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  7. Queere Familien: Diskriminierung beim Kinderwunsch

queere menschen und diskriminierung Mutter, Mutter, Kind oder wie der Gesetzgeber meint: Noch lange keine Familie

Für viele Menschen bedeutet Familie immer noch „Vater-Mutter-Kind“. Wie die Realität für queere Paare aussieht, erzählt unsere Autorin, die mit ihrer Partnerin das erste Kind erwartet. 

Von Maria Kurth Aktualisiert: 09.12.2024, 17:47
Wenn zwei Frauen ein Kind bekommen, gibt es in unserer Gesellschaft noch allerlei Herausforderungen.
Wenn zwei Frauen ein Kind bekommen, gibt es in unserer Gesellschaft noch allerlei Herausforderungen. Foto: IMAGO/Pond5 Images

Magdeburg. - Es ist kurz nach 6 Uhr an einem Aprilmorgen, als sich auf einem Stück Plastik langsam die Konturen der Zukunft abbilden. Erst schwach, dann aber von Sekunde zu Sekunde stärker schiebt sich der kleine, blaue Strich auf dem Schwangerschafts-Frühtest meiner Partnerin in den Vordergrund. Es folgen zwei weitere Tests, die noch leichte Ungewissheit zulassen, aber die Freude bahnt sich langsam ihren Weg. Einige Tage später dann ist klar: Meine Partnerin ist schwanger.

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Und wir wissen, dass wir uns doppelt glücklich schätzen können. Bei zehn bis 15 Prozent lag die Chance, dass es im ersten Versuch mit der künstlichen Insemination gelingt. Die Natur meint es gut mit uns.

Queere Menschen und ihr Weg, auch beim Gesetzgeber als Familie anerkannt zu werden

Und so beginnt die Reise, die nun in wenigen Tagen endet – und gleichzeitig eine ganz neue beginnen lässt: Unser Kind kommt zur Welt.

Zum Glück in einer sozialen Blase, die sich seit Monaten mitfreut, mitfiebert und die sich nicht verkneifen kann, immer wieder Namensvorschläge abzugeben – irgendwann muss doch der richtige dabei sein. Der Name unseres Kindes ist genau das: ein Name. Ein kleines Puzzleteil der Identität. Genau so, wie meine Partnerin und ich für unser Kind nur eins sind: Familie. Ein großes Puzzleteil. Leider sieht das im 21. Jahrhundert nicht jeder so.

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Wir schätzen uns glücklich, dass es die Geburtslotterie mit uns gut gemeint hat. In einem Land zu leben, in dem queere Paare Hand in Hand die Straße entlanggehen können geschweige denn ein Kind zusammen bekommen zu können, bleibt für viele Menschen weltweit ein Traum im Verborgenen. Doch weil mich und auch Sie als Leser die Partnerwahl unser Mitmenschen rein gar nichts angeht, ist es auch in Deutschland noch immer niederschmetternd, welche Diskriminierung queere Paare erfahren.

Familienrecht in Deutschland muss endlich reformiert werden

Seitens der Politik, die das Familienrecht trotz großer Reformpläne bis heute in Schwarz-Weiß-Tönen lässt, statt es an die Lebensrealität vieler Menschen in Deutschland anzupassen. Aber auch seitens der Menschen, die es eigentlich besser wissen sollten und die den Anstoß zur Veränderung geben könnten – dafür aber Denkmuster ändern müssten.

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„Wie läuft das jetzt, das ist ja keine normale Schwangerschaft?“ Eine Frage, die uns aus unserem engeren Umfeld gleich zu Beginn gestellt wurde. Beruhend auf Unwissenheit, nicht auf böser Absicht. Und dennoch regte sich Wut in mir. „Wieso ist es keine normale Schwangerschaft?“, platzte es aus mir heraus.

Oder die ausgeteilte Checkliste im Geburtsvorbereitungskurs fürs Krankenhaus, die vermerkte, was „Väter“ mitbringen sollten. Oder die Hebamme beim Infoabend der Klinik, die wir zunächst wählen wollten, die konsequent von „allen Vätern“ im Raum sprach. Sprache wirkt, Sprache hat Konsequenzen und wenngleich hinter keinem dieser Beispiele böse Absichten stecken, ist es eben doch Diskriminierung.

