Beschäftigung Beschäftigung: Lesen im Alter trainiert das Gedächtnis
Halle (Saale)/MZ. - Endlich Zeit für ein gutes Buch! Wer in den Ruhestand geht, hat plötzlich viel Zeit zur Verfügung. "Viele Senioren sagen: 'Es freut mich, dass ich jetzt Zeit habe, zu lesen, früher war ich abends oft zu müde und habe den Roman nach einigen Seiten wieder weggelegt'", sagt Ursula Lenz von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen in Bonn. Lesen halte ältere Menschen geistig aktiv und ermögliche ihnen, bei aktuellen Themen mitreden zu können. Allerdings gibt es im Alter auch Hindernisse beim Lesen, wie zum Beispiel die nachlassende Sehkraft oder Konzentration. Experten ermutigen Senioren jedoch, das Lesen nicht aufzugeben, sondern einfach ihren Fähigkeiten anzupassen.
Aus Sicht der Fachleute gibt es viele Vorteile, wenn Menschen auch im höheren Alter zu Büchern oder Zeitungen greifen. "Es ist eine besondere Art von geistiger Aktivität, denn es erfordert in der Regel eine höhere Konzentration als beispielsweise Fernsehen", sagt Lenz. Durch die Fähigkeit, Wörter im Gehirn in Bilder umzusetzen, werde die Gedächtnisleistung unterstützt.
Und durch das Auseinandersetzen mit Texten werden der Wortschatz, der Sprachgebrauch und die Konzentrationsfähigkeit gefördert, ergänzt Simone Helck vom Kuratorium Deutsche Altershilfe in Köln. Geschichten aus der Kindheit riefen zudem Erinnerungen wach, so dass sich Senioren mit ihrer Biografie beschäftigen könnten.
Was passiert im Gehirn, wenn man liest? "Wir bilden neue Synapsen, also Verschaltungen der Nervenzellen im Gehirn aus, wenn wir es stimulieren, also auch beim Lesen", sagt der Mediziner Manfred Gogol, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie. "Die Durchblutung steigt in den Gehirnarealen, mit denen wir lernen. Durch kontinuierliches Lesen bleiben diese Gebiete aktiv." Es reiche somit nicht, einmal im Jahr ein Buch in die Hand zu nehmen, wenn man einen Trainingseffekt erreichen will.
Zugleich sollten Lesende ihre Erwartungen nicht zu hoch schrauben, vor allem, wenn sie ihr Leben lang nicht so viel gelesen haben. Gogol empfiehlt, sich Literatur über Themen zu suchen, die einen wirklich interessieren: "Auch lesen fällt leichter, wenn man Freude daran hat, und es nicht als etwas empfunden wird, was man tun muss."
Wem flüssiges Lesen schwer fällt, legt am besten häufiger ein paar Pausen ein, rät Gogol. "Das empfiehlt man jungen Leuten beim Lernen ja auch, beispielsweise nach einer Stunde aufzuhören, und sich zu überlegen, was alles an Informationen im Text gesteckt hat." Sind lange Romane zu anstrengend, können Ältere gut auf Kurzgeschichten oder Kurzfassungen von Romanen zurückgreifen.
Voraussetzung sei aber in jedem Fall, dass eine Sehschwäche durch einen Augenarzt und Optiker korrigiert wird, etwa durch eine Brille. Für bestimmte Augenleiden wie eine Makuladegeneration gebe es spezielle Sehhilfen.
Etwa 55 Prozent der über 60-Jährigen geben an, dass sie längeres Lesen anstrengt. Etwa jeder Fünfte in dieser Altersgruppe sagt von sich, dass er beim Lesen öfter Pausen einlegen muss wegen der Augen. Diese Daten stammen aus der Studie "Lesen in Deutschland 2008" der Stiftung Lesen in Mainz.
Als Antwort auf die Bedürfnisse älterer Menschen haben die Verlage unter anderem Bücher mit Großbuchstaben und einem breiteren Zeilenabstand auf den Markt gebracht. Laut Ursula Lenz von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen lohnt es sich, in Bibliotheken oder im Buchladen nach Büchern im Großdruckformat zu fragen, und zu sehen, ob man damit zurecht kommt. "Aber nicht nur Buchstabengröße und Zeilenabstand sind wichtig, sondern auch die Papierqualität." Bei Büchern mit dünnen Seiten scheinen beispielsweise oft die Buchstaben der anderen Seiten durch.
Egal, was man liest: Ein wichtiger Aspekt ist laut den Experten die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen auszutauschen. Ob nun Klatschzeitschrift, hochrangige Literatur oder die Tageszeitung als Informationsquelle - es können sich dadurch Gespräche entwickeln. "Es ist eine Möglichkeit, gesellschaftlich teilzuhaben", sagt Lenz. Wer sich alleine fühlt, kann sich beispielsweise einen Literaturkreis suchen. Dort werden Bücher gemeinsam gelesen und besprochen. Wer aktuelle Bücher liest, könne auch gut in Dialog mit jüngeren Menschen treten. Das Lesen einer Tageszeitung ist darüber hinaus eine wichtige Form der Tagesstrukturierung für Menschen im Ruhestand, sagt Simone Helck.