Bildung Was Sachsen-Anhalt gegen das Wirrwarr der Apps für die Schule plant
Stundenpläne, Hausaufgaben, Schulessen: Die meisten Eltern und Schüler haben etliche digitale Anwendungen installiert, um den Schulalltag zu verwalten. Geht das nicht einfacher?
Wie hat Schule eigentlich funktioniert, bevor es das Internet gab? Aktuell ist es so: 7 Uhr morgens, die Familie trudelt am Frühstückstisch ein. „Hast Du gestern noch Mittagessen für heute bestellt?“, fragt die Mama. Die Tochter, eine Siebtklässlerin, schüttelt wortlos den Kopf. Papa tippt in sein Handy und liest vor, was zur Wahl steht. Bis 8 Uhr nimmt der Schulessen-Lieferant Bestellungen für den Tag an.
Ein Biss ins Knäckebrot, ein weiterer Blick aufs Mobiltelefon. Die App „VP-Mobil-24“ zeigt den heutigen Stundenplan. Änderungen trägt die Schule bis spätestens 7.15 Uhr ein. „Oh!“, ruft Mama, „Sport fällt aus.“ Mit einer Doppelstunde in der Turnhalle sollte der Schultag beginnen. Das Kind freut sich. Und es ärgert sich: „Da hätte ich ja ausschlafen können!“
Das könnte Sie auch interessieren: Schülerrat gegen Handyverbot an Schulen
Papa mischt sich ein. „Hast Du bei ,Moodle’ gesehen, dass Eure Lehrerin heute eine Berichtigung der Klassenarbeit erwartet?“ Die Tochter verstummt. Upps. „Na, dann hast Du ja jetzt noch anderthalb Stunden Zeit“, seufzt Mama. „Hatte die Lehrerin nicht sogar eine E-Mail geschrieben?“, rügt sie. Die 13-jährige Schülerin hat ihr Postfach jedoch nur sporadisch im Blick. Sie stapft in ihr Zimmer.
Schulen nutzen App-Vielfalt
„VP-Mobil-24“, „Moodle“ und das Bestellsystem des Essensanbieters – drei verschiedene Online-Plattformen innerhalb lediglich einer Viertelstunde, um den Schulalltag zu organisieren. Drei Benutzernamen, drei Passwörter, dreimal durchklicken. Und das schon am frühen Morgen.
Damit nicht genug: Andere Schulen nutzen andere Programme, und am Nachmittag kommen womöglich Lernhilfe-Apps hinzu. Das von der Europäischen Union geförderte Programm „Anton“ bietet kostenlos Erklärungen und Übungen in vielen Fächern, die Leseförderung-Plattform „Antolin“ belohnt jugendliche Bücherwürmer mit Punkten.
Kostenpflichtige Lernsoftware – wie „Sofatutor“ und „Onilo“ – setzt auf einen Mix aus Übungen, Lernspielen und Erklärvideos. Willkommen im Schul-App-Dschungel.
„Gerade bei Grundschülern lehnen nicht wenige Eltern ein eigenes Smartphone für das Kind ab“, sagt Matthias Rose, Vorsitzender des Landeselternrates des Landes Sachsen-Anhalt. Dann sei der Zugang nur über die Technik der Eltern beziehungsweise im Unterricht über die der Schule möglich.
Lesen, rechnen, organisieren – diese Apps helfen
Übungsaufgaben, Erklärvideos, Notenbuch: Welche Apps gibt es? Eine Auswahl:
Moodle: Millionen Menschen weltweit nutzen die Software, und auch Schüler aus Sachsen-Anhalt kommen an der E-Learning-Plattform, die das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA) zur Verfügung stellt, kaum vorbei. Was Moodle kann? Den digital gestützten Unterricht erleichtern. Arbeitsblätter, Aufgaben oder Videos können Lehrer und Schüler hochladen oder abrufen, der Schulalltag kann organisiert und die Kommunikation mit der Klasse – etwa Hausaufgaben oder Nachschreibtermine – verwaltet werden. Auch die Schuladministration kann mit Moodle vereinfacht werden.
VP-Mobil-24: Die Firma Indiware im thüringischen Mühlhausen ging bereits Ende 2005 mit dieser App an den Start. „VP“ steht für „Vertretungsplan“. Inzwischen nutzen rund 800 Schulen das Programm, davon viele in Mitteldeutschland. Die Schulen speisen noch am frühen Morgen letzte Änderungen in den Stundenplan ein, die in Echtzeit bei Eltern und Schülern ankommen. Layout und Handhabung sind aber etwas in die Jahre gekommen.
Antolin: Die App soll Kinder motivieren, Bücher zu lesen. Meist sind es Grundschulen, die für ihre Kinder Lesekonten einrichten. Zu mehr als 70.000 deutschsprachigen Titeln der Kinder- und Jugendliteratur stehen Quizfragen bereit. Wer einen Durchgang besteht, erhält Punkte, die wiederum an die Deutschlehrer weitergeleitet werden.
