anzeige Pflege bezahlbar machen - Verwaltungsrat der AOK Sachsen-Anhalt fordert, Pflegebedürftige finanziell zu entlasten
Mehr Pflegebedürftige, mehr Leistungen und explodierende Kosten insbesondere in der stationären Pflege: Der Verwaltungsrat der AOK Sachsen-Anhalt diskutierte auf seiner gestrigen Sitzung mit größter Sorge die Finanzsituation der Pflegekasse und mögliche Lösungen. Er fordert eine grundlegende Pflegereform, die stabil finanziert ist. Die Kostenexplosion muss strukturell gelöst werden und darf nicht länger auf dem Rücken der Pflegedürftigen und der Beitragszahlenden ausgetragen werden.
„Es kann nicht sein, dass Menschen über viele Jahre ihres Berufslebens hinweg in die Pflegekasse einzahlen und letztlich beim Sozialamt um Unterstützung bitten müssen, um beispielsweise die Eigenanteile in den Pflegeheimen zu stemmen. Das ist demütigend“, beschreibt Susanne Wiedemeyer, alternierende Vorsitzende des Verwaltungsrates und Vertreterin der Arbeitnehmer die Situation vieler Menschen heute in Deutschland, auch in Sachsen-Anhalt.
Kosten in der Pflege steigen explosionsartig
Die Kostensteigerungen in der Pflege sind besorgniserregend. Allein die Pflegekasse bei der AOK Sachsen-Anhalt hat mit dem Geschäftsjahr 2023 Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden EUR geleistet. Darin enthalten sind rund 620 Millionen EUR für ambulante Leistungen und 550 Millionen EUR für stationäre Leistungen. Im Vergleich zu 2017 sind die Ausgaben damit um 46,9 Prozent gestiegen. Allein für die stationäre Pflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen kann ein Anstieg der Ausgaben im selben Zeitraum um 15,5 Prozent verzeichnet werden. Erst im vergangenen Jahr mussten die Versicherten erneut eine Erhöhung des Pflegebeitrages hinnehmen. Dennoch reicht das Geld nicht aus. Dafür gibt es verschiedene Ursachen:
Seit der Reform von Pflegestufen zu Pflegegraden im Jahr 2017 ist die Zahl der Pflegebedürftigen in Sachsen-Anhalt um 50 Prozent auf über 166.000 Menschen gestiegen. Mit mehr Anspruchsberechtigten gehen auch höhere Ausgaben für die Leistungen einher. Dabei werden nun auch die leistungsverbessernden Maßnahmen aus den vorherigen Gesetzgebungen wirksam. Zudem gibt es heute 30 Leistungsarten für ambulante und stationäre Pflege, darunter auch kleine Dinge wie die Nutzung digitaler Pflegeanwendungen oder zusätzliche Leistungen bei Pflegezeit und kurzzeitiger Arbeitsverhinderung.
Außerdem ist die soziale Pflegeversicherung in der Covid-19-Pandemie für die Auszahlungen über den Corona-Rettungsschirm in Vorleistung gegangen. Bislang gab es vom Bund keine kostendeckenden Erstattungen für diese versicherungsfremden Leistungen, rund 4,5 Milliarden Euro sind hier noch offen.
Zusätzlich hat der Bund die jährliche Zahlung von Steuermitteln in Höhe von einer Milliarde Euro bis 2027 ausgesetzt. Und auch für 2025 zeichnet sich bereits heute ein Defizit ab: Mit dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz ist eine Dynamisierung der Leistungsbeträge im nächsten Jahr vorgesehen. Damit ist absehbar, dass der Beitragssatz zur Pflegeversicherung weiter steigen wird. Da dieser bundesweit einheitlich ist, betrifft das alle Kassen und alle Versicherten.
„Das alles war absehbar. Vor allem die deutlich gestiegene Zahl der Anspruchsberechtigten dürfte niemanden ernsthaft überrascht haben“, sagt Uwe Schomburg, Vorsitzender des AOK-Verwaltungsrates und Vertreter der Arbeitgeberseite. „Seit Jahren fordern wir von der Bundesregierung eine stabile Finanzierung der Pflege. Doch eine Regierung schiebt das Problem der nächsten zu, Versicherte und Pflegebedürftige müssen zahlen“, so Schomburg weiter.
Eigenanteile werden weiter steigen
Insbesondere die stark steigenden Eigenanteile in Pflegeheimen seien ein Problem, dem sich aus Sicht des Verwaltungsrates nicht stark genug gewidmet wird. Zwar wurde versucht, mit dem 2022 eingeführten Leistungszuschuss die Eigenanteile zu begrenzen – allein die AOK Sachsen-Anhalt hat dafür im letzten Jahr 92,9 Millionen Euro ausgegeben. Dennoch lag der durchschnittliche Eigenanteil 2023 mit 1.800 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt rund 16 Prozent über dem Vorjahreswert. Eine Anhebung der Zuschläge und die geplante Dynamisierung der Leistungssätze im Jahr 2025 werden einen weiteren Anstieg voraussichtlich nicht aufhalten.
Entlastungen der Pflegebedürftigen wären möglich
Eine schnelle Entlastung der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen wäre aus Sicht des Verwaltungsrates möglich, wenn man die Ausbildungskosten für Pflegekräfte aus den Eigenanteilen der Pflegebedürftigen herausnehmen würde. Dieses Versprechen aus dem Koalitionsvertrag der Ampelfraktionen im Bund sollte endlich eingelöst werden. Außerdem sollten die Investitionskosten der Pflegeheime nicht länger den Pflegebedürftigen aufgebürdet werden. Sie sollten als Teil der Daseinsvorsorge vollständig von den Ländern getragen werden.
Die Situation ließe sich zudem stabilisieren, indem die Bundesregierung beispielsweise versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln finanzieren und nicht allein den gesetzlich Versicherten überlassen würde. Außerdem sollten kostendeckende Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung für Bürgergeld-Empfänger eingeführt werden – ganz so, wie es im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Die Koalition sollte sich daher an ihre Versprechen erinnern und endlich ihre eigenen Finanzierungsvorschläge umsetzen, die seit drei Jahren in der Schublade liegen.