Diagnose Krebs Diagnose Krebs: So bewundernswert gehen zwei junge Menschen mit der Erkrankung um

Am Anfang, da hat sich Alexandra gar nichts getraut. Am Anfang, als sie endlich die Leukämie überwunden hatte, an der sie mit 15 Jahren erkrankte. Zwei Jahre Chemotherapie lagen da hinter ihr, nicht nur eine lange, sondern eine verdammt harte Zeit.
„Heute“, erzählt die inzwischen 20-Jährige, „bin ich wieder viel spontaner, lebe wie ich Bock habe.“ Dann erzählt sie, dass sie nie auf Festivals konnte. Bevor sie erkrankte, war sie noch zu jung. Nach der Therapie traute sie sich einfach nicht. „Ich kann mich ja nicht auf den Boden setzen“, sagt sie.
Um diesen Satz zu verstehen, muss man wissen, dass die starken Medikamente, die sie einnehmen musste, ihr Skelett angegriffen haben. Die Chemotherapie in Verbindung mit Cortison hat Knochengewebe absterben lassen. Die Knochen sind brüchig, die Beweglichkeit ist eingeschränkt, vermutlich für immer.
An Leukämie erkrankte Alexandra: Sehnsucht nach richtiger Jugend
Eine Zeit lang musste Alexandra als Teenager sogar im Rollstuhl sitzen. Beide Schultern sind in den letzten Jahren eingebrochen, mussten operativ versorgt und aufgefüllt werden. Nicht die einzigen OPs. Da ist ein Festivalbesuch ein Risiko.
Wenn die junge Frau das erzählt, klingt durch, dass sie sich um einen Teil ihrer Jugend betrogen fühlt. Sie, die so gerne feierte, ihren 16. Geburtstag herbeigesehnt hatte, „weil man da endlich auch in Clubs darf“ und dann zu diesem Zeitpunkt gerade einmal Pause von der Chemotherapie hatte.
Sie glaubt bis heute, etwas verpasst zu haben durch den Krebs. Die „richtige Jugend“ wie sie es inzwischen nennt, fehlt ihr.
An Blutkrebs erkrankte Alexandra: Lebenshunger noch lange nicht gestillt
Doch die angehende Mode-Designerin - sie studiert im dritten Semester an der Modefachschule Sigmaringen - wirkt trotz aller Einschränkungen quirlig, lebensfroh und auch ein bisschen erlebnishungrig.
„Ich bin schon einmal davon gekommen“, sagt sie und vermutet: „Ich lebe heute intensiver, weil die Gefahr größer ist, dass da noch einmal etwas kommt.“
Natürlich denkt sie dass da wieder etwas sein könnte, wenn sie blaue Flecken an ihrem Körper entdeckt, sich ungewöhnlich schlapp fühlt oder den Eindruck hat, es stimme etwas nicht.
„Aber ich will gar nicht wissen, was das ist“, sagt sie nur Augenblicke später und lacht ihr herzhaftes und spontanes Lachen. Ihr Lebenshunger nach der harten Krankheitszeit ist noch lange nicht gestillt, und mies machen lässt sie sich den Alltag nicht. „Es ist halt so“, sagt sie knapp, wenn sie von den Handicaps berichtet.
Krebskranke Alexandra: Traum vom Festival wurde wahr
Auf einem Festival ist sie mittlerweile doch noch gewesen. „Eines Tages haben meine Freunde gesagt, los, trau dich!“ Und weil man bei so einem Event eben nicht nur stehen kann - viel zu anstrengend - und sie auf dem Boden nicht mehr herunter kommt, hat sie eine andere Lösung gefunden: „Mit Hocker und Bierkasten hat das schon geklappt“, feixt die Musikliebhaberin.
Die Krankheit ist inzwischen ein Stück weit in den Hintergrund gerückt. Deshalb nervt es sie manchmal, „wenn ich jedes Wochenende wieder erzählen soll, was war“.
Nicht selten kommen die Fragen von Bekanntschaften in der Disco, die die Narben der Operationen sehen, aber ihre Geschichte nicht kennen. „Sie wollen dann draußen sitzen und quatschen, aber ich will Party machen und nicht meine Lifestory erzählen“, meint Alexandra.
Schließlich gibt es inzwischen jede Menge Neues in ihrem Leben. Einen Fashion-Award, einen Modepreis, hat sie gewonnen für ein Upcycling-Projekt, also für die Wiederverwendung von Materialien. Darauf ist künftige Designerin stolz, und außerdem: Es ist ein gutes Omen für die Zukunft.
