1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Familie
  6. >
  7. Essstörungen Vorbeugen: "Schon Kinder finden sich in ihren Körpern unwohl"

Essstörungen vorbeugen "Schon Kinder finden sich in ihren Körpern unwohl"

Psychotherapeutin Julia Tanck erklärt, was Eltern tun können, damit ihre Kinder trotz TikTok und Co. ein gesundes Körperbild entwickeln.

Von Lena Högemann Aktualisiert: 17.06.2024, 13:42
Kinder und Jugendliche bewegen sich weniger. Das führt dazu, dass einige zu sehr zunehmen.
Kinder und Jugendliche bewegen sich weniger. Das führt dazu, dass einige zu sehr zunehmen. (Foto:dpa)

Kinder sind umgeben von Schönheitsidealen, die wenig mit der Realität zu tun haben. So kommt es, dass schon Schulkinder sagen: „Ich bin zu dick.“ Dabei wollen wir doch als Eltern eigentlich, dass unsere Kinder glücklich und behütet aufwachsen. Wie kann das gelingen? Die Psychotherapeutin Julia Tanck arbeitet mit Frauen mit Essstörungen. In ihrem neuen Buch „Unfiltered. Social Media und unser Körperbild“ erklärt sie, wie dickenfeindlich unsere Gesellschaft ist und was das mit unseren Kindern macht. Unserer Autorin Lena Högemann hat sie zudem Tipps verraten, was Eltern konkret tun können, um ihre Kinder gut beim Aufwachsen zu begleiten.

Frau Tanck, Sie beschäftigen sich als Psychotherapeutin mit Essstörungen, behandeln Menschen, die davon betroffen sind, und wollen über Körperbilder aufklären. Wo liegen die größten Probleme?

Julia Tanck: Ein negatives Körperbild zu haben, ist der größte Risikofaktor für eine Essstörung, denn Menschen, die unzufrieden sind, wollen etwas an ihrem Körper ändern. Bei vielen Menschen ist die Ursache für Essstörungen in der Kindheit zu finden und in der Kultur, in der wir leben, die eben sehr gewichtszentriert ist. Es gibt eine regelrechte Diätkultur. Leider ist ein bestimmtes Körperbild sehr weit verbreitet in unserer Gesellschaft. Wir wissen, dass eine gute Beziehung zum Körper die Lebensqualität für uns alle signifikant verbessert. Mein Buch soll dazu aufrufen, dass wir uns mehr mit unserem Körper beschäftigen und über den Diätenwahn aufklären.

Dein Körper hat keine Auswirkungen darauf, wie lieb ich dich habe.

Psychotherapeutin Julia Tanck

Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass die Gesellschaft geradewegs dickenfeindlich sei. Wo wird das transportiert?

Julia Tanck: In so vielen Bereichen findet Gewichtsdiskriminierung statt. Schon Kinder finden sich in ihren Körpern unwohl, obwohl sie ja noch gar nicht Social Media ausgesetzt sind oder an den Handys sind. Bereits in Kinderbüchern findet das statt. Eine US-Studie zeigt, dass schlanke und dicke Charaktere in Kinderserien mit unterschiedlichen Eigenschaften dargestellt werden. Schlanke Figuren sind freundlich und hilfsbereit, dicke sind unfreundlich und gemein dargestellt. So werden Kinder schon im Kindesalter geprägt, dass dicke Menschen weniger liebenswert sind als schlanke Personen. Das geht so früh los. Ein weiteres Beispiel: Auch die Biene Maja wurde enorm verschlankt, Bob der Baumeister auch.

Das könnte Sie auch interessieren: Weder Junge noch Mädchen? Wie Eltern Kindern Geschlechtervielfalt vermitteln können, erklärt Saskia Michalski regelmäßig einem Millionen-Publikum – und jetzt auch in einem Buch.

Wie kann ich denn damit umgehen, dass die Fernsehinhalte für Kinder keine Vielfalt abbilden oder sogar dicke Menschen abgewertet werden?

Julia Tanck: Ich bin nicht für Verbote oder dafür, dass alles gar nicht mehr zu erlauben. Ich finde es ganz wichtig – je nach Alter des Kindes – mit dem Kind darüber zu sprechen, dass das eben nicht die Realität ist, was wir da sehen. Wir können ihnen sagen: „Ein großer Teil der Menschen sieht nicht so aus und das wäre auch gar nicht gesund, wenn sie es täten.“ Allein diese Disneyprinzessinnen könnten körperlich gar nicht existieren mit dieser Taille. Solche Körper sind utopisch.

Apropos unrealistische Darstellung in den Medien: „Germany’s Next Topmodel“ ist der Albtraum vieler Eltern. Was mache ich denn, wenn meine Tochter das gucken möchte?

Julia Tanck: Mir ist ganz wichtig, dass Eltern wissen: Sie haben nur einen bedingten Einfluss darauf, ob das Kind eine Störung des Körperbildes und eventuell eine Essstörung bekommt. Ich möchte Eltern die Last nehmen, damit sie nicht das Gefühl haben, dass sie jetzt schuld sind, wenn ihr Kind eine Essstörung entwickelt. Das ist in unserer Gesellschaft ein strukturelles Problem. Das können wir auf individueller Ebene gar nicht lösen.

