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Studie Lehrkräftemangel an Grundschulen bald überwunden

Angesichts sinkender Geburtenzahlen wird es einer aktuellen Berechnung zufolge schon bald mehr Absolventen im Grundschullehramt als Stellen geben. Bildungsforscher sehen darin eine Chance.

Von dpa Aktualisiert: 29.01.2024, 11:09
An Grundschulen könnte es bald ausreichend Lehrkräfte geben.
An Grundschulen könnte es bald ausreichend Lehrkräfte geben. Sebastian Gollnow/dpa

Gütersloh - Aus Mangel wird Überschuss: Einer Schätzung von Bildungsexperten zufolge wird es bald mehr Grundschullehrkräfte geben als Stellen. Eine aktuelle Prognose der Bertelsmann-Stiftung geht davon aus, dass bis 2035 rund 45.800 Lehrkräfte im Primarbereich mehr fertig ausgebildet sind als benötigt werden, um den Unterricht abzudecken. Hintergrund sei eine Trendwende bei der demografischen Entwicklung. So sind zuletzt weniger Kinder geboren worden als noch bis 2021.

Den Berechnungen zufolge dürfte vielerorts bereits ab dem kommenden Schuljahr der lange herrschende Mangel an Grundschullehrerinnen und -lehrern überwunden sein, weil anders als noch 2023 mehr neue Lehrkräfte bereitstehen, als aus dem Beruf ausscheiden.

Spielraum für mehr Qualität an den Schulen

Ein rechnerisches Überangebot an Absolventen bedeute jedoch nicht notwendigerweise Arbeitslosigkeit für die Pädagogen, betonen die Studienautoren Klaus Klemm und Dirk Zorn. Vielmehr bekomme die Politik den Spielraum für Qualitätsverbesserungen, der heute fehle. So könnten die Lehrkräfte für den Ausbau der Ganztagsangebote genutzt werden oder um mehr Personal an Schulen in sozial schwierigen Lagen einzustellen, empfehlen die Experten. Außerdem schlagen sie vor, Grundschullehrer auch für den Einsatz in den fünften und sechsten Klassen weiterzubilden.

Abweichung von Studie der Kultusministerkonferenz

Mit ihrer Schätzung weicht die Bertelsmann-Stiftung deutlich von der Ende 2023 vorgelegten Prognose der Kulturministerkonferenz (KMK) ab, die für das Jahr 2035 einen Überschuss von nur 6300 Absolventen im Primarbereich ermittelt hatte. Hintergrund sei vor allem eine Trendwende bei der demografischen Entwicklung, die sich in den KMK-Berechnungen noch nicht niederschlage: So sei der Rückgang der Geburten 2022 und 2023 um mehr als 100.000 deutlicher ausgefallen als in den statistischen Angaben der Länder vorausberechnet. Auch für die Folgejahre schreiben die Studienautoren der Bertelsmann-Stiftung die nach unten korrigierten Schülerzahlen entsprechend fort.

Bundesbildungsministerin sieht „Silberstreif am Horizont“

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Die Studie der Bertelsmann Stiftung ist ein Silberstreif am Horizont.“ Mehr Lehrkräfte im Grundschulbereich eröffneten Raum für einen Qualitätsschub. „Ich setze darauf, dass die Länder die Chance ergreifen und aus dem Plus an Personal ein Plus an Chancengerechtigkeit und an Grundkompetenzen wird.“ Für eine Trendwende beim Lehrermangel sei aber noch viel zu tun. „Es gilt, den Lehrerberuf und das Studium attraktiver zu gestalten und Quer- und Seiteneinsteiger fortzubilden.“

Die KMK-Präsidentin, die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD), bezeichnete die Bertelsmann-Studie als „positive Aussicht“. Sie erinnerte aber daran, dass seit langem sinkende Schülerzahlen prognostiziert worden seien - die Realität habe dann aber anders ausgesehen. Zudem gelte es, nicht nur die reinen Geburtenzahlen zu betrachten. „Wir müssen uns vor allem dem qualitativen Bedarf stellen.“ Sie nannte zum Beispiel Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse und mit Fluchttraumata, die zunehmende Heterogenität der Schüler und Armut in Familien. Die Frage sei, ob die Lehrer den Bedürfnissen entsprechend ausgebildet würden.

Unterschiedliche Befunde je nach Region möglich

Grundsätzlich unterliegen Prognosen wie diese einer Reihe von Unschärfen. So sind nach Angaben des Bildungsexperten Zorn erwartbare Wanderungsbewegungen einbezogen, nicht jedoch „exogene Schocks, die große Fluchtbewegungen auslösen, wie ein neuer Krieg und Katastrophen“. „Ein Grund mehr, zusätzliches Personal für ein resilientes Schulsystem zu nutzen“, sagte Zorn. Außerdem beziehe sich die Betrachtung auf ganz Deutschland, so dass es für passgenaue Planung nach Bundesländern und Regionen differenziertere Berechnungen brauche: „Eine Überversorgung in der Großstadt schließt nicht aus, dass im ländlichen Raum händeringend nach Grundschullehrerinnen oder -lehrern gesucht wird“, so Zorn.

Auch bleibe die Lage in anderen Schulformen und bestimmten Fächern angespannt. Vor allem in den nicht-gymnasialen weiterführenden Schulen sowie den MINT-Fächern herrsche noch auf absehbare Zeit ein großer Mangel an Lehrkräften.

Der Befund zu den Lehrkräften an den Grundschulen erinnere an einen „seit Jahrzehnten immer wieder beobachteten Wechsel von Mangel und Überschuss“, schreiben die Autoren in ihrer Analyse. In Mangelzeiten steige die Zahl der Studierenden, weil viele das Studium in der Hoffnung begännen, der Mangel bestehe auch nach dem Abschluss fort. In Zeiten des Überangebots an Lehrkräften entschieden sich dagegen weniger für ein entsprechendes Studium. Schätzungen zum künftigen Lehrerbedarf führten damit immer erst zeitversetzt zu einem Lehrkräfteangebot, dass auch nur dann nachfragegerecht sei, wenn sich die zuvor getroffenen demografischen Annahmen als richtig erwiesen.

VBE: Brauchen mindestens 110 Prozent Personal an Schulen

Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, reagierte zurückhaltend auf die Studie. So sei offen, wie groß der erwartete Lehrerüberschuss sei, wenn alle Lehrer, die an Grundschulen abgeordnet seien, wieder in ihre ursprüngliche Schulform zurückkehrten. Mehr Personal sei auch nötig, um Zeit für Fortbildung zu finden und Krankheiten von Kollegen besser auffangen zu können. „Dafür braucht es mindestens 110 Prozent Personal an den Schulen, ergänzt um Mitglieder eines multiprofessionellen Teams.“