1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Gesundheit
  6. >
  7. Burnout: Burnout: Wenn das Feuer erlischt

EIL

Burnout Burnout: Wenn das Feuer erlischt

Von ANTONIE STÄDTER 25.09.2011, 17:28

Halle (Saale)/MZ. - Eigentlich schien alles wie immer. Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit, es war mal wieder ein stressiger, ein unangenehmer Tag gewesen, kreisten die Gedanken von Manuela Weber (Name geändert) um den Job. Wie sonst auch dudelte im Auto das Radio, als die Mittvierzigerin aus dem südlichen Sachsen-Anhalt ganz unvermittelt von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt wurde. Und dabei ein Gefühl ertragen musste, "als wenn mir der Brustkorb zugeschnürt wird". Sie fuhr auf der Landstraße rechts ran, ließ den Tränen freien Lauf - und hatte keine Ahnung, woher sie kamen.

Es war vor ungefähr zwei Jahren, als Manuela Webers altes Leben mehr und mehr zerbrach. Immer massiver drängte sich dieser beklemmende Gedanke auf: "Man will alles schaffen, aber hat eine riesige Angst zu versagen." Der Druck, den Erwartungen anderer - und vor allem den eigenen - zu entsprechen, wuchs. Und mit ihm sank die Zahl der Stunden, die die Sozialpädagogin in leitender Position nachts schlief. "Ich konnte nicht mehr abschalten", erzählt sie. Ewig saß sie abends vor dem Fernseher, weil sie nicht zur Ruhe kam. Dabei bekam sie vom Programm gar nichts mit, weil im Kopf ein anderer Film lief: Hatte sie auf Arbeit alles richtig gemacht, alles erledigt? Wie sollte sie die nächsten Aufgaben angehen? Würde sie alles schaffen? Tagsüber verlangte sich die Nimmermüde alles ab.

Immer öfter geriet sie aber in Situationen, in denen sie die Kontrolle über sich selbst verlor. Sogar bei einem Treffen mit Freunden überkamen sie plötzlich Weinkrämpfe. Nach und nach zog sie sich zurück. Und wurde das Gefühl nicht los, "dass jeder irgendetwas von mir wollte", erinnert sie sich heute. "Selbst meine Familie hat mich damals nur noch genervt." Manuela Weber bekam Kopfschmerzen, Magenschmerzen, sie konnte sich bei der Arbeit nicht richtig konzentrieren. Und musste spätestens nach einem Zusammenbruch im vorigen Jahr akzeptieren, dass sie mehr quälte als eine zeitweise Überarbeitung. Sie war ausgebrannt.

Burnout - so lautet in der heutigen Zeit, in der psychische Leiden laut sämtlicher Statistiken bundesweit auf dem Vormarsch sind, immer häufiger die Diagnose. Sie meint den Zustand völliger emotionaler Erschöpfung, oft ausgelöst durch Stress und berufliche Überlastung. Häufig geht das Ausgebranntsein mit einem Leistungsknick einher. Nicht selten führt es zu einer Depression. Das Burnout selbst ist derweil kein anerkanntes Krankheitsbild, sondern wird im internationalen Katalog der Diagnosen unter dem Titel "Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung" geführt.

Eine Beschreibung, die die Bedeutung von Burnout nicht treffend wiedergibt, sagt Thomas Oelze. Der Heilpraktiker für Psychotherapie betreut seit Anfang des Jahres in Sangerhausen eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Burnout-Syndrom und Depressionen. "Die Resonanz war so groß, dass ich nach wenigen Monaten eine zweite Gruppe aufgemacht habe", sagt Oelze. "Die Betroffenen spüren nicht, dass sie über ihre Kraft hinaus powern. Man muss ihnen klar machen, dass weniger mehr ist." Typisch sei eine Diskrepanz zwischen dem eigenen Anspruch und dem, was umgesetzt werden kann.

Manuela Webers Umfeld merkte zunächst nichts von ihren Sorgen. Einerseits lag das daran, dass sie die gar vor ihrer Familie peinlichst zu verbergen versuchte: "Keiner sollte von meinen Schwächen etwas mitkriegen." Hinzu kam, dass bei ihr schlicht niemand diese Probleme vermutet hatte. "Ich bleibe auch bei Stress immer äußerlich ruhig", erzählt sie. Für ihre Familie und Freunde war sie schon immer die starke Frau und Mutter, die zu Hause die Fäden in der Hand hält.