Kinderwunsch-Behandlung: Rheinland-Pfalz, Berlin, Bremen und das Saarland haben für gleichgeschlechtliche Paare eigene Förderungen

Das ist allerdings noch nichts gegen die Diskriminierung, die noch immer im Gesetzbuch verankert ist. Als gleichgeschlechtliches Paar muss die Kinderwunsch-Behandlung selbst gezahlt werden, während heteronormative verheiratete Paare hier finanziell unterstützt werden. Das hat das Bundessozialgericht 2021 nochmal bestätigt. Hilfen gibt’s übrigens auch nur bei heteronormativen Ehepaaren nur dann, wenn Ei- und Samenzellen mit von der Partie sind. Wenn Männer keine Samen produzieren können und das aus patriarchaler Sichtweise „starke“ Teil fehlt, heißt es: Pech gehabt. Immerhin: Rheinland-Pfalz, Berlin, Bremen und das Saarland haben für gleichgeschlechtliche Paare eigene Förderungen. In Sachsen-Anhalt gibt es die nicht.

Aus unserer Sicht ist das noch das kleinste Übel. Schon bedeutender war die gesetzlich vorgeschriebene psycho-soziale Beratungspflicht, bevor es überhaupt losgehen könnte. „Wie fühlen Sie sich dabei, dass fremdes Sperma in sie eindringt?“ oder „Wie wollen Sie ihrem Kind beibringen, dass es keinen Vater hat?“ Die sympathische Frau am Bildschirm hat ihren Job gemacht, aber Sympathie ist eben endlich.

Zynismus regt sich: Männer müssen für Vaterschaft nur unterschreiben

Das gilt auch für Verständnis. Denn warum müssen unverheiratete Männer in heteronormativen Beziehungen im Krankenhaus nur ihre Unterschrift unter ein Stück Papier setzen, um als Vater anerkannt zu werden?

Weil Familie trotz aller Vielfaltsbekundungen von Politikern auf deutschen CSD-Bühnen am Ende eben immer noch Vater, Mutter, Kind ist. Sind Mann und Frau verheiratet, ist der Mann übrigens automatisch Vater. Selbst dann, wenn die Frau vielleicht mit ihrem neuen Partner schwanger ist, der Ehemann auf dem Papier aber noch vorhanden ist. Heteronormative Ordnung muss sein. Realität hin oder her.

Ja, da regt sich Zynismus. Vor allem aber das Gefühl von Ungerechtigkeit.

Gleichgeschlechtliche Paare: Stiefkind-Adoption  dauert viele Monate

Wir müssen als unverheiratetes Paar vorher zum Notar, meine Partnerin muss im Testament festhalten, dass ich die Fürsorge für mein Kind übernehme, falls etwas passiert. Wären wir verheiratet, wäre das übrigens auch so. Denn dann könnten wir zwar die Stiefkind-Adoption einleiten, aber die dauert nicht selten viele Monate, bis sie wirksam ist.

Stiefkind. Allein diese Bezeichnung klingt und fühlt sich falsch an. Die Ehe für alle heißt eben nicht, dass gleichgeschlechtliche Ehe gleich Ehe ist.

Die Institution Ehe gilt noch immer als heiliger Gral

Wir sind (noch) nicht verheiratet. Also müssten wir nachweisen, dass wir wenigstens vier Jahre zusammenleben. Erst dann kann die Stiefkind-Adoption in Angriff genommen werden. Wortwörtlich. Aus einem anderen Blickwinkel heißt das auch: Die Institution Ehe ist nach wie vor das Nonplusultra. Der heilige Gral, der in vielen deutschen Wohnzimmern nur Unglück bedeutet. Der aber dennoch über allem thront. Ob wir vier Jahre oder vier Tage zusammen sind, wäre dann auf einmal egal.

So oder so: Aus rechtlicher Sicht werde ich bei der Geburt meines Kindes kein Elternteil sein. Ein Widerspruch, der schmerzt. Für alle Paare, die in der Zukunft diesem kleinen großen Glück entgegenfiebern, hoffen wir, dass die neue Bundesregierung, die sich bald formiert, an dieser Stelle aktiv wird. Das Abstammungsrecht zu reformieren, ist nicht überfällig. Das ist zu nah dran an dem Begriff Gefälligkeit – für etwas, das unser Recht ist.

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Vielfalt leben: Hoffentlich gibt es diese Art der Texte hier irgendwann nicht mehr

Doch das schwarz auf weiß zu haben, wäre eben irgendwie auch schwarz und weiß neu zu definieren. Das hieße, diese Vielfalt von der alle immer reden, erhielte eben auch endlich mal Nährboden im Alltag queerer Menschen. Dafür müsste man aber den Status Quo ändern. Und Verantwortung übernehmen.

Genau so, wie wir unserem Kind gegenüber die Verantwortung haben werden, jeden Tag so zu gestalten, dass gelebte Vielfalt immer und überall einfach Alltag ist. Vielleicht hat unser Kind Glück und wird gar nicht mehr auf diese Art der Texte hier stoßen, weil es sie einfach nicht mehr geben muss.