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Heimweh vorbeugen Was tun, wenn Kinder in den Ferien Sehnsucht nach Zuhause bekommen

Ob Klassenfahrt oder Feriencamp: Heimweh vermiest manchen Kindern die Stimmung. Dabei trifft es manche stärker als andere. Woran das liegt, was hilft und wie Eltern unterstützen können.

Von Helene Kilb 24.06.2024, 17:01
Heimweh kann für Kinder sehr schmerzhaft sein.
Heimweh kann für Kinder sehr schmerzhaft sein. Fotos: Imago, Ute Nicklisch

Abends sei es meist am schlimmsten, sagt Martin Olejnicki. Er ist Pfarrer in Köthen und begleitet seit mehr als zwanzig Jahren das Kindercamp, bei dem Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren am Edderitzer See (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) übernachten.

Häufig höre er, sobald sich der Trubel des Tages gelegt habe, jemanden im Zelt weinen. „Und wenn man hingeht und fragt, was los ist, lautet die Antwort: ,Ich will nach Hause, zu meiner Mama oder meinem Papa.’ Normalerweise gebe es von den rund 80 Kindern immer vier bis acht „heimwehkranke“, sagt Olejnicki.

Feriencamp der  Evangelischen Jugend: Die Kinder machen feuerwehrtechnische Übungen. Das war 2019 und dann kam Corona.
Feriencamp der Evangelischen Jugend: Die Kinder machen feuerwehrtechnische Übungen. Das war 2019 und dann kam Corona.
Foto: Ute Nicklisch

Umso extremer fiel der Einfluss der Pandemie auf: „2022, im ersten Jahr nach Corona, hatten wir auf einmal zehn oder zwölf Kinder mit Heimweh am Tag, was wir in diesem Ausmaß noch nie hatten – das war schon massiv“, sagt Olejnicki. Und auch, wenn es mittlerweile wieder weniger Kinder sind, sei Heimweh nach wie vor ein Thema bei dem einwöchigen Feriencamp.

Angst vor der Trennung

Was hinter dem Gefühl steckt, weiß Annegret Brauer, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und Vorsitzende der sachsen-anhaltischen Regionalgruppe des Berufsverbands für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland. „Heimweh zeigt eine gewisse Angst des Kindes vor der Trennung von wichtigen Bezugspersonen“, sagt sie.

Ich will nach Hause, zu meiner Mama oder meinem Papa

Kinder im Kindercamp Köthen

Das sei normal, treffe manche Kinder aber stärker als andere: „Einige Kinder sind von Natur aus ängstlicher und haben von ihrer Mentalität her mehr Heimweh“, sagt Brauer. „Wir sehen das in Familien – da hat das eine Geschwisterkind kein Heimweh, ein anderes aber schon.“ Wichtig sei zudem die Rolle der Eltern: „Wenn diese unsicher und selbst trennungsängstlich sind, wirkt das verstärkend. Aber auch unsensibel vollzogene harsche Trennungen können zu mehr Heimweh führen.“

Gute Vorbereitung hilft

Wenn Eltern unsicher sind, ob das eigene Kind schon bereit für auswärtiges Übernachten ist, rät die Kinder- und Jugendpsychiaterin Brauer: „Sie sollten ihrer Intuition vertrauen. Eltern können ihre Kinder fragen und beobachten. Wenn der Nachwuchs gelöst und entspannt wirkt, ist alles okay.“

Dass Vorbereitung helfen kann, diese Erfahrung hat Sandra Albrecht gemacht. Sie leitet die hallesche Kindertagesstätte „Am Zanderweg“ und begleitet seit mehr als 20 Jahren regelmäßig fünf- bis sechsjährige Vorschulkinder bei der Abschlussfahrt ins Brandenburgische Prebelow. „Kindern hilft es, zu wissen, was sie erwartet. Es ist sinnvoll, mit ihnen über die bevorstehende Trennung zu sprechen.“

Sandra Albrecht leitet die Kindertagesstätte „Am Zanderweg“ in Halle.
Sandra Albrecht leitet die Kindertagesstätte „Am Zanderweg“ in Halle.
(Foto: privat)

Albrechts Tipp: „Eltern sollten sich Zeit nehmen, gemeinsam mit ihren Kindern den Koffer zu packen. Das steigert nicht nur die Vorfreude, sondern lässt auch Raum, um Sorgen aus dem Weg zu räumen oder Fragen zu beantworten“ – auch solche wie „Was, wenn ich weinen muss?“ Je ruhiger und ehrlicher die Antworten sind, desto weniger machen sich die Kinder ihr zufolge Gedanken.

