Familienrecht Erzwungener Besuch bei Oma und Opa: Eine Familie aus Wittenberg wehrt sich
Warum eine Familie aus Wittenberg dafür kämpft, dass ihr Kind nicht mehr zu den Großeltern gehen muss.
Wittenberg. - Im Nachhinein fragen sich Aline Kauper und ihr Mann oft, ob sich die jetzige Situation hätte verhindern lassen. „Aber wir haben mit den Schwiegereltern immer viele Gespräche geführt, was leider nichts geholfen hat“, sagt die 30-jährige Wittenbergerin, die auch bei der Mitteldeutschen Zeitung arbeitet.
Zwischen Eltern und Großeltern geht es nicht immer harmonisch zu. Im Fall von Aline und Benjamin Kauper geht es sogar so weit, dass sie sich vor Gericht streiten, weil die Großeltern das Umgangsrecht mit dem Enkelkind einklagten. Aber warum gibt es überhaupt ein solches Gesetz? Und wovon hängt es ab, ob das Kind die Großeltern sehen soll oder nicht?
Der Reihe nach: Anfangs wohnte Benjamin Kauper in einer Wohnung im Elternhaus. Doch nachdem seine Frau Aline zu ihm gezogen war, hatte es immer wieder Streit mit seinen Eltern gegeben. „Weil Benjamin nun fest liiert und dadurch nicht mehr ständig spontan verfügbar war“, vermutet Aline Kauper. Noch schlimmer wurde es, als 2021 ihre Tochter auf die Welt kam.
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„Die Schwiegereltern waren sehr vereinnahmend und kamen ständig ungefragt zu uns in die Wohnung“, erinnert sie sich. „Und oft haben sie sich komplett darüber hinweggesetzt, was wir als Eltern für richtig hielten. Zum Beispiel durfte unsere Tochter einen Nuckel haben. Dieser Nuckel wurde dem Kind bei jeder Gelegenheit aus dem Mund gezogen. Einmal wollte mein Schwiegervater ihn sogar in Eierlikör tunken.“
Kontakt zu Großeltern eingeschränkt
Bald folgte der Vorwurf, dass das Paar den Großeltern das Enkelkind vorenthalten wolle. „Weil wir nach Arbeit und Kita oft hoch in die Wohnung gegangen sind und nicht jedes Mal den Schwiegereltern ,Hallo’ gesagt haben“, erinnert sich Aline Kauper. Im Herbst 2022 ist die Familie schließlich nach Wittenberg gezogen. Eine Viertelstunde von dem ehemaligen Zuhause bei den Schwiegereltern entfernt.
„Um einen normalen Umgang gewissermaßen zu erzwingen, haben wir den Kindkontakt bewusst eingeschränkt“, sagt Benjamin Kauper. „Die Idee war, dass meine Eltern unsere Tochter nur noch jeden zweiten Freitag nach der Kita alleine sehen sollten. Darüber hinaus dachten wir an gemeinsame Unternehmungen zu fünft. Denn für uns kann das Verhältnis zu unserer Tochter nur funktionieren, wenn das zwischen uns Erwachsenen funktioniert.“ Seinen Eltern habe das nicht gefallen.
Und als Benjamin Kauper ein Freitagstreffen absagte, um sich an einem Urlaubstag selbst um seine Tochter zu kümmern, drohten die Großeltern mit einer Klage. „Einige Wochen später fanden wir ein Schreiben vom Amtsgericht Wittenberg im Briefkasten“, sagt Aline Kauper, „darin stand, dass die Schwiegereltern das Umgangsrecht mit unserer Tochter einklagen.“
Das Gesetz gibt es seit 1998
Das gesetzlich verankerte Recht, ihre Enkelkinder zu sehen, haben Großeltern seit der Reform des Kindheitsrechts 1998. Dass sie das Umgangsrecht wirklich einklagen, passiert in der Praxis allerdings selten, sagt Christoph Pietzsch, Fachanwalt für Familienrecht in der Lutherstadt Wittenberg. „Normalerweise kommt das anlässlich einer Trennung vor, wenn ein Elternteil versucht, die ehemaligen Schwiegereltern komplett außen vor zu halten“, sagt Pietzsch. Das Gesetz solle sicherstellen, dass Kinder, die bereits eine gefestigte Beziehung zu den Großeltern haben, diese aufrechterhalten dürfen – sofern das dem Kindeswohl diene.
Der Umgang kann Großeltern verwehrt werden, wenn sie den Erziehungsvorrang der Eltern missachten.