Benjamins Kampf gegen den Darmkrebs
Er hat es gewagt: geheiratet! Das war für 2016 sein größter Wunsch, und er klingt sehr glücklich und sehr stolz, wenn er verkündet, dass er in Erfüllung ging.
Seit Mai ist Benjamin Wollmershäuser Ehemann. Dass sein Leben nicht so lange dauern könnte, wie er und seine Frau es sich wünschen, dass sie möglicherweise nicht gemeinsam alt werden können - das weiß er seit langem.
Im Jahr 2010 erfuhr der damals 20-Jährige, dass er an Darmkrebs erkrankt ist. Ein schier unfassbare Diagnose, denn im Rückblick beschreibt er seine damalige Situation mit dem Satz: „Ich hatte alles.“
Er meinte damit seine Freundin, die Familie, sein Studium, sein Umfeld. Was er seinerzeit dachte, als ihm die Diagnose mitgeteilt wurde, weiß er nicht mehr richtig, weil er das meiste verdrängt hat, aber: „Oh Gott, ich sterbe jetzt, war es nicht.“
An Darmkrebs erkrankter Benjamin: Geschichte voller Operationen und Chemotherapie
Benjamin Wollmershäuser ist ein lebenszugewandter, optimistischer Mensch. Er war es wohl schon immer, und das hat es ihm ermöglicht und vermutlich sogar leichter gemacht, mit dem Krebs und den Einschränkungen der Therapie nicht nur zu überleben, sondern auch wirklich zu leben.
Langfristiges habe er nicht im Kopf, meint er ganz sachlich, und er sei auch nicht pessimistischer geworden, seit er krank ist. Obwohl nahezu zeitgleich auch seine Mutter die Diagnose Darmkrebs erhielt und inzwischen verstorben ist. Dass beide niemals miteinander ausführlich über ihre Erkrankung geredet haben, bedauert er bis heute.
Bisher ermöglichte ihm die Schulmedizin, weiter zu leben. Ein harter Alltag ist es dennoch. Im Prinzip erhält Benjamin Wollmershäuser seit sechs Jahren eine permanente Chemotherapie, „zurzeit eine Kombination aus Tabletten und Infusionen“.
Mehr als 1.000 Chemotage - eine Strapaze für den Körper. Zudem hat der junge Mann reichlich Erfahrung mit Operationen. „Vier große OPs mit jeweils drei Wochen Krankenhaus - auch das kenne ich“, sagt er.
An Darmkrebs erkrankter Benjamin: „Diese Momente sind ein Segen“
Sein Studium konnte er nicht zu Ende führen. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente bekommt er nicht. Er erkrankte so jung, dass er nicht lange genug eingezahlt hatte.
Nur eine sehr kleine private Rente bleibt dem 27-Jährigen. Er fühle sich einigermaßen, meint er, nicht fit natürlich, er habe Untergewicht, und drei Kilometer auf dem Fahrrad seien für ihn ein Marathon.
Dennoch lässt er nicht zu, dass negative Gedanken, die es natürlich gibt, die Oberhand gewinnen. „Momente, in denen ich die Krankheit völlig vergesse, sind ein Segen“, lächelt er.
An Darmkrebs erkrankter Benjamin: „Irgendwas geht immer“
Gedanken macht er sich allerdings sehr viele um andere Menschen. Das ist sein Antrieb, offensiv mit seiner Erkrankung umzugehen, bei dem Buchprojekt mitzumachen, gelegentlich auch in Talkshows zu gehen.
Schon seit ein paar Jahren schreibt er hin und wieder an einem Blog und hat erkannt, wie wichtig es ihm ist, anderen Betroffenen Mut zu machen. „Ich möchte nicht nur alles negativ sehen, sondern aus dem Negativen etwas machen“, teilt er engagiert mit.
„Ich möchte einen Beitrag leisten, so dass sich Leute entschließen zur Darmkrebsvorsorge zu gehen, damit es anderen nicht so schlimm ergeht wie mir.“ Eine Haltung, die ihm Staunen und Respekt einbringt.
Und die auch eine gewisse Abgeklärtheit erkennen lässt. Es könnte sein, dass die Chemotherapie seinen Krebs noch einige Jahre in Schach hält. Doch gesund wird er wohl nicht mehr, das weiß Benjamin Wollmershäuser.
Auf der anderen Seite: „Irgendwas geht immer“ - das ist sein Satz. Der lässt ihn nach vorn schauen, ganz zuversichtlich. „Die 30 möchte ich schon noch schaffen“, sagt der junge Ehemann und fügt an, was ihn viel mehr beschäftigt als die eigene Endlichkeit: „Meine Frau kann sich eine Zukunft ohne mich nicht vorstellen.“