Was eltern tun können Immer mehr Kinder können nicht richtig sprechen
Das Sprachniveau bei Kindern sinkt seit Jahren. Dabei helfen oft kleine Veränderungen, um den Nachwuchs zum Sprechen zu motivieren. Expertinnen geben Tipps für Eltern.
Mit einem Jahr sprechen die meisten Kinder ihr erstes Wort, auf „Mama“ und „Papa“ folgen bald weitere Wörter und später Sätze. Und spätestens im Kindergartenalter sollten Kinder lernen, verständlich zu kommunizieren, ehe es in die Schule geht.
Allerdings hat der Nachwuchs dabei zunehmend Probleme: „Die Zahl der Kinder mit Sprachschwierigkeiten und einem Förderbedarf steigt“, sagt Stephanie Kurtenbach, Sprachtherapeutin und Dozentin im Studiengang „Sprechwissenschaft und Phonetik“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Mit Franziska Kreutzer, Fachberaterin für Sprachliche Bildung beim Eigenbetrieb Kindertagesstätten Halle, leitet Kurtenbach das Projekt „Kinderleicht sprechen!“, das die Kommunikation zwischen Kindern und Kita-Fachkräften verbessern soll.
Zu viel am Handy
Die Ursachen von Sprachschwierigkeiten seien kaum erfasst, sagt Kurtenbach. „In Studien nachgewiesen sind nur eine nicht altersgemäß entwickelte Motorik und ein beeinträchtigtes Hörvermögen.“ Sie und ihre Kollegin vermuten die Ursache beim Medienkonsum.
„Es beginnt damit, dass Eltern das Handy oft nutzen“, sagt Kreutzer. „In Experimenten sieht man, wie extrem verunsichert und verängstigt Kleinkinder reagieren, wenn das Elternteil auf einmal nicht mehr mit ihnen interagiert, sondern nur aufs Handy schaut.“ Dadurch fehle es vor allem an Blickkontakt – „der wichtigsten Voraussetzung überhaupt für Kommunikation und eine sichere emotionale Bindung“, sagt Kurtenbach. „Nur wenn ein Kind seine erwachsene Bezugsperson anschaut, kann es das Gehörte mit Mimik, Mundbild und Gestik abgleichen und so sprechen lernen.“
Dazu kommt eine veränderte Motorik. „Zahlen belegen, dass Kinder sich weniger bewegen und so mit einer geringeren motorischen Reife in die Schule kommen als vor einigen Jahrzehnten“, sagt Kurtenbach. „Das beeinflusst die Körperspannung, die Muskulatur und die Feinmotorik und damit auch das Sprechen der Kinder.“
Vorsorgeuntersuchungen zeigen nur bedingt, ob sich ein Kind sprachlich gut entwickelt. „Das sind grobe Screenings“, sagt Kurtenbach. „Und Kinder zeigen in konstruierten Testsituationen oft nicht, was sie wirklich können.“ Für mehrsprachige Kinder gebe es sogar noch keine aussagekräftigen und standardisierten Untersuchungen.
Umso wichtiger sind Beobachtungen von Kita-Fachkräften: „Im Kita-Alltag erleben wir Kinder mit Sprachdefiziten als zurückhaltend und still“, sagt Kreutzer. „Oder sie werden wütend und ärgerlich, wenn sie nicht verstanden werden und nicht ausdrücken können, was sie möchten.“
Die Zahl der Kinder mit Sprachschwierigkeiten steigt.
Stephanie Kurtenbach, Sprachtherapeutin
Auch Eltern haben ein Gefühl dafür, ob ihr Kind viel und gerne kommuniziert. „Allerdings sind Eltern sprachverzögerter Kinder oft verunsichert, wie sie sich verhalten sollen“, ergänzt Kurtenbach. „Sie verändern unbewusst ihr Kommunikationsverhalten und stellen zum Beispiel mehr Fragen, statt sich über ein Thema auszutauschen. Das führt dazu, dass Kinder weniger motiviert sind, weil sie merken: Mama oder Papa interessiert es gar nicht so sehr, was ich erzähle, sondern wie und ob ich das richtig mache.“ Die vielen Fragen setzten die Kinder unnötig unter Druck.