Christoph Pietzsch, Fachanwalt für Familienrecht
Ob das wirklich der Fall ist, müssen normalerweise die Großeltern vor Gericht beweisen. „Der Umgang kann ihnen verwehrt werden, wenn sie den Erziehungsvorrang der Eltern missachten“, sagt Pietzsch, „darüber hinaus, wenn Alkohol, Drogen oder sexueller Missbrauch im Spiel sind, was aber zum Glück relativ selten in dieser Konstellation vorkommt.“
Wichtig sei der Wille des Kindes. „Das Familiengericht ist gehalten, Kinder ab drei oder vier Jahren anzuhören“, sagt Pietzsch. „Ab sieben Jahren ist es sogar Pflicht, und mit zwölf oder dreizehn Jahren wird ein Kind in der Regel wie ein Heranwachsender behandelt, sodass dessen Wille, sofern er denn eigenständig formuliert wird, in der Regel nicht mehr in Frage gestellt werden kann.“
Fremde entscheiden über das Kind
Aline und Benjamin Kauper haben sich eine Wittenberger Anwältin mit gutem Ruf genommen. „Sie sagte uns, dass wir mit Sicherheit Recht in der Sache bekämen, und es für den Gerichtstermin daher keine große Vorbereitung brauche“, sagt Aline Kauper. Involviert war zudem das Jugendamt und eine Verfahrensbeiständin: Letztere ist erforderlich, wenn die angenommen Interessen des Kindes im Gegensatz zu denen der Eltern stehen. „Das war schon krass“, sagt Aline Kauper, „dass wir vor komplett fremden Personen unsere familiäre Situation ausbreiten und uns rechtfertigen mussten.“
Mitte Dezember vergangenen Jahres saßen sie und ihr Mann den Schwiegereltern vor Gericht gegenüber. Aber dort lief es nicht wie erwartet. Von der Verfahrensbeiständin kam keine Unterstützung. „Mein Mann durfte zwei Sätze sagen, dann hatte der gegnerische Anwalt das Wort – und unsere Anwältin hat einfach keinen Mucks gesagt“, erzählt Aline Kauper. Am Ende der Verhandlung stand ein Vergleich und damit die Regelung, dass die Dreijährige wöchentlich einige Stunden alleine mit ihren Großeltern verbringen sollte.
„Es folgen mehrere Umgänge im Dezember, Januar und Februar, und jeder Umgang zeigte, dass der Kontakt unserer Tochter nicht gut tut“, sagt Benjamin Kauper. „Nachdem die Großeltern sie gebracht hatten, war sie total in sich gekehrt, hat eine Stunde lang nicht geredet und wollte partout nicht zu mir oder meiner Frau kommen. So etwas hatten wir noch nie.“
Nach dem zweiten Umgang wachte Aline Kauper nachts auf, weil ihre Tochter heftig weinte. „Sie schrie: „Nein, Opa, halt, Stopp, ich möchte nicht!“, erzählt die 30-Jährige. „Das kam von da an nach jedem Umgang. Für uns als Eltern total gruselig, weil wir nicht wissen, was die Schwiegereltern während der Besuche mit unserer Tochter machen.“ Die Schwiegereltern möchten ihre Sicht der Dinge nicht öffentlich darlegen und waren auf Anfrage zu keinem Gespräch mit der Redaktion bereit.
Finanzielle und psychische Belastung
Das Problem: Der vor Gericht beschlossene Vergleich ist schwerer anzufechten als ein Urteil. „Normalweise müssten die Großeltern beweisen, dass der Umgang dem Kind gut tut“, sagt der Wittenberger Anwalt Pietzsch. „Aber dadurch, dass es schon einen gebilligten Vergleich gibt, sind jetzt die Eltern in der Pflicht und müssen beweisen, dass die Umgänge dem Kindeswohl zuwiderlaufen.“
Also haben Aline und Benjamin Kauper einen Kinderpsychologen aufgesucht, der ihnen in einem Attest empfiehlt, die Umgänge auszusetzen. Aufheben wollte das Gericht den Vergleich dennoch nicht: „In einem neuen Termin haben der Richter und die Verfahrensbeiständin alleine mit unserer damals zweieinhalbjährigen Tochter gesprochen und waren anschließend der Meinung, dass sie gerne zu den Großeltern gehe, und die Aussage der Kleinen mehr wiege als das psychologische Attest“, so Aline Kauper.
„Es raubt uns den Verstand, dass anstelle von uns als Eltern fremde Menschen darüber entscheiden, was mit unserem Kind passiert.“
Benjamin Kauper, Vater
Mittlerweile beeinträchtigt die Situation das ganze Leben der Familie. „Es raubt uns den Verstand, dass anstelle von uns als Eltern fremde Menschen darüber entscheiden, was mit unserem Kind passiert,“ sagt Benjamin Kauper. „Unsere Tochter befindet sich in einem Loyalitätskonflikt. Und natürlich bekommt sie es mit, dass wir oft traurig sind und unter Spannung stehen.“
Dazu kommen die Kosten für den Rechtsbeistand und dass die Großeltern das Paar für jeden ausgelassenen Umgang auf ein Ordnungsgeld von mehreren hundert Euro verklagen kann. „Im Zweifel werden wir in übermäßige Schulden gestürzt“, sagt Aline Kauper. „Wir haben aufgrund einer Erkrankung und wegen meines Studiums einige große Kredite am Laufen und daher kaum finanziellen Spielraum – was meine Schwiegereltern auch wissen.“
Inzwischen hat sich das Paar ans Oberlandesgericht Naumburg gewandt. Ihre Hoffnung: Dass man dort endlich anerkennt, dass die Eltern am besten wissen, was ihrem Kind gut tut.