Druckkammer-Therapie Druckkammer-Therapie: Im Tauchgang zur Heilung
Das Display zeigt den Druckanstieg in der Kammer. Die Werte klettern langsam auf 1,5 Bar. Die Insassen müssen immer wieder schlucken. Oder sie halten sich die Nase zu, um Gegendruck zu erzeugen. Nebenbei wird geplaudert. Vorwiegend geht es um die Krankheiten, derentwegen man sich hier versammelt hat:
Der Mann, der mit Krücken in die Klinik für Hyperbarmedizin Leipzig gehumpelt kam, beobachte das langsame Abheilen seiner seit Jahren offenen Wunde. Die Patientin mit der Migräne erzählt, dass bei ihr Besserung schon nach dem ersten Male eingetreten war. Die Frau, die gleich nach einem Hörsturz die Behandlung begann, kann von langsamer Beruhigung ihrer Schwindelgefühle berichten. Die Tinnitus-Patientin zuckt bei den Erfolgsberichten der anderen nur mit den Schultern. Die an Multipler Sklerose Erkrankte, deren Rollstuhl vor der Kammertür steht, schweigt.
Nach ein paar Minuten ist die "Tiefe" von rund 15 Metern unter dem Wasserspiegel erreicht. Zu spüren ist die Kompression nur während des "Abtauchens" im Trommelfell. Ansonsten sind die unter Druck Gesetzten völlig entspannt, lesen, hören Musik. Nach ein paar Minuten meldet sich der Techniker über den Lautsprecher und verkündet: "Meine Damen und Herren, wir sind unten. Bitte die Masken aufsetzen."
Alle stülpen sich eine an Schläuche angeschlossene Kunststoff-Kappe über Mund und Nase. Jetzt atmen sie reinen Sauerstoff. Durch den Druck in der Kammer bindet sich das lebensspendende Element nicht nur an die roten Blutkörperchen, sondern löst sich in der gesamten Blutflüssigkeit. Zudem erhöht sich der Sauerstoffgehalt des Blutes auf das Zwanzigfache. Dadurch gelangt der Sauerstoff auch bis in die "hintersten Winkel" des Gewebes. So als gießt ein Gärtner sein Gelände mit einem zu kurzen Wasserschlauch und kommt dennoch überall hin, weil er den Hahn stärker aufdreht. Das Ganze nennt sich hyperbare Oxygenation (hyperbar = unter erhöhtem Druck, Oxygenation = Sauerstoffanwendung) - kurz HBO.
Erfunden haben die Überdruckkammer übrigens nicht die Mediziner, sondern die Taucher. Und das vor über 150 Jahren. Wenn jemand gezwungen war, gegen alle Regeln schnell aus der Tiefe emporzusteigen, war dessen Blut voller Gasbläschen, welche die Adern verstopfen. Also packte man den Betroffenen in einen dicht abgeschlossenen mannsgroßen Behälter, setzte den unter Überdruck und löste die Bläschen wieder auf.
Die Medizin machte sich diese Erfahrungen zum Zusammenspiel von Außendruck und Gasen im Blut zu Nutze, experimentierte, erlebte Erfolge und Rückschläge. Anfang der Neunziger nahm die Hyperbarmedizin dann Gestalt an und wurde zum ernsthaften Therapiezweig. Die ersten Kliniken öffneten. 1996 war Leipzig dabei, 2001 dann auch Dresden. Inzwischen stehen allein in Leipzig schon fast 14 000 Behandlungen zu Buche.
Worauf alle Insassen der Kammer hoffen, während sie unter ihren Masken sitzen, ist die optimale Sauerstoffversorgung ihrer problembelasteten Organe und Körperteile, nachweisbar über die Haut. Heilungsprozesse sollen angekurbelt, Nerven wieder funktionstüchtig oder feinste Blutbahnen wieder durchlässig gemacht werden.
"Wir empfehlen solch eine Therapie vor allem Patienten mit Migräne, Hörsturz und Ohrgeräuschen sowie schlecht heilenden Wunden, hier insbesondere bei ,diabetischen Füßen''. Auch bei Schlaganfall und seinen Folgen, multipler Sklerose, Knochenentzündungen, Hautverpflanzungen, Hirnfunktionsstörungen, Borelliose, verschiedenen chronischen Entzündungen und zur Besserung von Bestrahlungsfolgen nach Tumorbehandlungen ziehen wir diese Behandlung in Betracht", erläutert der Chefarzt der HBO-Klinik, Dr. Fredo Rotermundt, Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. "Die Erfolge sprechen für unsere Methode."
Unumstritten ist der Nutzen dieses medizinischen Weges dennoch nicht. Vor allem die gesetzlichen Krankenkassen meinen, dass die positiven Effekte nicht mit absoluter Sicherheit eintreten und dass der Wirkmechanismus noch nicht detailliert und für alle Krankheitsbilder erforscht sei. Wer selber in die Tasche greifen muss, hat je nach Sitzungsdauer um die 150 Euro pro Tauchfahrt zu bezahlen und muss in der Regel zehn Behandlungen einplanen. Die meisten Privaten sind diesbezüglich kulanter und akzeptieren (das heißt bezahlen) die Therapie in der Überdruckkammer, die für viele der Patienten ganz weit hinten in einer langen Tour durch Praxen und Kliniken steht. "Dabei sollte beispielsweise nach einem Hörsturz der HNO-Experte den Betroffenen möglichst umgehend in eine Klinik für Hyperbarmedizin schicken. Manchmal kommt es auf Tage an", betont Diethelm Kühnert, der Direktor der HBO-Kliniken in Dresden und Leipzig. "Wir tauchen auf", hören die Patienten in der Kammer von ihrem "U-Boot-Kommandanten", der seine Mannschaft über Videokamera und Mikro die fast zwei Stunden lang nicht aus den Augen gelassen hat. Und wenig später heißt es "Sie können ihre Masken abnehmen". Der Überdruck sinkt gen 0; die Tür geht mit einem leisen Zischen auf. "Alles o.k.?", fragen Techniker und Arzt. "Alles o.k.", antworten die Aufgetauchten.
Weitere Infos: Klinik für Hyperbarmedizin Leipzig, 04107 Leipzig, Karl-Liebknecht-Straße 1a, Ruf: 0341/9 61 41 41; Klinik für Hyperbarmedizin Dresden, Gautschweg 1a, 01309 Dresden, Ruf: 0351/3 14 26 00
[email protected] und hyperbarkliniken.de