mit Urologen Lothar Weißbach: "Männer sind Ignoranten"

Berlin - Das Gesundheitssystem vernachlässigt den Mann, sagt Professor Lothar Weißbach, wissenschaftlicher Vorstand der Stiftung Männergesundheit. Mit dem Berliner Urologen sprach Bärbel Böttcher.
Herr Prof. Weißbach, wissen Sie was für einen Mann ein Sieben-Gänge-Menü ist?
Weißbach: Ein Hotdog und ein Sixpack. Ja, den Witz kenne ich. Er sagt uns, dass der Mann in der Ernährung etwas zurückgeblieben ist. Wenn er abends mit einer Dame ausgeht, dann brilliert er, indem er ein rohes Steak isst und ein großes Bier bestellt. Die Frau bleibt bei Salat und Mineralwasser, was natürlich viel gesünder ist.
Sind wir da nicht sofort bei einem der Gründe, warum die Männer in Deutschland gegenüber Frauen eine um etwa fünf Jahre geringere Lebenserwartung haben? Speziell in Sachsen-Anhalt sind es sogar mehr als sechs Jahre.
Weißbach: Absolut ja. Die Lebensweise spielt eine große Rolle.
Männer nehmen auch seltener an Früherkennungsuntersuchungen teil. Trotzdem verwahren Sie sich im Männergesundheitsbericht dagegen, sie als Gesundheitsidioten abzuqualifizieren. Warum?
Weißbach: Die Frau geht normalerweise von ihrer ersten Monatsblutung an regelmäßig zum Frauenarzt. Sie hält diesen Kontakt bei der Schwangerschaft und später über die Wechseljahre hinaus bis in das Alter aufrecht. Der Mann kennt eine solche Kontinuität nicht. Er geht zum Kinderarzt. Dann sind 30 Jahre Pause. Heutzutage macht er ja nicht einmal mehr eine Musterungsuntersuchung durch. Der Mann sucht in der Regel also erst einen Arzt auf, wenn er Symptome verspürt. Früherkennungsuntersuchungen sind ihm nicht so vertraut wie der Frau. Ein Gesundheitsidiot ist er deshalb nicht.
Professor Lothar Weißbach ist Facharzt für Urologie und Andrologie. Eines seiner Spezialgebiete ist die urologische Onkologie - insbesondere Prostata- und Hodentumore. Er war an der Erarbeitung der Leitlinie für die Behandlung von Prostatakrebs beteiligt. Der heute 74-Jährige leitete unter anderem die urologische Fachabteilung des Urbankrankenhauses Berlin und übernahm später die Verantwortung für die ganze Klinik. Viele Jahre engagierte er sich in der Deutschen Krebsgesellschaft - erst im Vorstand, später als Präsident.
Heute ist Weißbach neben seiner Tätigkeit als Vorstand der Stiftung Männergesundheit am Männergesundheitszentrum der Berliner Meoclinic tätig.
Die Stiftung Männergesundheit wurde 2006 gegründet - zunächst einmal, um sich wissenschaftlich mit dem häufigsten Krebs des Mannes zu beschäftigen. Bis 2013 ermittelte die so genannte Harow-Studie die medizinische Versorgungssituation von bis zu 5 000 an Prostatakrebs erkrankten Männern.
Inzwischen beschäftigt sich die Stiftung mit der Männergesundheit im umfassenden Sinne. Sie ist auch Herausgeber des ersten deutschen Männergesundheitsberichtes, der 2010 erschien. Inzwischen gibt es einen zweiten, der sich speziell mit der psychischen Gesundheit des Mannes beschäftigt. Eines der Hauptziele der Stiftung ist die Förderung des Gesundheits- und Vorsorgebewusstseins bei Männern.
Im Netz: www.stiftung-maennergesundheit.de
Aber es gibt solche Angebote, etwa zur Früherkennung von Prostata-Krebs, der häufigsten Krebserkrankung des Mannes.
