Warum Kinder ständig krank sind Training für das Immunsystem
Husten, Schnupfen, Heiserkeit: Dass kleine Kinder häufiger krank sind, ist normal – aber wie oft krank ist eigentlich normal? Kinderärzte beantworten acht wichtige Fragen.
Glasige Augen, glühende Wangen, laufende Nase und viel Quengelei: Ein Anblick, der gerade für Eltern jüngerer Kinder längst wieder an der Tagesordnung ist – und es auch in den kommenden Monaten bleiben dürfte. Denn im Herbst und Winter wandert wieder eine Vielzahl an Krankheitserregern durch Kitas und Familien.
1. Warum werden Kinder im Herbst und Winter wirklich ständig krank?
Der Eindruck, dass der Nachwuchs bis ins Frühjahr hinein fast durchgehend krank ist, ist mehr als bloß eine gefühlte Wahrheit. „Für Kinder unter dem Schulalter sind pro Saison locker mal acht Infekte normal“, sagt Professor Marcus Krüger, Chefarzt der Kinderintensivstation der München Klinik Schwabing und Harlaching. „Und wenn dann jeweils zehn Tage die Nase läuft, ist klar, dass Eltern das Gefühl haben: Das Kind kommt da gar nicht mehr raus.“
In der nass-grauen Zeit spielt sich ein Großteil des Lebens drinnen ab, daher kommen sie in dieser Zeit schneller mit Krankheitserregern in Kontakt. Etwa, weil sie – ausgeatmet von einer infizierten Person – in ganz feinen Tröpfchen durch die Luft schweben. Das ist der Grund, warum regelmäßiges Durchlüften so wichtig ist.
Bei den ganz Kleinen gibt es aber eine Besonderheit: Ihr Immunsystem werde zum ersten Mal mit diesen Erregern – vor allem sind es Viren – konfrontiert, wie Kinderarzt Ulrich Fegeler erklärt. Genauer gesagt: mit ihren Oberflächenstrukturen, die in der Medizin Antigene heißen. Treffen sie das erste Mal auf die Schleimhäute, kann sich das kindliche Immunsystem noch nicht gezielt zur Wehr setzen. Aus diesem Grund fallen diese ersten Infekte besonders heftig aus.
Doch auch wenn es Eltern wehtut, ihr Würmchen so kränkeln zu sehen – es ist für etwas gut: „Jedes Antigen, mit dem sich der Körper auseinandergesetzt hat, hinterlässt seine Spuren im Sinne eines Bauplans für einen entsprechenden Antikörper“, sagt Ulrich Fegeler. Heißt: Beim zweiten, dritten, vierten Kontakt mit dem Erreger verlaufen Infekte in aller Regel milder. Die Gedächtniszellen des Immunsystems können dann sehr schnell die Produktion von Antikörpern anstoßen, die den Erreger gezielt bekämpfen.
2. Können wir das Kind und uns als Familie vor Ansteckung schützen?
Hier müssen die Kinderärzte enttäuschen. „Es gibt keine Alternative und keinen richtigen Schutz“, sagt Marcus Krüger. Eltern können aber dafür sorgen, dass das Immunsystem des Kindes – und auch ihr eigenes – möglichst gut arbeiten kann. Grundlagen dafür sind etwa viel Bewegung an der frischen Luft und eine ausgewogene Ernährung.
3. Was ist mit Vitamin C, dem ein Schutz vor Erkältungen nachgesagt wird?
„Das ist ein wichtiger Gehilfe in der Auseinandersetzung mit Krankheitserregern“, sagt Fegeler. Teure Tropfen oder spezielle Produkte müssen aber nicht sein: In einer ausgewogenen Ernährung steckt genug Vitamin C. Viel von dem Vitamin steckt in Kohl, Paprika, Kartoffeln, Zitrusfrüchten und Tomaten.
Sinnvoll ist es außerdem, den Impfschutz zu prüfen und verpasste Auffrischungen nachzuholen. Unter die eher harmlosen Schnupfenviren mischen sich nämlich auch Erreger, die es richtig in sich haben, besonders für Menschen mit Vorerkrankungen. Das können Grippeviren sein, Masernviren oder Bakterien, die Keuchhusten auslösen können. „Wenn am Ende die ganze Familie flachliegt, dann sind das nicht Erkältungsinfekte, sondern oft Erreger, gegen die man impfen kann“, sagt Krüger.
4. Sollte das Kind die Grippeschutzimpfung bekommen?
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt diese Impfung nur Jungen und Mädchen mit Vorerkrankungen, gesunden Kindern jedoch nicht. „Aber von der Impfung wird auch nicht abgeraten“, sagt Kinderarzt Fegeler.
Kinder werden mit dem Influenza-Erreger zwar leichter fertig als Erwachsene. Die Impfung kann aber etwa dann sinnvoll sein, wenn im Haushalt Personen leben, für die eine Grippe richtig gefährlich werden kann. Zum Beispiel, wenn ein Familienmitglied gerade durch eine Chemotherapie geht, die sein Immunsystem schwächt. Ist das Kind gegen Grippe geimpft, sinkt das Risiko, dass es das Virus in die Familie trägt.
