Gesellschaft Gesellschaft: Wenn Schenken keinen Spaß mehr macht

Köln/Neuss/dpa. - Nach Feierabend in überfüllte Innenstädte hetzen. Präsente aussuchen für Menschen, die schon alles haben. Kartons in Seidenpapier schlagen und zugleich wissen, dass sie von verwöhnten Rackern beiseite gefegt werden - selbst bei guter Planung ist das weihnachtliche Schenkritual mit viel Arbeit verbunden. Und nicht immer wird die Mühe mit Dank belohnt.
«Ich glaube, vielen Leuten macht das Schenken keinen Spaß mehr», sagt die Psychologin Annelie Dott aus Köln. Von einem bestimmten Lebensalter an seien die meisten Menschen ausreichend gut situiert, um sich ihre Wünsche das ganze Jahr über selbst zu erfüllen. Wer eine Lücke finden will, sollte sich deshalb bei der Geschenkesuche Zeit lassen - und seinen Blick nicht nur auf Materielles richten.
«Die Voraussetzung für die Freude am Beschenkt-Werden ist die Sehnsucht», sagt der Pädagoge und Sachbuchautor Albert Wunsch aus Neuss. In der Überflussgesellschaft finde das Schenken immer weniger Resonanz. Das gelte sogar schon für Kinder und Jugendliche. Um mit einem Präsent nicht daneben zu liegen, zückten viele gleich die Scheckkarte. Da werde etwa vereinbart, dass die Kleinen 20 Euro bekommen und die Großen 50. «Und wenn dann die Oma vom Enkel auch noch 10 Euro kriegt, kann man das direkt miteinander verrechnen», merkt Wunsch kritisch an.
Auch Geschenkelisten, die von Freunden und Verwandten nur noch «abgearbeitet» werden müssen, kommen häufig zum Einsatz. Das senkt zwar das Risiko für Fehlinvestitionen, doch der Überraschungseffekt ist dahin. Und gerade dieser sorge nun einmal sowohl beim Beschenkten als auch beim Schenkenden für Vergnügen, sagt Psychologin Dott. Die Angelegenheit werde zu einem rein formalen Akt: «Das Schenken ist dann ein Muss und das Freuen vielleicht auch».
Wer dem wohlkalkulierten Austausch unter dem Weihnachtsbaum entgegenwirken will, muss sich Zeit nehmen, sagt Andreas Kopp von der Erziehungsberatungsstelle der Caritas im Kreis Garmisch-Partenkirchen in Bayern. Das gelte besonders für das Beschenken von Kindern. «Mit der scheinbar harmlosen Frage "Was wünschst Du Dir denn?" macht man es sich zu leicht». Zumindest nähere Verwandten sollten versuchen, durch Gespräche oder gemeinsam verbrachte Zeit auszuloten, welche Interessen ein Kind wirklich hat. Auch Ingetraut Palm-Walter vom Arbeitsausschuss Kinderspiel und Spielzeug «spiel gut» in Ulm rät, mehr Zeit im Kinderzimmer zu verbringen als in der Spielwarenabteilung.
Anders verhält es sich laut Erziehungsberater Kopp, wenn Nachbarn oder Freunde den Nachwuchs der Familie nur flüchtig kennen. «Dann kann man die Mutter schon fragen: Wofür interessiert sich das Kind eigentlich?» Ganz nebenbei fördere ein solches Gespräch auch die Beziehung zwischen den Erwachsenen. Als kleine Geschenke, die bei fast allen Kindern Anklang finden, empfiehlt Palm-Walter «Dinge, die sich schnell verbrauchen». Dazu gehören Bälle, Knetmasse, Buntpapier, Klebstoffe, Scheren und Luftballons.
Geschenke der Großeltern fallen - nicht nur zu Weihnachten - meist besonders großzügig aus. Doch selbst wohlhabende Großväter und -mütter sollten nicht in erster Linie auf Materielles setzen, sagt Pädagoge Wunsch. «Das Schönste, was sie schenken können, sind Zeit und Ideen». Die Einladung für einen Tag im Wald oder einen Ausflug zum Flughafen könne - schön verpackt als Gutschein oder als Szene in einem Karton - sogar bereits beim Auspacken Freude machen.
Psychologin Dott rät, im Zweifel auch für Erwachsene lieber ein Geschenk zu ersinnen, mit dem sich die persönlichen Beziehungen stärken lassen als dem Haushalt ein nutzloses Detail hinzuzufügen. «Das kann beispielsweise ein Gutschein für den gemeinsamen Besuch einer Veranstaltung sein.» In ihrer eigenen Familie habe man sich schon länger von der Geschenke-Verpflichtung zu Weihnachten verabschiedet: «Wir bringen lieber Mitbringsel von Reisen mit».
Gerade bei Kindern sollte das Thema aber nicht dogmatisch behandelt werden, sagt Wunsch. «Die Frage ist einfach, ob man sich die Freiheit lässt, die Wünsche nicht zu 100 Prozent zu erfüllen, sondern lediglich zu 60 Prozent». Die verbleibenden 40 Prozent könnten dann für eine immaterielle Gabe genutzt werden.
Bei Jugendlichen können auch Eltern einiges tun, damit Zuwendungen von Freunden und Verwandten wieder auf mehr Gegenliebe stoßen, so der Pädagoge. «Ich empfehle, für Kinder ab 12 oder 13 Jahren ein Geld-Kontingent für den persönlichen Kleidungs- und Konsumbereich einzurichten.» Die darauf eingezahlten Summen sollten allerdings nicht zu großzügig bemessen sein. In einer solchen Situation künstlich geschaffenen Mangels könnten sogar kleine, praktische Geschenke Sinn machen. «Welches Kind freut sich schon über Socken? Ein Kind mit Kleidungsbudget schon.»
Doch es geht nicht nur um die Freude des Adressaten: Weil das Schenken eine zweiseitige Angelegenheit ist, darf auch der Geber auf ein wenig Egoismus beharren, sagt Psychologin Dott. Es sei durchaus legitim, nach Präsenten Ausschau zu halten, bei denen schon das Aussuchen Spaß macht. «Wer keine Liste abarbeiten will, braucht ja vorher nicht danach zu fragen.»