Weißbach: Ja, ab dem 45. Lebensjahr bezahlt die Kasse eine Tastuntersuchung. Aber die ist entwürdigend und hält die Männer eher vom Arztbesuch ab. Hinzu kommt, wenn ich einen Tumor ertasten kann, ist es kein früher Tumor mehr. Ein solcher kann nur mit Hilfe einer Blutuntersuchung bestimmt werden, dem sogenannten PSA-Test. Er kostet etwa 25 Euro, wird aber von der Kasse nicht bezahlt.
Ist das richtig?
Weißbach: Aus meiner Sicht ja. Denn der Test ist umstritten, weil er häufig zu falschen Konsequenzen führt, sprich: zu einer Überbehandlung. Männer werden vorschnell operiert. Oftmals mit Schaden. Schlimmstenfalls werden sie inkontinent und impotent. Jeder Mann sollte über den Test umfassend aufgeklärt werden und dann selbst frei entscheiden, ob er ihn wünscht und aus seinen Mitteln bezahlen möchte. Übrigens - die meisten Männer sterben nicht an Prostatakrebs, sondern an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und auch psychische Erkrankungen sind ein viel größeres Problem.
Schwingt da eine gewisse Skepsis gegenüber Früherkennungsuntersuchungen mit?
Weißbach: Früherkennungsuntersuchungen wie das Mammografie- oder Hautkrebsscreening sind teuer, wir geben pro Jahr etwa eine Milliarde Euro dafür aus. Ein Nutzen ergibt sich aber nur im Einzelfall, denn statistisch gesehen hat die Früherkennung kaum den erhofften Einfluss auf die Krebssterblichkeit. Es ist daher fraglich, ob Früherkennung im Gießkannenprinzip erfolgen sollten; deutlich effizienter wäre es, sich auf Risikogruppen zu beschränken. Die Mittel, die verbraucht werden, um Gesunden ihre Gesundheit zu attestieren, fehlen bei der Krankenversorgung.
Wäre es dennoch wünschenswert, dass Männer - so wie Frauen - ab einem bestimmten Alter regelmäßig zum Arzt gehen?
Weißbach: Unbedingt. Die gesetzlichen Krankenkassen bieten ab dem 35. Lebensjahr alle zwei Jahre einen kostenlosen Gesundheitscheck an - für Männer und Frauen. Dort wird beispielsweise der Blutdruck gemessen, der Urin wird untersucht, ein EKG geschrieben. Das ist ein tolles Angebot. Und wenn der Arzt dann auch das Gespräch über Risikofaktoren mit dem Patienten sucht, dann ist der Gesundheit schon sehr geholfen.
In Sachsen-Anhalt nutzt nicht einmal ein Viertel der Anspruchsberechtigten diese Möglichkeit. Welche Ausreden haben speziell Männer, Früherkennungsuntersuchungen ausfallen zu lassen?
Weißbach: Ihre erste Ausrede lautet: Ich will gar nicht wissen, was mit mir los ist. Der Mann ist ein Ignorant. Zweitens fürchtet er sich vor Schmerzen, die die Untersuchung verursachen könnte. Und drittens hat er Angst vor der Diagnose.
Kann die Frau da Einfluss nehmen?
Weißbach: Unbedingt. Ein Kollege von mir hat einmal gesagt, die Frau sei der Gesundheitsminister der Familie. Er hat Recht. Ein großer Teil der Männer wird von der Frau zum Arzt geschickt. Sie ist es auch, die häufig die Arzttermine für den Mann vereinbart.
Könnte eine regere Teilnahme an solchen Früherkennungsuntersuchungen aber auch dazu beitragen, die Lebenserwartung der Männer an die der Frauen anzugleichen?