Und: Ihr zufolge schließen manche Eltern sprachverzögerter Kinder auf eine verzögerte allgemeine Entwicklung. „Sie behandeln die Kinder wie jüngere Kinder – obwohl diese einen intensiveren Input bräuchten.“
Um das Kind zum Sprechen einzuladen, helfen kleine Veränderungen. So sollten Eltern nicht explizit auf Fehler hinweisen, sondern das Gesagte aufgreifen: Erzählt das Kind von einer „Necke“, könnten die Eltern antworten: „Genau, da ist eine Schnecke.“ Spricht ein Kind generell wenig, tauchen viele Eltern es in ein „Sprachbad“, wie Kurtenbach es nennt. „Statt selbst mehr zu reden, ist es aber besser, Kommunikation zu etwas Gemeinsamem zu machen“, sagt Kurtenbach.
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Eltern sollten sich körperlich und im übertragenen Sinn auf Augenhöhe begeben. Dadurch entsteht direkt eine Verbundenheit: „Kinder spüren, dass die Eltern neugierig und ehrlich interessiert sind“, sagt Kreutzer. Beim Spielen und Vorlesen gelingt das am besten: „Schön ist es, wenn das Vorlesen zum Erlebnis wird“, sagt Kreutzer. „Wichtig ist nicht, wie ausdrucksstark man selbst lesen kann oder dass das Kind bis zum Ende still sitzt. Kinder und Erwachsene dürfen Fragen stellen, sich über das Gelesene unterhalten oder vor- und zurückblättern. Wichtig ist der gemeinsame Moment.“
Zudem eigne sich jede beliebige Situation als Kommunikationsanlass, sagt Kreutzer, „das Anziehen am Morgen, die Mahlzeiten, das Einkaufen“. So könnten Eltern im Supermarkt sagen: „Schau mal, was wir heute alles einkaufen müssen, siehst du schon, wo es das gibt?“
Vom eigenen Tag erzählen
Ebenfalls ein guter Tipp: Nach der Kita als Erstes vom eigenen Tag erzählen. „Dabei können Eltern auf eine emotionale Sprache achten und sagen, was sie erlebt haben oder was sie glücklich macht“, sagt Kreutzer. „Das hört sich trivial an, spielt aber für die sprachliche und emotionale Entwicklung der Kinder eine große Rolle.“ Auch müssen Eltern nicht auf alle Fragen eine Antwort kennen. „Vielmehr laden solche Situationen ein, gemeinsam zu überlegen und ins Philosophieren zu kommen“, sagt Kreutzer.
Und Kinder brauchen viel Bewegung. „In den ersten sechs Lebensjahren sollen die Kinder sich bewegen und toben“, sagt Kurtenbach. „So trainieren sie ihre Muskulatur und verbessern ihre motorischen und damit auch artikulatorischen Fähigkeiten. Außerdem führt eine höhere Spannung der Muskulatur zu einer besseren Aufmerksamkeit für alle Lernsituationen, so auch für Sprache.“
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Digitale Medien helfen dagegen wenig – im Gegenteil: „Gerade für kleine Kinder ist das direkte Gespräch das Allerbeste“, sagt Kreutzer. Allerdings seien digitale Medien eben Teil des Alltags. Ihre Empfehlung: „Den Kindern erklären, was man gerade am Handy macht, zum Beispiel: ‚Ich muss Oma schreiben, dass wir kommen‘“, sagt Kreutzer. „Toll sind auch Pflanzen- und Tierbestimmungs-Apps, mit denen ein Spaziergang zum Abenteuer wird.“
Das Wirksamste sei allerdings, das Handy einmal mehr zur Seite zu legen und dem Kind Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. „So zeigen Eltern, dass nicht nur die virtuelle Welt, sondern auch das echte Leben cool und spannend ist.“
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