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Freizeit unter Strom Freizeit unter Strom: Ohne Adrenalin keine Leistung

Von Mara Neuber 01.11.2014, 17:09

Die Achterbahn fährt langsam an. Dann steigert sich die Geschwindigkeit. Das Herz schlägt schneller, die Pupillen weiten sich. Die Wangen werden rot und das Blut rast durch die Adern. Wir kennen es alle – das Gefühl, das Adrenalin in uns auslöst.

Wenn Körper und Psyche in Alarmbereitschaft versetzt werden, wird das „Benzin der Angst“ ausgeschüttet. „Adrenalin ist ein Hormon, das im Nebennierenmark produziert wird“, erklärt Dr. Stephan Padosch, Anästhesist an der Uniklinik Köln. Es steht dem Körper bei Stress zur Verfügung und wird reflexhaft ausgeschüttet. „Dabei wird der Herzschlag schneller und es kommt zu einer Zentralisierung des Blutes“, sagt Padosch. Das heißt: Das Blut wird aus den Körperregionen abgezogen, in denen es in einer Stresssituation nicht dringend gebraucht wird, etwa aus dem Magen, dem Darm und den Nieren. Stattdessen bekommen das Herz und die Muskulatur eine wahre Sauerstoffdusche. Die Voraussetzung, um bereit für Angriff oder Flucht zu sein.

Körper braucht Adrenalin

Aber warum brauchen wir den Kick überhaupt? Ohne Adrenalin sei körperliche Leistung schlichtweg nicht möglich, sagt Padosch. „Der Körper braucht es in jeder anstrengenden Situation.“ Selbst beim Treppensteigen und bei wichtigen Prüfungen schüttet der Organismus das Hormon aus. Doch der Stoff ist kurzlebig. Schon nach zwei Minuten lässt seine Wirkung nach. Im Anschluss an die Stresssituation wird das Hormon sofort abgebaut und anschließend mit dem Urin ausgeschieden. Die Medizin macht sich seine – die Lebensgeister weckende – Wirkung in Extremsituationen zunutze: „Wir setzen Adrenalin vor allem bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung ein“, sagt der Anästhesist. „Und wir benutzen es bei allergischen Schocks.“

Der Körper schüttet sowohl bei positivem als auch bei negativem Stress Adrenalin aus. Typisches Beispiel für letzteres: Angst. In Geisterbahnen oder bei Horrorfilmen wird die Musik von einem auf den anderen Moment dramatisch, die Stimmung verdüstert sich – und dann kommt plötzlich dieser eine beängstigende Moment, der einen schaudern lässt. Ein Schauder, für den das Adrenalin verantwortlich ist: „Auch in so einer Situation stößt der Körper die heiße Substanz aus“, sagt Padosch.

Verliebtsein ist positiver Stress

Als positiver Stress gilt etwa das Verliebtsein. Frisch Verliebte malen nicht nur Herzchen aufs Papier und sehen alles positiv. Sie geraten auch in eine echte Stresssituation, wenn sie ihren Partner sehen, mit allen typischen Symptomen: Das Herz rast, der Mund wird trocken, es wird einem gleichzeitig heiß und kalt. Weil Adrenalin eng mit den „Liebeshormonen“ Dopamin und Noradrenalin verwandt ist, versetzt es uns in einen emotional empfänglichen Zustand. Die Folge: Wir fühlen uns schneller zu jemandem hingezogen.

