Funktionieren statt sprechen Ganz für sich und körperlich: Männer trauern anders
Wenn ein geliebter Mensch stirbt, sind Schock und Trauer groß. Manchen Frauen hilft es, stundenlang darüber zu sprechen. Bei Männern äußert sich der Schmerz oft anders. Wie - und warum das so ist.
Stuttgart/Osnabrück - Das Wichtigste vorab: Es gibt nicht DIE typische Trauer. Es gibt kein Richtig und kein Falsch, wenn man sein Kind, den Mann oder eine Freundin verloren hat. Und erst recht gibt es keine stereotype, allgemeingültige Form, für wen auch immer.
„Wie sich Trauer auswirkt, ist grundsätzlich und unabhängig vom Geschlecht sehr unterschiedlich“, sagt der Osnabrücker Trauerbegleiter und Autor Thomas Achenbach („Männer trauern anders“).
Und doch hat er festgestellt, dass Männer und Frauen oft ganz anders mit diesem Schmerz umgehen. „Männer verfallen am Anfang häufig in eine Art Schockstarre, die gerade bei ihnen sehr massiv sein kann. Sie versteinern regelrecht“, sagt er. Und es fällt schwerer, an sie heranzukommen. Nicht nur, weil sie sich kaum in Trauercafés oder Trauergruppen blicken lassen, sondern auch, weil sie sich in Gesprächen zunächst nur sehr schwer öffnen können.
Nach der Schockstarre folgen oft Rückenleiden
Was vor allem den Männern dabei am meisten zu schaffen mache, sei die Ohnmacht, die zu einer Verlustkrise immer dazugehört. „Das Gefühl, zu Boden gedrückt zu werden. Ausgeliefert zu sein und nichts tun zu können“, beschreibt Achenbach.
Und anders als bei Frauen bekommen Männer oft auch körperliche Folgen zu spüren, sagt Psychologe und Trauerexperte Roland Kachler: „Wenn Männer in die Trauerberatung kommen, dann eher mit somatischen Erfahrungen. Sie haben bei schweren Verlusten oft Rückenschmerzen und Schulterschmerzen.“ Der Körper reagiere mit einer muskulären Abwehr: „Weil wir Männer auf Bewältigen und Funktionieren orientiert sind.“ Sie erleben die Trauer häufig als Angriff und als Niederlage, die es zu blockieren gilt.
Frauen jedoch, die die Trauerberatung aufsuchen, möchten sich mit dem Verlust des Partners auseinandersetzen: „Sie wollen erfahren, wie sie Trauer und Schmerz gestalten können.“ Und sie seien viel mehr in der Lage, sich auch intensiv auf diese Gefühle einzulassen. Vielleicht, so vermutet Kachler, „weil sie über eine wesentliche Grunderfahrung verfügen: Nämlich die Geburt, bei der sie erleben, dass auch intensivste Schmerzen vorübergehen und etwas Neues hervorbringen.“
Gespräche in Trauergruppen werden von Männern oft abgebrochen
Männer jedoch haben eher einen Abwehr- und Kontrollwunsch. „Sie haben es schwer, sich einzulassen. Das bedroht ihre Funktionsfähigkeit“, beobachtet Kachler. Die Gespräche in gemischten Trauergruppen seien ihnen zu intensiv und zu massiv - und oft brechen sie die Teilnahme nach wenigen Malen ab. „Weil Männer sehr viel stärker an das Weiterfunktionieren denken“, so der Autor („Was bei Trauer gut tut: Hilfen für schwere Stunden“).
Insbesondere beim Tod eines Kindes wehren Männer intensive Trauergefühle ab, weil sie sich dafür verantwortlich fühlen, dass die Familie und das Leben weitergehen müssen.
All das heißt natürlich nicht, dass Männer nicht trauern. Aber eben oft nicht so sichtbar. „Männer trauern im Geheimen“, beschreibt es Thomas Achenbach. Sie redeten weniger über ihre Gefühle und gehen eher mit Verstand an Themen wie Trauer und Verzweiflung heran: „Sie wollen Wissen sammeln.“ Außerdem zweifelten sie oft an sich und daran, ob sie noch „ganz bei Trost sind“.
Fahrradtouren und männliche Therapeuten für Trauer-Männer
Und Männer kommen für Roland Kachler nicht in eine Phase des Erlebens. Er appelliert jedoch, dies nicht vorschnell negativ zu bewerten: „Wir müssen Männer aber dazu einladen, anders in eine Trauerarbeit zu gehen.“ Und zwar über eine körperliche Variante. „Wenn Sie Männer zu einer Gesprächsgruppe einladen, haben Sie ein Problem, weil kaum jemand kommt. Aber ein Wanderwochenende für trauernde Väter oder Fahrradtouren für Trauernde werden angenommen.“
Thomas Achenbach hat die Erfahrung gemacht, dass bei der Trauerbegleitung von Männern die Gefühle über das gemeinsame Gehen oder Wandern ins Laufen kommen können - da sie sich dabei am ehesten öffnen und fallen lassen. „Es kommt auf das richtige Setting an“, sagt er. „Sich in einem Raum gegenüberzusitzen, wird von manchen als ungewohnt oder gar als bedrohlich empfunden“, sagt er.
Auch gemeinsam einen Grabstein oder auch eine Website für den verstorbenen Menschen zu gestalten, kann helfen, sagt Roland Kachler. „Es geht darum, über das Tun ins Reden zu kommen - und dann vielleicht auch ins Weinen und Spüren.“
Thomas Achenbach ist überzeugt: „Es gibt männliche Wege ins Innenleben. Wege, die anders sind als weibliche Wege. Das ist wichtig: Dass man den Männern ihren eigenen Weg überlässt.“ Wer auf diesem Weg dabei Hilfe benötigt, sollte die am besten bei einem männlichen Trauerbegleiter oder Therapeuten in Anspruch nehmen, lautet der Rat der Fachleute.