Weißbach: Das glaube ich nicht. So enttäuschend es klingt, es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass Früherkennung das Leben der Männer wesentlich verlängert. Da spielen andere Faktoren eine Rolle. Das hat die Klosterstudie Ende der 90er Jahre offen gelegt. Sie hat die Lebenserwartung von Nonnen und Mönchen untersucht, die ja sehr ähnliche Lebensbedingungen haben. Festgestellt wurde, dass die nur etwa um ein Jahr auseinanderliegt. Es müssen also andere als biologisch-genetische Faktoren eine Rolle spielen – nämlich solche, die in den unterschiedlichen Lebensbedingungen zu suchen sind.
Was sind das für Faktoren?
Weißbach: Männer leben risikoreicher. Sie sind häufiger in schwere Unfälle verwickelt - sei es im Straßenverkehr oder bei der Arbeit. Sie leben ihre Aggressivität oft handgreiflich aus. Sie begehen öfter als Frauen Selbstmord. Und wie schon gesagt: Sie leben ungesünder, trinken und rauchen mehr, essen zu fett und bewegen sich wenig.
Es mangelt also eher an gesundheitlicher Aufklärung. Wie ist da an die Männer ranzukommen?
Weißbach: Das ist nicht so einfach. Wir wissen nicht genau, wie wir Männer dazu bringen können, sich mehr zu bewegen, den psychischen Ausgleich zu suchen und gesünder zu essen. Wir als Stiftung sehen es durchaus als unsere Aufgabe an, hier etwas zu verändern. Wir sind deshalb in Großbetriebe gegangen, haben dort sportliche Angebote unterbreitet, wollten über Ernährung aufklären. Wir mussten eine ganz überraschende Erfahrung machen. Wir sind nicht an den Personalräten vorbeigekommen. Warum nicht? Die Personalräte - häufig weiblich dominiert - haben uns gefragt: Und was tut ihr für Frauen? Auf dieses sicherlich berechtigte Argument waren wir nicht vorbereitet. Aber ich bin schon der Meinung, dass die gesundheitliche Aufklärung des Mannes deutlich verbessert werden muss. Anfangen würde ich damit bereits bei den Knaben in Kindergarten und Schule.
Kommen wir noch einmal auf die gesundheitliche Vorsorge des Mannes zu sprechen. Es gibt ja doch viele Angebote. Trotzdem heißt es im Männergesundheitsbericht, dass Männer vom Gesundheitssystem vernachlässigt werden. Woran machen Sie das fest?
Weißbach: Daran, dass der Mann viel seltener als die Frau zum Arzt geht. Wenn er denn geht, ist die Erkrankung oft in einem fortgeschrittenen Stadium. Der Mann achtet nicht auf seine Symptome.
Das liegt doch aber nicht am Gesundheitssystem.
Weißbach: Doch, die ambulanten Angebote - speziell in den neuen Bundesländern - werden dem Mann nicht gerecht. Termine sind schwer zu vereinbaren und die Sprechzeiten sind für einen arbeitenden Mann schwer zu erreichen. Die Wartezimmer sind voll und er muss warten. Das stößt ihn ab. In ländlichen Gebieten gibt es zudem zu wenige Ärzte. Deshalb haben wir hier in Berlin ein Männergesundheitszentrum gegründet. Zweimal im Monat sind alle Ärzte, die für eine umfassende Untersuchung notwendig sind, an einem Ort versammelt. Die Untersuchung beginnt um 7:30 Uhr. Um 13 Uhr geht der Mann mit einer Diagnose nach Hause. Eine Woche später bekommt er einen verständlichen Bericht zugeschickt. Das mag der Mann.
Steht das allen offen?
Weißbach: Das ist ein Angebot an Privatversicherte und Selbstzahler. Die Untersuchungen kosten knapp 1 000 Euro. Es gibt bundesweit inzwischen übrigens sechs solcher Zentren.
Aber ist das nicht direkt ein Beweis für die Zweiklassen-Medizin?
Weißbach: Da haben Sie Recht. Aber ich möchte noch einmal auf den Check-up 35 verweisen. Den kann jeder Mann auch als Mitglied der gesetzlichen Krankenkasse nutzen. Und das ist ein nützliches gutes Angebot. (mz)
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