Auch in anderer Hinsicht ist Manuela Weber ein "klassischer Fall". Oft trifft Burnout gerade die Tüchtigen, Ehrgeizigen - jene, die alles perfekt machen wollen. Muss doch die Flamme erst einmal brennen, um überhaupt Gefahr zu laufen, zu erlöschen. "Ich bin eine Perfektionistin", räumt die Sozialpädagogin ein - die heute schon froh darüber ist, dass sie es sich auch einmal erlaubt, pünktlich Feierabend zu machen, wenn noch nicht alles geschafft ist. "Ich gebe immer 200 Prozent." Hinzu kommt bei Manuela Weber und vielen anderen Betroffenen die Schwierigkeit, "nein" zu sagen. Nicht zuletzt gehören Menschen in sozialen Berufen laut Studien zu den besonders Gefährdeten, ein Burnout zu erleiden.

Ulrich Preuß mag diesen Begriff "Burnout" nicht sonderlich. Er sei zu unspezifisch, sagt der Leitende Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uni Halle. "Er sagt erst einmal nur aus, dass psychische Beschwerden und Beeinträchtigungen aufgetreten sind. Es ist aber wichtig, zu differenzieren, um zum Beispiel richtig helfen zu können." Was sich hinter dem Burnout verbirgt, müsse geklärt werden: "Das können akute Belastungs- oder Befindlichkeitsstörungen sein, aber auch eine Angststörung oder eine schwere Depression."

Indes habe es einen Vorteil, dass das Thema Burnout inzwischen in aller Munde ist: "Das kann dazu führen, dass psychische Beschwerden entstigmatisiert werden", so Preuß. Denn auch, wenn sich mittlerweile etliche Menschen, darunter viele Prominente, über eigene Probleme dieser Art öffentlich geäußert haben: "Psychische Störungen sind noch immer mit Vorurteilen behaftet und werden oft als Tabu behandelt." Gerade im Beruf gelten Burnout und Depression noch immer oft als Zeichen mangelnder Belastbarkeit. Preuß betont: "Es kann jeden treffen." So vielfältig wie die Ursachen von Burnout sind die Wege, wieder aus dem Gefühl des Ausgebranntseins hinauszufinden. "Bei dem einen Betroffenen mag schon eine Beratung reichen. In anderen Fällen ist eine Psychotherapie nötig und bei sehr schweren Störungen hilft wahrscheinlich eine stationäre Behandlung am besten", so Preuß.

Manuela Weber, die infolge des Burnouts eine tiefe Depression erlitt, hat solch ein Aufenthalt in der Klinik geholfen. Mehrere Monate war sie dort. Heute geht sie zu einer Gesprächstherapie und nimmt Medikamente, um abends zur Ruhe zu kommen. Sie traut sich sogar, in einer Selbsthilfegruppe darüber zu sprechen. Ohne die Unterstützung ihrer Familie, ist sie sicher, wäre sie heute nicht so weit.

Woran liegt es, dass die Deutschen ein "Volk der Erschöpften" sind, wie es der "Spiegel" genannt hat? "Viele Betroffene berichten, dass psychosoziale Belastungen zugenommen haben - und damit ist für sie auch das Risiko psychischer Beschwerden gestiegen", sagt Preuß. "Partnerschaften und Arbeitsverhältnisse sind flüchtiger und Lebensperspektiven damit unsicherer geworden - und die Menschen jagen den Möglichkeiten der modernen Zeit hinterher."

"Burnout galt lange Zeit als Manager-Krankheit. Heute sind längst nicht mehr nur Führungskräfte betroffen", sagt Heilpraktiker Thomas Oelze. Das könne auch daran liegen, dass ständige Einsatzbereitschaft und Flexibilität im Beruf oft vorausgesetzt werden. "Viele Menschen stehen ständig unter dem Druck, auf Abruf zu sein." Es wäre wichtig, so Oelze, dass Arbeitgeber ihre leitenden Angestellten zum Thema Burnout schulen lassen.

Manuela Weber möchte sich dem enormen Stress im Arbeitsalltag, den ihre jetzige Position mit sich bringt, künftig nicht mehr aussetzen: "Ich habe für mich erkannt, dass es eine Änderung geben muss." Sie möchte sich beruflich neu orientieren. Denn zwar konnte sie nach dem Klinikaufenthalt beruflich wieder genau dort einsteigen, wo sie aufgehört hatte. Doch sie spürt: "Ich schlittere gerade wieder in diese Phase."