Diabetes mellitus Typ 2 Diabetes: So lebt es sich mit der Krankheit

Halle (Saale) - Nein, überrascht war Marcel Bender von dem Befund nicht. Im Gegenteil, er hatte sogar damit gerechnet, zuckerkrank zu sein. Der junge Mann kennt die einschlägigen Symptome. Da war der ständige Durst. „Ich konnte nie ohne eine große Flasche Wasser in die Stadt gehen“, erzählt der 35-Jährige. Manchmal habe er das Gefühl gehabt, auszutrocknen. Gleichzeitig musste er häufig die Toilette aufsuchen. Nachts sogar stündlich.
Marcel Bender ging schließlich zu seiner Hausärztin. Und die wies ihn noch am gleichen Tag ins Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle ein. Die Diagnose: Diabetes mellitus Typ 2. Und zwar bereits so stark ausgeprägt, dass er dort nun lernen muss, sich Insulin in der richtigen Dosis und zum richtigen Zeitpunkt zu spritzen. Insulin spielt beim Diabetes eine entscheidende Rolle. Das Hormon wird in der Bauspeicheldrüse gebildet und reguliert den Blutzuckerspiegel. Beim Diabetiker funktioniert das nicht mehr.
„Der größte Risikofaktor, an einem Diabetes Typ 2 zu erkranken“, so sagt Professor Roland Willenbrock, Chefarzt der Medizinischen Klinik II des Krankenhauses und Vizechef der Diabetes Gesellschaft Sachsen-Anhalt, „ist das Übergewicht.“ Das erkläre auch, warum die Krankheit in Deutschland immer häufiger auftrete. Denn die Zahl der Übergewichtigen nehme zu. Und - auch wenn Diabetes Alterszucker genannt werde. Die Patienten würden immer jünger.
Marcel Bender bringt etwa 140 Kilogramm auf die Waage. Er sei zwar nie ganz schlank gewesen, sagt er. Doch als er mit 16 Jahren eine Lehre zum Konditor anfing, da ging das Gewicht rasch in die Höhe. Das Naschen und Probieren sei daran schuld gewesen. Und außerdem sei er ein Frust- und Langeweile-Esser.
Schokoriegel gegen den Hunger
Nun, unter Langeweile leidet Marcel Bender ganz sicher selten. Er ist heute, wie er selbst sagt, im Schaustellergewerbe tätig. Haus- und Hofkonditor nennt er sich. In seinem Büdchen bietet er auf zahlreichen Volksfesten Mitteldeutschlands unter anderem Kräppelchen, Waffeln, Crêpes, Lebkuchen, gebrannte Mandeln oder Softeis an. Den Teig etwa für die Kräppelchen stellt er selbst her. Und natürlich müsse er auch mal kosten, um zu prüfen, ob die braunen Bällchen gut geraten seien.
Aber das, so sagt er, sei gar nicht sein Problem. Die Leckereien sind gefragt, oftmals bildeten sich Schlangen. Und so komme er selbst meist nicht dazu, etwas Richtiges zu essen. Gegen den Hunger werde nebenbei so mancher Schokoriegel oder so manche Fünf-Minuten Terrine verdrückt. Abends wird dann gekocht. „Da gibt es auch schon mal Nudeln mit Tomatensoße“, sagt er.
Und einen sportlichen Ausgleich? „Ich bin im Fitnessstudio angemeldet, momentan aber eine Karteileiche“, räumt er ein. Zwar sei er viel zu Fuß unterwegs und gehe im Sommer mit seiner Frau und den zwei Kindern auch mal Schwimmen. „Doch das ist nicht das, was man unter Sport versteht“, meint er selbstkritisch.
Marcel Bender weiß, dass sich an seinem Lebensstil etwas ändern muss. Im Elisabeth-Krankenhaus erhält er zunächst erst einmal - gemeinsam mit anderen Leidensgenossen - eine ausführliche Ernährungsberatung. Diät-Assistentin Sandra Böttcher stellt am Anfang klar, dass ein Diabetiker keine spezielle Diät braucht. Aber einiges sollte er in seinem Speiseplan schon beachten. Sie erläutert, dass es die Kohlenhydrate sind, die den Blutzucker in die Höhe treiben. Der Grund: Sie bestehen aus Zuckermolekülen. Der Diabetiker muss genau berechnen, wie viele er davon zu sich nimmt. Die Zahl ist begrenzt - abhängig von Alter und Gewicht. Früher wurde das in Broteinheiten (BE) angegeben. Heute spricht man in der Regel von Kohlenhydrateinheiten (KHE). Aber egal wie das Kind auch heißt. Als Faustregel gilt: Einer solchen Einheit entsprechen etwa zehn Gramm Kohlenhydrate. Das sind drei Stück Würfelzucker. Kohlenhydrate stecken im Brot, in Nudeln oder im Reis. Wobei Vollkornvarianten in allen Fällen vorzuziehen sind. Dabei handele es sich um sogenannte langkettige Kohlenhydrate. Sie lassen den Blutzucker langsamer ansteigen als andere Varianten. Und zudem machten sie satt, wie Sandra Böttcher erklärt. Besondere Vorsicht ist bei Obst geboten - was Marcel Bender sehr ärgert. Aber muss er nun wirklich auf seine geliebten Erdbeeren verzichten? Nein. Er muss nur wissen, das zirka 160 Gramm einer Brot- oder Kohlenhydrateinheit entsprechen und das entsprechend berücksichtigen. Oder zusätzliches Insulin spritzen. „Das aber“, so sagt er, „ist ja wohl nicht der Sinn der Sache.“
Großes Erstaunen herrscht in der Gruppe, als es um Süßigkeiten geht. Sandra Böttcher macht die Diabetiker auf die Nährstoffangaben aufmerksam. Besonders interessant hier die Angaben zur Gesamtkohlenhydratmenge, die für den Diabetiker entscheidend ist. Und sie hat ein eindrückliches Beispiel parat: In einer 200-Gramm-Tüte Gummibärchen stecken etwa 50 Stück Würfelzucker.