Auch Kinder schämen sich schon für ihren Körper. Daher ist für Eltern wichtig, ihnen zu sagen, dass das körperliche Aussehen nichts mit ihrer Liebe zum Kind zu tun hat.
Auch Kinder schämen sich schon für ihren Körper. Daher ist für Eltern wichtig, ihnen zu sagen, dass das körperliche Aussehen nichts mit ihrer Liebe zum Kind zu tun hat.
(Foto: Imago/Photothek)

Was Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“ angeht: Da ist es wichtig, den Kindern zu erklären, dass es beim Körper nicht darauf ankommt, wie er aussieht, sondern was er alles kann und, was der Körper uns alles ermöglicht. In dieser Show geht es nur um das Aussehen, aber das ist nur ein Aspekt des Körpers. Der Körper leistet so viel mehr als das Aussehen.

Jugendliche lieben Social Media. Was ist so problematisch an Instagram und TikTok, wenn es um das Körperbild unserer Kids geht?

Julia Tanck: Das sind ja echte Menschen, die wir dort sehen. Auf Social Media habe ich das Gefühl, dass ich mit der Person kommunizieren kann. Die ist viel dichter an mir dran als eine Heidi Klum, die ich im Fernsehen sehe. Ich habe das Gefühl, dass auch ich das sein könnte. Diese Person spricht mich auch noch direkt an – in der Story auf Instagram oder auf TikTok im Live. Da ist die Gefahr vorhanden, dass ein noch stärkerer Vergleich da ist und noch mehr der Drang entsteht, das nachmachen zu wollen.

Was heißt das ganz konkret: Was kann ich machen, wenn mein Kind Social Media konsumieren möchte. Wie kann ich es begleiten?Julia Tanck: Body Positivity – also Inhalte, die verschiedene Körper wertschätzen – sind sinnvoll, zu konsumieren. Das ist nachgewiesenermaßen hilfreich. Dadurch, dass in der Body Positivity andere Körperformen vorkommen als die, die wir sonst im Fernsehen oder in Zeitschriften sehen, fühlen sich Menschen mit ihrem eigenen Körper viel wohler. Man kann den Jugendlichen auch erklären, welche Hashtags sie sich anschauen können. Mit #unshame zum Beispiel werden Inhalte gezeigt, die sich gegen Bodyshaming und für die Vielfalt der Körper aussprechen. Auch #mehrRealitaetAufInstagram ist solch ein Hashtag.

Sie beschreiben, wie neben Medien das direkte Umfeld, also Freunde und Familie, Auswirkungen auf das Körperbild von Kindern hat. Worauf sollten etwa Eltern achten?Julia Tanck: Wenn ich meine Patientinnen mit Essstörungen frage, was ihre Eltern hätten tun können, antworten sie meistens: Was am wichtigsten gewesen wäre, ist vermittelt zu bekommen, dass sie richtig sind, so, wie sie sind – egal ob jemand dick ist oder dünn. Eltern können ihren Kindern vermitteln: Dein Körper hat keine Auswirkungen darauf, wie lieb ich dich habe.

Welchen Einfluss haben Eltern auf das Körperbild der Kinder?Julia Tanck: Eltern haben einen zentralen Einfluss. Direkten Einfluss haben Kommentare zum Körper, zum Essen, zur Bewegung des Kindes. Alles, was direkt an das Kind gerichtet ist, kann negative Auswirkungen haben. Das muss gar nicht mit einer bösen Absicht geschehen. Auch ein „Oh, das solltest du vielleicht nicht mehr essen“, ist nicht hilfreich. Kinder übernehmen auch indirekt Einstellungen und Verhalten von Eltern. Wenn ich als Elternteil selbst negativ über meinen eigenen Körper oder die Körper anderer Menschen spreche, immer dann, wenn eine Gewichtszunahme negativ bewertet wird, hat das Auswirkungen auf das Kind. Es verinnerlicht dadurch diese schlanken Ideale, die es in der Gesellschaft eh schon beigebracht bekommt.

Thema Ernährung: Was können Eltern tun, um für ein möglichst normales Essverhalten zu sorgen?Julia Tanck: Wenn man als Eltern versucht, mit sich selbst im Reinen zu sein, ist schon einmal viel gewonnen. Das hat so positive Auswirkungen auf die Kinder, wenn Eltern mit sich zufrieden sind. Was Eltern noch tun können, ist eine intuitive Ernährung zu fördern. Kinder essen, was ihnen schmeckt und was ihnen guttut. Das sollten wir unterstützen. Man nennt das Lebensmittelneutralität. Es geht darum, Lebensmittel nicht zu bewerten.

Das Buch von Dr. Julia Tanck: „Unfiltered. Social Media und unser Körperbild. Wie wir zu Körperakzeptanz und einer gesunden Selbstwahrnehmung finden“, Kailash-Verlag, 18 Euro
Das Buch von Dr. Julia Tanck: „Unfiltered. Social Media und unser Körperbild. Wie wir zu Körperakzeptanz und einer gesunden Selbstwahrnehmung finden“, Kailash-Verlag, 18 Euro
(Foto: Verlag)

Warum ist es falsch, Essen in gut und schlecht aufzuteilen?Das fällt vielen Eltern sehr schwer. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Viele Eltern haben die Sorge, dass wenn sie alle Lebensmittel erlauben und als gleichwertig darstellen, dass dann ihre Kinder nur Süßigkeiten essen. Es geht darum, dass alle Lebensmittel moralisch gleichwertig sind. Wenn Eltern sagen, dass Süßigkeiten schlecht sind, wird das nur interessanter für die Kinder. Durch solch eine Moralisierung entstehen bei dem Kind dann Schuldgefühle, weil es die Süßigkeiten gegessen hat. Das wollen wir nicht.