Laut einer Studie des US-Psychologen Arthur Aron sollen Paare, die regelmäßig spannende Erlebnisse teilen, sogar zufriedener mit ihrer Partnerschaft sein. Dass wir uns unter Adrenalin-Einfluss tatsächlich schneller verlieben, zeigten Aron und sein Kollege Donald Dutton 1974 in einem inzwischen klassischen Experiment. Sie ließen eine attraktive Mitarbeiterin Männer ansprechen und sie darum bitten, einen Fragebogen auszufüllen. Einmal standen die Paare dabei auf einer bedrohlich wackligen Hängebrücke. Ein andermal auf einer stabilen, breiten Brücke. Der Lockvogel bot den Probanden an, sie könnten bei Fragen gern noch einmal anrufen. Und siehe da: Die Männer von der unsicheren Brücke kamen zu fünfzig Prozent auf das Angebot der Frau zurück. Von den Probanden des sicheren Pendants riefen nur zwölf Prozent später noch einmal an. Offenbar ist dem Körper egal, woher das Adrenalin kommt. Die Männer waren einfach aufgeregt und verbanden das mit der schönen Frau. Allerdings hänge der jeweilige Adrenalin-Kick natürlich auch von der Stresssituationen ab, sagt Padosch: „Beim Verliebtsein wird zum Beispiel nicht annähernd so viel Adrenalin ausgeschüttet wie beim Bungee-Jumping oder anderen Extremsituationen.“Süchtig nach dem Stresshormon selbst kann man dem Forscher zufolge jedoch nicht werden: „Eine Adrenalin-Sucht gibt es nicht“. „Das, wovon Betroffene abhängig sein können, sind die Endorphine, also die Glückshormone, die während des Adrenalin-Kicks vom Körper ausgeschüttet werden.“

Befehl an die Nebennieren

Wenn der Körper in eine Alarmsituation gerät, sendet das Gehirn einen Befehl an die Nebennieren. Diese stoßen bereitstehendes Adrenalin aus, damit der Körper schnell reagieren kann. Parallel dazu schüttet das Gehirn Endorphine aus, die einen Glückszustand hervorrufen. Diese Stoffe ähneln tatsächlich einer Droge, auch Morphium ist mit ihnen verwandt. „Der Gehirn-Kick und nicht der Adrenalin-Ausstoß ist hier das Entscheidende“, sagt Padosch. Das werde oft verwechselt. Jogger zum Beispiel seien nicht abhängig vom Adrenalin, sondern von den Hormonen, die parallel dazu ausgeschüttet werden. Deswegen wäre es auch unsinnig, sich das Stresshormon zu spritzen. „Das Phänomen Adrenalin-Sucht ist wissenschaftlich eher nicht haltbar“, sagt auch der Berliner Sportpsychologe Thomas Teubel. „Ich denke nicht, dass diese Art von Sucht so extreme Formen wie eine Alkohol- oder Drogensucht annehmen kann.“

Für den Psychologieprofessor gibt es eine Abhängigkeit von extremen Erlebnissen – wenn überhaupt – nur in Einzelfällen. „Natürlich haben viele Sportarten einen fesselnden Charakter. Es fehlen aber oft die Kriterien für eine Sucht.“ Also etwa die zwanghafte Beschäftigung mit dem Sport, quälende Entzugserscheinungen und die Vernachlässigung anderer wichtiger Lebensbereiche. „Extremsportler sind vielleicht ein bisschen verrückt, aber süchtig nach Adrenalin sind sie nicht“, sagt der Sportpsychologe. Stattdessen vergleicht Teubel den Adrenalin-Kick schlicht mit einem schönen Gefühl, das man immer wieder herstellen will. „Das ist auch beim Joggen und beim Sex der Fall. Und wir können oft Laufen gehen oder Sex haben, ohne wirklich davon abhängig zu sein.“

Aber auch wenn eine Sucht nicht existiert, ein regelmäßiger extremer Adrenalinausstoß kann dennoch fatale Folgen für den Körper haben. So haben Extremsportler oft einen vergrößerten Herzmuskel, ein Phänomen, das mit der Zeit das Herzinfarkt-Risiko steigen lässt. Wer ohnehin Probleme mit dem Herzen hat, kann bei einem akuten Adrenalinausstoß einen Infarkt bekommen. Einer Studie zufolge erlitten während der Fußball-WM 2006 deutlich mehr Menschen in Deutschland einen Herzinfarkt als sonst. Vor allem Ältere sollten deshalb auf extreme Aktivitäten verzichten, rät Padosch: „Beim Bungee-Jumping und sogar bei Geisterbahnen gibt es deshalb Altersbegrenzungen.“

Adrenalin treibt uns an, zaubert uns Schmetterlinge in den Bauch und macht uns hellwach. Wir sollten es mit Vorsicht genießen. Aber auf jeden Fall: genießen.