Gemüse Gemüse: Alte Kartoffelsorten werden neu entdeckt

Bonn/Steinhagen/dpa. - Denn die Kartoffel ist weitaus mehr als nur ein Grundnahrungsmittel - das Arme-Leute-Essen mauserte sich inzwischen zur feinen Beilage. Von den luftgetrockneten «papas» der Inkas in den Anden zu den maßgeschneiderten marktbeherrschenden Sorten war es ein langer Weg. Vor allem die Industrialisierung förderte den großen Erfolg von Solanum tuberosum, so der botanische Name der Knolle. Das rapide wachsende Industrieproletariat in den Städten stillte seinen Hunger mit billigen Kartoffelgerichten.
So rasant sich der Aufstieg des Erdapfels im 19. Jahrhundert vollzog, so stark hat sein Verzehr inzwischen abgenommen. Um die Wende zum 20. Jahrhundert lag der deutsche Pro-Kopf-Verbrauch bei jährlich 285 Kilogramm. Heute werden nach Angaben von Christoph Hambloch von der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle (ZMP) in Bonn durchschnittlich nur noch 67 Kilogramm gegessen.
Früher bestimmten regionale Bodenverhältnisse und Geschmacksvorlieben die Züchtungen. Gelbe, blaue und rote sowie runde und gebogene Sorten kamen dabei heraus. Heute haben nur noch hellschalige glatte Knollen mit flachen Augen eine Chance. «Von Nord nach Süd ist die Kartoffel inzwischen einheitlich», so Hambloch.
Für den Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) aus Steinhagen in Ostwestfalen Gründe genug, die Kartoffel 2003 zur Kulturpflanze des Jahre auszurufen. «Wir begnügen uns nicht mit dem, was hier zu Lande auf den Markt kommt", sagt Vorstandsmitglied Heidi Lorey. «Frankreich und Großbritannien haben noch sehr bunte Sortimente.» Auch die Skandinavier kennen viele rotschalige Sorten.
Die Diplomgärtnerin baut auf ihrem 800 Quadratmeter großen Acker bis zu 45 vergessene Sorten an, um die historische Entwicklung aufzuzeigen. Die älteste Sorte, rosa Tannenzapfen, stammt aus dem Jahr 1850. Auch Ökolandwirt Karsten Ellenberg aus Barum bei Lüneburg belebt seit 1997 alte Sorten aus dem In- und Ausland auf seinen Äckern wieder. Inzwischen gedeihen 170 Sorten auf 15 Hektar Land. Vom gelb-rosafarbenen Bamberger Hörnchen, gelben Knollen wie der französischen La Ratte über die schwarz-violette schottische Shetland Black bis zur gängigen Handelssorte Linda mit ihrem Butterfarbton.
Wie Lorey bezieht Ellenberg die Pflanzen von so genannten Genbanken. So lagern bei der Außenstelle Nord des Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Gatersleben in Groß Lüsitz bei Rostock Muster von 2800 Sorten, die mit der Zeit von den offiziellen Listen gestrichen wurden. Hauptaufgabe sei der Erhalt der genetischen Vielfalt für Forschungs- und Züchtungszwecke, erklärt Kurator Klaus Dehner.
Falsche Behandlung der Knollen bei der Lagerung hat Folgen. Bei zu viel Tageslicht verfärben sich Kartoffeln grün, nach Frost schmecken sie süßlich. Beide Male sind sie ungenießbar. Kleine Mengen halten sich im Gemüsefach des Kühlschranks. Und bei nur 70 Kalorien pro 100 Gramm empfehlen die Experten: Nichts wie «rin in die Kartoffeln».