5. Was können Eltern tun, wenn es das Kind doch erwischt hat?
Es gibt kein Wundermittel. Hat sich das Kind einen Atemwegsinfekt eingefangen, können Eltern ihn nicht abkürzen. Sein Verlauf sei vorgegeben, sagt Fegeler: „Es gibt kein Medikament, das gegen so einen Virusinfekt selbst wirkt.“
Ein Trostpflaster: Eltern können ihrem Kind die kranken Tage etwas erleichtern und darauf achten, dass es ihm möglichst gut geht. Dazu gehört in erster Linie und gerade bei Fieber: viel trinken, um den Verlust an Flüssigkeit infolge des Schwitzens auszugleichen. Am besten sind Wasser oder warme Tees.
Wenn das Kind gar nichts essen will, sind Eltern zwar oft besorgt. Kinderarzt Fegeler rät dann aber eher zu Gelassenheit als zum Reinzwängen. „Es ist normal, dass Kinder keinen Hunger haben, wenn sie krank sind. Der Körper gibt ein Signal, dass wir weglassen sollen, was für ihn jetzt eine Zusatzbelastung ist. Ernährung ist eine Belastung, sie muss verdaut werden.“ Meldet der Nachwuchs doch Appetit an, dann ist leicht verdauliche Kost gefragt, „so etwas wie Nudeln oder Suppen“, schlägt Fegeler vor. Hauptsache, nicht zu fettig, denn das liegt schwer im Magen.
6. Wie ist mit Fieber umzugehen?
Fühlt sich das Kind kalt an und zittert, packen es die Eltern am besten warm ein. Sie sollten aber wissen: Auf dieses sogenannte Fieberzittern folgt in aller Regel eine Umschaltung: „Der Körper wird heiß und rot, will Wärme nach außen abgeben“, beschreibt Fegeler. Das sollte man ihm dann auch ermöglichen und die dicke Decke wieder wegnehmen.
Generell gilt: Geht es um den richtigen Umgang mit Fieber, zählt mehr der Eindruck des Kindes als der Wert auf dem Fieberthermometer. „Wenn das Kind im Bett sitzt, eine schöne Geschichte auf den Ohren hat und fröhlich ist, dann darf es auch 38,9 Grad fiebern“, sagt Krüger.
Quengelt das Kind aber, wirkt matschig und klagt über Schmerzen, dann sind fiebersenkende Maßnahmen gefragt. Das können etwa Wadenwickel oder Fieberzäpfchen sein. Als fiebersenkende Wirkstoffe kommen Paracetamol und Ibuprofen infrage. ASS, also Acetylsalicylsäure – und damit etwa Aspirin –, ist für Kinder unter zwölf Jahren allerdings tabu.
7. Was sind Anzeichen dafür, dass ein Infekt ernst ist?
Da spielt das Alter eine Rolle. Je jünger, desto eher sollte ein Arzt aufgesucht werden. „Hat ein Neugeborenes, also in den ersten sechs Wochen, Fieber, muss es sofort zum Arzt“, sagt Krüger. Denn das ist bei ihnen sehr untypisch.
Fieber löst Besorgnis aus. Gerade junge Eltern kämen oft mit dem Nachwuchs in die Praxis, wenn dessen Temperatur steige, berichtet Fegeler. „Aber das ist auch gut so“, sagt er. Schließlich braucht es eine Weile – und ein paar Infekte –, bis Eltern ein Gefühl dafür entwickeln, wie sie das Kranksein des Kindes einordnen können.
Ein Warnzeichen ist, wenn das Kind zwei, drei Stunden nachdem es Fiebersenker bekommen hat, keine Besserung zeigt. „Ist es immer noch schläfrig, vielleicht nicht voll ansprechbar, dann muss es zum Arzt“, sagt Krüger. Selbiges gilt für Fieberkrämpfe. „Wenn also die Kinder plötzlich anfangen zu zucken, die Augen verdrehen, ein paar Sekunden richtig bewusstlos sind“, so Fegeler. Eine Faustregel: Wenn sich der Nachwuchs so verhält, dass Eltern den Eindruck haben „Das ist nicht mein Kind, wie ich es kenne“, ist das oft Anlass genug, in die Arztpraxis zu gehen.
Auch bei sehr starkem oder merkwürdigem Husten gilt: abklären lassen. Zum Beispiel, wenn er an das heisere, keuchende Bellen eines Seehundes erinnert. Dahinter kann sich Fegeler zufolge Pseudokrupp verbergen. „Dabei verkleinert sich der Kehlkopfinnenraum, was in aller Regel harmlos verläuft, aber ein Grund ist, in die Praxis zu kommen.“
8. Und wenn es sich um Husten handelt, der sehr hartnäckig bleibt, über Wochen hinweg?
Das sei ein häufiger Vorstellungsgrund in der Kinderarztpraxis, berichtet Fegeler. „In der Regel können wir die Eltern beruhigen. Der Husten ist ein wichtiger Reflex, um die Bronchien sauber zu halten.“ Und er kann als Begleitprodukt auch über einen Infekt hinaus noch eine Weile bleiben. Da so ein Husten allerdings auch auf ein Asthma hinweisen kann, ist eine Abklärung sinnvoll.