Kinderbegleitdienst der Bahn Kinderbegleitdienst der Bahn: Tröster und Unterhalter für ein paar Stunden

Parallel dazu planen die Erzieher mit den Kindern: „Es werden Ideen geschmiedet, Ausflugsziele herausgesucht und – ganz wichtig – die Frage geklärt, wer mit wem in einem Bungalow schläft“, erzählt Albrecht. Wenn möglich, können Kinder vorab schon einmal auswärts schlafen: „Kinder, die schon an einem anderen Ort als zu Hause und ohne Mama und Papa übernachtet haben – etwa bei Oma und Opa oder einer Lesenacht im Kindergarten –, haben eher weniger Heimweh“, sagt Albrecht.

Spezielles Gepäck spendet Trost, wenn unterwegs die Tränen kommen: „Eine große Unterstützung ist es, wenn das Lieblingskuscheltier oder ein T-Shirt mit dem Geruch von Mama oder Papa mit auf die Reise geht“, sagt Albrecht, „aber auch Fotos der Familie oder Glücksbringer lindern Heimweh.“ Solche Übergangsobjekte erleichtern die Trennung.

Wie Kinder gut ankommen

Vor Ort hingegen ist vonseiten der Eltern eher Zurückhaltung gefragt. So fällt es den Kindern leichter, sich auf die Bezugspersonen vor Ort einzulassen. Martin Olejnicki, der Pfarrer aus Köthen, sagt: „Manche Eltern rufen jeden Abend an, sicher oft aus Sehnsucht nach ihrem Kind.“

Beim Heimweh hilft das Telefon nicht unbedingt.
Beim Heimweh hilft das Telefon nicht unbedingt.
(Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB)

Zwar gebe es Kinder, denen das helfe – bei vielen verstärken die allabendlichen Anrufe aber eher das Heimweh. Er bietet den heimwehkranken Kindern stattdessen das Gespräch an. „Häufig hat ein Kind noch wenig Übung darin, eigene Gefühle zu artikulieren“, sagt Olejnicki. „Daher fragen wir, was es gerade fühlt, etwa ob es traurig, wütend oder ängstlich ist. So wird dem Kind vielleicht bewusst, dass es Angst hat, dass es seine Eltern nie wieder sieht. Und dann können wir dem Kind gut Sicherheit geben, indem wir ihm sagen: ,Deine Eltern sind da und in einer halben Stunde hier, wenn nötig.’“

Von Heimwehtropfen oder -pillen hält er hingegen wenig: „Das haben wir anfangs gemacht, und es funktionierte erschreckend gut“, sagt Olejnicki. „Aber man veralbert die Kinder an dieser Stelle natürlich.“ Er erachtet es als sinnvoller, das Gefühl nicht mit Tropfen oder Pillen zu unterdrücken: „Es ist ja auch etwas Schönes, wenn Kinder sich bewusst machen, dass sie jemanden vermissen, der ihnen wichtig ist.“

Manchmal sei es zudem so, dass Kinder eher Ablenkung brauchen und ihnen ein vertrautes Einschlafritual gut tut: „Dann kann man darüber reden, was das Kind sonst zu Hause macht, ob es nun eine Einschlafmusik ist oder die Oma, die jeden Abend etwas vorliest.“ Solche Rituale ließen sich oft gut auch an dem fremden Ort umsetzen.

Vertrauenspersonen lindern

Und nicht zuletzt sind es vertraute Gesichter, die Kindern in der Fremde Sicherheit geben. Diese Erfahrung hat Sandra Albrecht, die Kita-Leiterin aus Halle, bei den bisherigen Abschlussfahrten gemacht: „Wir begleiten die Kinder ja von klein auf in der Kita als feste Bezugserzieher. So gibt es in der fremden Umgebung aufgrund der guten Bindung zu den Erziehern selten Heimweh-Momente.“

Und auch Pfarrer Olejnicki erinnert sich dahingehend an eine schöne Anekdote: „Was mich im letzten Jahr wirklich berührt hat, waren zwei Jungs, die sich ein Zelt teilten. In der ersten Nacht hatte einer der beiden schlimmes Heimweh und der andere hat ihn getröstet und ihm gut zugeredet, den ganzen Abend lang, bis er eingeschlafen war. Und in der nächsten Nacht war es genau umgekehrt. Da hatte der andere Junge dann Heimweh, und sein Freund hat ihm Mut zugesprochen.“