Mutter aus Halle in Sorge Handyverbot an Schulen: „Das Handy zu verbieten oder zu verteufeln, macht überhaupt keinen Sinn"
Für viele Kinder und Jugendliche ist das Smartphone ein ständiger Begleiter. Im Unterricht und auf dem Pausenhof wird es aber zunehmend zum Problem. Viele Schulen verhängen deshalb ein Handyverbot – das eigentliche Problem dahinter löst das aber oft nicht.
Kein WhatsApp, kein TikTok, keine Selfies: Was an vielen Schulen bereits etabliert ist, ist nun auch für das Giebichenstein-Gymnasium „Thomas Müntzer“ in Halle im Gespräch – ein Handyverbot. „Die Schule möchte die Smartphones bis auf wenige Ausnahmen aus dem Schulalltag verbannen“, sagt Kathrin Cynis, deren Tochter die siebte Klasse des halleschen Gymnasiums besucht.
Als solche Ausnahmen gelten organisatorische Dinge, etwa eine Bahnverbindung suchen oder den digitalen Vertretungsplan einsehen. Bisher handelt es sich noch um einen Entwurf. Sind Eltern, Lehrer und Schüler einverstanden, wird dieser Anfang des neuen Jahres verabschiedet und im zweiten Schulhalbjahr in der Praxis erprobt.
Nicht nur am Giebichenstein-Gymnasium ist das Thema Handyverbot ein Dauerbrenner. Auch viele andere Schulen in Sachsen-Anhalt diskutieren oder setzen entsprechende Regeln durch – sei es für den Unterricht oder das gesamte Schulgelände.
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Zu Recht, findet Steffi Scholle, Sprecherin des Landesverbandes Bildung und Erziehung Sachsen-Anhalt und selbst Lehrerin an einer Berufsschule. „Das größte Risiko der Handys ist das Ablenkungspotenzial“, sagt sie. „Schülerinnen und Schüler haben ständig das Gefühl, up to date sein zu müssen. Wenn sie im Unterricht eine Nachricht erhalten und sie nicht direkt beantworten können, werden sie unruhig.“
"Das größte Risiko der Handys ist das Ablenkungspotenzial"
Steffi Scholle, Sprecherin des Landesverbandes Bildung und Erziehung Sachsen-Anhalt
Das sei gerade in der Altersgruppe der Zwölf- bis Sechzehnjährigen oft zu bemerken. Auch als Spickzettel ist das Handy beliebt. „Dabei brauchen sich die Kinder nicht einmal mehr die Mühe machen, einen Zettel zu schreiben“, sagt Scholle. „Sie schicken einfach die Lösungen des besten Schülers in den Klassenchat und haben damit ruckzuck alle die richtige Lösung.“
Weitere Risiken sind Cybermobbing sowie die Verbreitung von kinderpornografischen oder gewaltverherrlichenden Inhalten, die in manchen Klassenchats kursieren und ungeprüft weitergeleitet werden. Aber auch harmlosere Inhalte wie das Bild eines Lehrers oder eines Mitschülers dürfen nicht ungefragt aufgenommen und verbreitet werden. Das zu unterbinden, ist aber oft schwierig bis unmöglich.
Handyverbot, bessere Noten
Thomas Gaube, der Schulleiter des Giebichenstein-Gymnasiums, sieht das ähnlich. „Es geht nicht darum, die Schüler zu reglementieren oder zu bevormunden, sondern für eine gesündere Handynutzung zu sensibilisieren.“ Die Regelung solle nicht „Handyverbot“ heißen, sondern „Umgang mit digitalen Endgeräten“, so Gaube.
Verschiedene Studien legen nahe, dass die Smartphone-Nutzung eng mit den schulischen Leistungen zusammenhängt: Etwa die Schulleistungsstudie Pisa von 2022 zeigte, dass sich ein Drittel der Schüler und Schülerinnen durch digitale Geräte abgelenkt fühlte, sowohl durch eigene als auch die der Mitschüler.
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Zudem kam die Untersuchung zu dem Schluss, dass eine „übermäßige und/oder schlechte Nutzung“ die Lernleistungen beeinträchtigte. Allerdings könnten digitale Geräte laut Pisa die schulischen Leistungen auch positiv beeinflussen – aber nur bei moderater Nutzung.
Nutzung ist Erziehungssache
„In den höheren Klassen müssten Schüler damit umgehen können“, sagt Steffi Scholle. „So sollte es bei einem Test selbstverständlich sein, die Handys ausgeschaltet auf den Lehrertisch zu legen oder in die Tasche zu packen.“ Genau das funktioniere in der Realität aber oft schlecht. „Ich bin eine berufserfahrene Lehrerin und habe da ein gesundes Selbstbewusstsein.