Anton: Die Europäische Union gehört zu den maßgeblichen Förderern dieses Angebots, das Schulstoff und Übungsaufgaben für alle Klassenstufen und die meisten Fächer enthält – orientiert am Lehrplan. Für die Schüler ist die Nutzung kostenlos. Als Lernanreiz sind kleine Computerspiele integriert.
MatheX: Noch als Schüler hat Stefan Neuber, der sein Abitur in Halle ablegte, die Mathe-App entwickelt, die ein personalisiertes Mathematik-Training für Grundschüler ermöglicht und hilft, Mathe grundlegend zu verstehen.
Sofatutor: Lernspiele, Vokabeltrainer, Erklär-Videos, Arbeitsblätter – die Berliner Firma „Sofatutor“ schreibt sich seit 2009 auf die Fahne, ein spielendes Lernen zu ermöglichen. Nach eigenen Angaben hat die Plattform mehr als 1,5 Millionen Nutzer, die monatlich rund 15 oder 20 Euro bezahlen.
Fuxnoten: Die webbasierte Lösung will die Notenverwaltung für Lehrer vereinfachen. Aber auch Eltern erhalten mit Fuxnoten einen Einblick in den Leistungsstand ihrer Kinder.
Swop: Die Software aus Potsdam ist ein Allrounder für die Schulverwaltung: Klassenbuch, digitales Notenbuch, Klassenchat, Dokumentenablage für Eltern und Schüler – die Swop-Module werden für jede Schule individuell zusammengestellt.
Ohne die Technik brechen Kinder umsonst zur Sporthalle auf, handeln sich den Ärger mit der Mathe-Lehrerin ein und hungern mittags.
Die Hürden der Technik seien niedrig. „Uns erreichen weniger Probleme mit Ausgrenzung und Passwörtern“, sagt Matthias Rose. Allerdings berichteten Eltern von großem Potential in der Qualität der Apps. „Hier gibt es offenbar noch ernste Qualitätssorgen.“ Für den Landeselternrat sei zudem erstrebenswert, wenn ein größerer Funktionsumfang in weniger Apps zur Verfügung gestellt werden könnte, so Rose.
Die Nutzung ist von Schule zu Schule und von Lehrkraft zu Lehrkraft unterschiedlich. Schon aus rechtlichen Gründen: Das Bildungsministerium in Sachsen-Anhalt stellt den Lehrern die Wahl der Lehr- und Lernmittel grundsätzlich frei – auch der digitalen, solange Grundsätze wie Datenschutz, Jugendschutz und Wahrung des Urheberrechts gewährleistet sind. Für Schüler und Eltern wird es dadurch aber manchmal unübersichtlich.
Erste Pläne zur Einheitlichkeit
Um den App-Dschungel zu lichten, gebe es zumindest für die Lehrkräfte die Bestrebung zur Vereinheitlichung, so das Bildungsministerium Sachsen-Anhalt. Genutzt werde dafür ein Identitätsmanagement namens „Vidis“. Die Abkürzung steht für „Vermittlungsdienst für das digitale Identitätsmanagement an Schulen“ und ist länderübergreifend konzipiert.
Wie bei einem Google-Konto – nur datensicher – soll das bereits bestehende Benutzerkonto des Landesportals samt Passwort genügen. „Vidis“ könnte künftig sogar die Pforte zu den Apps privater Anbieter öffnen, wenn sie gewisse Standards erfüllen.
Allerdings: „Für Schülerinnen und Schüler gibt es noch keine konkreten Konzeptionen, welche über Moodle hinausgehen“, erklärt Bildungssprecherin Josefine Hannig. Aus Schulen, wie dem Giebichenstein-Gymnasium „Thomas Müntzer“ in Halle ist jedoch zu hören, dass in diesem Schuljahr die Bildungsplattform Moodle noch stärker in den Unterrichtsalltag integriert werden soll.
Mit dem „Vidis“-Projekt könnte sich auch das Spektrum der Eltern rasant vergrößern – etwa um die Noten ihrer Sprösslinge im Blick zu behalten. Sachsens Schulen nutzen diese Möglichkeit via „Vidis“ bereits. Allerdings: Essensanbieter zu integrieren, ist ausgeschlossen, da ihre Bestellseiten keinen Bezug zum Unterricht haben.
Trotz allen Fortschritts ist für die Bildungsministerien oberstes Gebot: Wer rein analog unterwegs ist, darf keinen Nachteil erleiden. Alle Informationen müssen auch ohne Computer und Smartphone zugänglich sein. Denn ob Schule funktioniert, soll nicht vom Internet abhängig sein.