Ohne Bedenken können dagegen Fleisch und Fisch gegessen werden. Auch Fett und Eier stören die Kohlenhydratbilanz nicht. Wohl aber die Kalorienbilanz. „Rührei mit Schinken ist aus Sicht der Kohlenhydrate kein Problem, jedoch aus Sicht der Hüften“, sagt Sandra Böttcher. Die Diabetiker sollen ja runter von ihrem Übergewicht.
„Die Gewichtsabnahme ist ganz entscheidend“, betont der Arzt Roland Willenbrock. Wer weniger wiege, benötige weniger Tabletten oder Insulin. In der Frühphase könne der Diabetes bei gesunder Ernährung sogar wieder ganz verschwinden - ansonsten wenigstens in Schach gehalten werden.
Das Abnehmen wird den Diabetikern heute übrigens leichter gemacht. Insulin ist ein Hormon, das Fett aufbaut. Wer viel Insulin brauche, nehme deshalb nur dann nicht an Gewicht zu, wenn er wenig isst, erklärt der Arzt. Deswegen werde nun gleichzeitig ein Präparat gespritzt, welches den Appetit hemme. „Die Zuckerkrankheit“, so sagt Roland Willenbrock, „ist neben dem Rauchen der größte Risikofaktor für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall.“ Ganz vereinfacht gesagt, führt sie zu Ablagerungen in großen Blutgefäßen und verstopft sie. Ein Drittel aller in die Klinik eingelieferten Herzinfarktpatienten habe einen nichterkannten Diabetes.
Aber auch die kleineren Blutgefäße, die die Nerven versorgen, seien oft betroffen. Das könne zu Taubheitsgefühlen, zu Erblindung oder Nierenschwäche führen. Nierenversagen durch die Zuckerkrankheit sei in Deutschland der häufigste Grund für die Dialyse.
Verführungen lauern
„Das alles kann durch eine gute Zuckereinstellung oft verhindert werden“, betont Roland Willenbrock. Und mit einem normalen Gewicht sei das nun mal sehr viel leichter. Ideal wäre es, wenn dann noch Bewegung hinzukäme.
Marcel Bender hat in der Klinik einiges gelernt. Nicht nur theoretisch. Es wird auch gekocht oder mal ein Obstsalat geschnippelt. Doch er ist sich bewusst, dass die Umstellung nicht leicht sein wird. „Hier in der Klinik, unter Beobachtung, da ist es leicht, sich an die neuen Regeln zu halten“, sagt er. Zu Hause werde das ein Balanceakt. Da lauerten überall die Verführungen. Er hofft, stark zu bleiben.
Und zum Abendbrot wird es nicht mehr Nudeln mit Tomatensoße geben. In Zukunft soll Vollkornbrot mit Gurke, Tomate oder Radieschen auf den Tisch kommen. Denn er hat ein Ziel: „Ich will vom Insulin wieder wegkommen.“ (mz)
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Diabetes: Zwei Typen der Zuckerkrankheit
Beim Diabetes sind zwei Typen zu unterscheiden. Beim Typ-1-Diabetiker werden durch Entzündungsprozesse die Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört, die das Insulin produzieren. Der entsprechende Patient muss sein Leben lang mit Insulin behandelt werden. Anders beim Typ-2-Diabetes, unter dem übrigens etwa 95 Prozent aller Diabetiker leiden. „Hier wird der Zucker im Körper nicht mehr verarbeitet“, erklärt Professor Roland Willenbrock, Chefarzt am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Zwar werde noch Insulin produziert. Aber der Körper spreche darauf nicht mehr an. Der Blutzuckerspiegel steige sozusagen ungebremst an . Insulinresistenz heißt dafür der Fachbegriff. In der Anfangsphase sei das meist noch gut mit Tabletten zu behandeln. Und auch mit einer Umstellung des Lebensstils.
Am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle befindet sich eines der wenigen von der Deutschen Diabetes Gesellschaft zertifizierten Behandlungszentren Sachsen-Anhalts. Hier werden pro Jahr etwa 600 Patienten mit der Hauptdiagnose Diabetes behandelt. Bei mehr als 5 000 ist Diabetes eine Begleiterkrankung. Jährlich werden insgesamt 22 000 Patienten in der Klinik behandelt.