Aber als junger Lehrer hinzugehen und das Handy einzufordern, wenn sich manche Mädels das zwischen die Beine stecken – das ist schwierig.“ Somit sei ein Verbot oft die einzige Methode, um einen störungsfreien Unterricht oder faire Prüfungssituationen zu ermöglichen. „Und wenn die Schüler dagegen verstoßen, können Lehrkräfte darauf reagieren, indem sie das Handy einziehen“, sagt Scholle.
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Für die meisten Eltern sei das kein Problem: „Natürlich gibt es immer ein paar Uneinsichtige, die selbst mit dem Handy verwachsen und genervt sind, wenn sie das dritte Mal in die Schule müssen, um das Handy ihrer minderjährigen Kinder nach mehrfacher Verwarnung abzuholen“, sagt die Pädagogin. „Aber der größte Teil hält seine Kinder dazu an, das Handy während des Unterrichts auszuschalten und wegzupacken.“
So ist es auch bei Kathrin Cynis, der Mutter aus Halle. Sie sieht mehr die Eltern als die Schulen in der Verantwortung. „Wir sind die Vorbilder für unsere Kinder“, sagt sie. „Wenn wir das Handy ständig in der Hand haben, schauen sich die Kinder das ab.“ Ihr selbst sei ein offener Umgang mit dem Thema wichtig: „Das Handy zu verbieten oder zu verteufeln, macht für mich überhaupt keinen Sinn, sonst nutzt mein Kind es heimlich“, sagt Cynis.
Stattdessen versuche sie, die Welt ihrer Tochter besser zu verstehen und auch in Sachen Medien ein Vertrauensverhältnis zu ihrer Tochter zu pflegen: „Ich habe mir Instagram und andere soziale Medien mit angeeignet, um zu wissen, was da so passiert“, sagt die Hallenserin. Zusammen mit ihrer Tochter hat sie einen Präventionskurs besucht, um die Dreizehnjährige insbesondere für Risiken bei der Mediennutzung zu sensibilisieren.
Medienerziehung leicht gemacht
Kostenlose Online-Medienkurse für Eltern bietet die Initiative „SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht.“ Dabei lernen Eltern Chancen und Risiken verschiedener Medien kennen, erhalten eine Einschätzung zu angemessenen Bildschirmzeiten und können mobile Geräte, Spielkonsolen und Co. ihrer Kinder altersgemäß einrichten.
Was können Eltern oder Lehrerinnen und Lehrer tun, wenn sie kinderpornografisches oder gewaltverherrlichendes Material auf dem Handy des Nachwuchses entdecken?
Hilfestellung gibt die Servicestelle Jugendschutz. Informationen unter www.servicestelle-jugendschutz.de
Interessante Infos rund um soziale Medien und Medienerziehung gibt es auch beim Elternguide. Info unter www.elternguide.online
Daneben gebe es ein paar Familienregeln: „Wir haben die Vereinbarung, dass meine Tochter uns Zugriff auf ihr Handy gewährt, wenn sie sich ungewöhnlich verhält oder ihr Verhalten sich merklich verändert“, sagt Cynis. „Und meine Tochter weiß, dass sie das Handy im Unterricht nicht oder nur für Lernzwecke benutzen soll.“
Umgang als Unterrichtsfach
Dass das Handyverbot am Giebichenstein-Gymnasium auch für die Pausen gelten soll, findet sie trotzdem unsinnig: „Als Eltern vergleicht man das oft mit der eigenen Schulzeit und sagt: „Aber wir hatten doch früher auch kein Handy!“, sagt Cynis. „Aber die Zeiten ändern sich. Als ich meine Tochter gefragt habe, ob sie in den Pausen nicht einfach nur reden können, meinte sie: ,Aber wir reden doch, und zeigen uns dabei mal was auf dem Handy.’“
Direktor Gaube gehe es bei der Pausenregelung neben der Förderung des Miteinanders auch um eine handyfreie Auszeit, wie er sagt. „Wir haben interaktive Tafeln, sodass die handyfreie Zeit in den Pausen auch dazu da ist, den Augen und dem Gehirn eine bildschirmfreie Zeit zu gönnen.“ Worauf sich an dem halleschen Gymnasium alle einigen können, ist die Planung, das Unterrichtsfach „Lernen in der digitalen Welt“ einzuführen.